1. Dinslakener Literatur-Hotel-Preis: Claudia Paswark

Mutterseelenallein

Plötzlich stand ich mutterseelenallein in der Dunkelheit.
Gerade war ich noch fröhlich pfeifend mit meiner alten Möhre über die Landstraße getuck-ert, empfand die Einsamkeit und Stille hier draußen als erholsam nach dem Trubel auf der Party. Aber dann passierte es: Plopp, plopp, plopp, plopp, plopp, und Schluß. Mir war sofort klar, was los war: Kein Sprit mehr! Schließlich hatte ich mir das aufleuchtende Tanksymbol lange genug angesehen. Warum hatte ich es auch darauf ankommen lassen?!
Nervenkitzel der kleinen Hausfrau? Roulette der Verlierer? Oder wartete ich auf den Prin-zen, der mich retten sollte?!
Der war jetzt jedenfalls dringend angesagt. Die nächste Tankstelle war meilenweit ent-fernt. Hier auf dem Land wussten die Leute mit derartiger Armut umzugehen, sorgten vor. Ich Stadtkind hatte es ja nicht nötig. Aber genug der Vorwürfe. Etwas musste mir jetzt ein-fallen.
Ich könnte das Licht anlassen, damit ich überhaupt gesehen werde. Aber was würde die Batterie dazu sagen? Was nützte mir Sprit im Tank, wenn dann die Batterie leer war! Damit fiel wohl auch das Radio zur Unterhaltung aus, oder brauchte das weniger Saft?
Oh nein, auch das noch! Hastig öffnete ich die Tür, hüpfte aus dem Wagen und schrie hin-ter den Rücklichtern her: „Halt, warten Sie! Helfen Sie mir!“
Keine Reaktion. Warum hielt dieser Trottel nicht an? Konnte er nicht sehen, dass ich in Not war? Nein, konnte er eigentlich nicht. Also musste ich für den nächsten Wagen besser vorbereitet sein. Ich kramte meinen Mantel aus dem Auto und postierte mich auf dem Kof-ferraum. Noch einer würde mir nicht entkommen.
Ich würde mich einfach mitten auf der Straße aufbauen. Ich könnte auch meine weiblichen Reize zur Schau stellen. Vielleicht sollte ich eine Barrikade errichten. Natürlich machte ich mal wieder nichts dergleichen. Aber wenigstens die Warnblinkanlage sollte ich einschalten. Endlich eine brauchbare Idee.
Die Zeit verging. Langsam wurde es heller. Und ich saß immer noch mutterseelenallein auf dem Kofferraum. Inzwischen fror ich heftig. Ich hatte sogar schon daran gedacht, mich wieder ins Auto zu setzen. Aber das Risiko, übersehen zu werden, war mir zu groß.
Endlich, morgens um fünf, ein Geräusch. Noch nie hatte das Tuckern eines Traktors bes-ser geklungen. Noch nie hatte der Mist besser gerochen. Mühsam hob ich meine einge-schlafenen Knochen vom Auto und winkte dem sich langsam nähernden Bauern mit beiden Armen.
„Junges Fräulein, wo fehlt`s denn?“ Der alte Bauer stoppte seinen Traktor am Straßen-rand.
„Sprit brauchen Sie? Da kann ich Ihnen nicht helfen. Aber komm`se erst mal mit. Sie sind ja ganz durchgefroren. Ich fahr Sie zum Jupp. Der hat bestimmt `nen Kanister auf Lager.“
Ich hätte den Mann umarmen können. Wie ein junges Fohlen hüpfte ich zu ihm auf den Traktor. Meine erste und hoffentlich auch letzte Traktorfahrt war laut und unendlich lang-sam. Außerdem war mir jetzt erst recht kalt. Nach einer Viertelstunde sah ich ein Haus. „Jupp?“ fragte ich zaghaft. Der Alte nickte.
Jupp wollte gerade ebenfalls auf seinen Traktor steigen.
„Halt, warten Sie!“ rief ich entsetzt und sprang vom eisigen Metall. Der Bauer hörte meiner jammervollen Geschichte geduldig zu. Dann sagte er: „Aber, aber, komm`se erst mal rein und wärmen sich auf.“
Das klang gut. Ich winkte meinem Fahrer zum Dank und folgte Jupp in die gute Stube. Dort drückte mich seine Frau energisch in die Kissen am Ofen und hüllte mich fürsorglich in eine flauschige Decke. Den Geschmack des selbstgebackenen Brotes und die wohlige Wärme des Kaffees werde ich nie vergessen.

Autor:

Günter Hucks aus Dinslaken

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