Vom Hörsaal ins Handwerk

Martin Würth, Eduard Fuchs (hinten), Lennart Rau.

Viele Handwerksbetriebe suchen händeringend qualifizierten Nachwuchs. Nie war es einfacher einen Ausbildungsplatz zu finden. Dennoch ist für viele Schulabgänger ein Studium die erste Wahl. Aber nicht für jeden ist ein Studium der richtige Weg. Tausende junger Menschen stellen jährlich fest, dass ein Studium nicht das Richtige für sie war.

Die Handwerkskammer Düsseldorf unterstützt frustrierte Studienabbrecher auf der Suche nach Alternativen zum Studium. Mit dem Programm „Passgenaue Besetzung“ sollen Schulabgänger und Ausbildungssuchende bei ihrer Berufswahl und Betriebe bei der Suche nach geeigneten Bewerbern noch gezielter unterstützt werden. In der Kammer berät Nadine Rosenau Studienabbrecher bei der Berufswahl und vermittelt Ausbildungsplätze. „Viele Handwerksunternehmer kennen leider noch nicht dieses Angebot. Ich würde mir wünschen, dass mehr Betriebe Studienabbrechern eine zweite Chance bieten.“ Denn wie heißt es plakativ in der Imagekampagne des Handwerks: Bei uns zählt nicht, wo man herkommt. Sondern wo man hinwill.

Eduard Fuchs hat diesen Schritt bereits getan, er führt in zweiter Generation in Düsseldorf-Rath einen Dachdeckerbetrieb mit acht Mitarbeitern und zwei Lehrlingen. Zurzeit hat er zwei Studienabbrecher in der Ausbildung, die 2018 ihren Abschluss machen werden. Im Studium zutiefst gefrustet, haben Martin Würth (29) und Lennart Rau (25) jetzt einen Beruf gefunden, der ihnen Spaß macht und Anerkennung gibt. Im Gespräch berichten sie über ihre Zufriedenheit mit der Jobwahl und Eduard Fuchs über seine Erfahrungen mit Studienabbrechern.

Herr Fuchs, hatten Sie anfangs Vorbehalte gegen Studienabbrecher?
Eduard Fuchs: Nein, überhaupt nicht. Studienabbrecher ist doch heute kein Makel mehr für die jungen Leute. Ich stehe Studienabbrechern sehr positiv gegenüber. In Zeiten des Fachkräftemangels müssen wir im Handwerk heute andere Wege gehen und die ganze Bandbreite von Bewerbern erfassen. Egal welchen schulischen Bildungsgang jemand gemacht hat, wichtig ist die Leidenschaft für das Handwerk, das Arbeiten mit Kopf und Händen, der Umgang mit Werkzeugen und Material sowie das dreidimensionale Sehen. Im Praktikum stellt sich sehr schnell heraus, ob jemand das „Handwerker-Gen“ hat.

Gab es auf der anderen Seite Berührungsängste bei ihren Mitarbeitern?

Fuchs: Nein, im Team gibt es überhaupt keine Vorbehalte oder Diskriminierung. Da war gleich Sympathie auf beiden Seiten. Die beiden haben sich sofort gut ins Team eingepasst und das Team hat die beiden ebenso gut aufgenommen. Es gibt hier überhaupt keine Barrieren hinsichtlich des Bildungswegs.
Die beiden haben von Anfang an mitgezogen und waren sehr zufrieden, dass sie hier bei uns im Betrieb eine Ausbildung machen können. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir unseren Lehrlingen einen Ausbildungspaten an die Seite stellen. In diesem Fall ist das Dominic Nonn. Herr Nonn ist Abiturient, wollte eigentlich Architektur studieren, ist dann aber geblieben, hat sich zum technischen Angestellten weiterqualifiziert und beginnt im August mit der Meisterschule. Er findet genau die richtige Sprache für die beiden Studienabbrecher. Die Lehrlinge spüren: hier gibt es einen Plan, eine Struktur, eine Nachkontrolle und einen Ansprechpartner bei Problemen oder Fragen.

Welche Erfahrungen haben Sie konkret mit ihren beiden Studienabbrechern gemacht?
Fuchs: Die beiden gehen sehr motiviert an die Sache ran. Sie haben unheimlich viel Freude an der Arbeit und passen gut ins Team. Es macht Spaß mit ihnen zu arbeiten, die Kollegen nehmen die beiden gerne mit. Die beiden spüren, dass sie hier Anerkennung und Wertschätzung erhalten. Außerdem bringen sie schon mehr Grundkenntnisse mit, das erleichtert den Unterricht in der Berufsschule. Sie haben eine wesentlich größere Vorstellungskraft, erkennen Arbeitsabläufe und Prozesse schneller. Sie blicken über den Tellerrand und fragen: Was kann ich als Nächstes machen oder was brauche ich jetzt?
Sie sind auch aufgeschlossener gegenüber Fortbildungen und Zusatzaufgaben, wollen gefordert werden. Sie sind zuverlässig, verbindlich, pünktlich und höflich – das kommt bei den Kunden natürlich gut an. Ich kann sie flexibler bei der Aufgabenverteilung einsetzen: Zum Beispiel haben die beiden schon einen Führerschein oder dürfen einen Gabelstapler fahren. Ich würde jederzeit wieder Studienabbrecher und Abiturienten nehmen. Akademiker sind eine wertvolle Bereicherung fürs Handwerk. Das ist auch für andere Betriebe eine Chance. Wir haben in Düsseldorf 75 Dachdeckerbetriebe, von denen gerade einmal vierzehn ausbilden. Ich würde mich freuen, wenn mehr Betriebe meinen Weg gehen.

Herr Würth, Herr Rau, wie sind Sie auf eine Ausbildung im Handwerk aufmerksam geworden?
Martin Würth (29): Ich habe schon eine Schreinerausbildung gemacht, wollte dann Bauingenieur werden. Aber das Studium in Aachen war mir zu theoretisch. Mein Vater und Herr Fuchs kennen sich persönlich und Herr Fuchs bot mir an, als Aushilfe bei ihm im Betrieb zu arbeiten. Das hat mir dann so gefallen, dass ich geblieben bin. Ich peile auf jeden Fall den Meister an, aber ich möchte erst mal ein bis zwei Jahre nach der Gesellenprüfung Praxis sammeln.

Lennart Rau (25): Ich habe in Wuppertal Bauingenieurwesen studiert. Aber das Studium war mir zu verschult. Ich habe dann bei einer Firma gearbeitet, die Wasserrutschen baut. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich wollte aber was Handfestes lernen und kam dann aufs Dachdeckerhandwerk. Herr Lanken im BZB vermittelte mir dann ein Praktikum bei Herrn Fuchs.

Warum haben Sie sich für eine Ausbildung im Dachdeckerhandwerk entschieden?
Würth: Das hat hier super funktioniert schon während meiner Aushilfstätigkeit. Das hat sofort gepasst. Das Dachdeckerhandwerk ist sehr abwechslungsreich. Ich empfinde es als sehr befreiend, etwas mit den Händen zu machen. In der Schule wird man über die Möglichkeiten, die es im Handwerk gibt gar nicht informiert. Dass man im Handwerk auch ein duales Studium machen kann, wird einem überhaupt nicht gesagt.

Rau: Ein duales Studium wird eher mit der Industrie in Verbindung gebracht. Mit dem Abitur in der Tasche ist der logische Schritt zu studieren. Da muss ich mir auch selber an die Nase fassen: Ich habe mich zu wenig informiert, was es außer Studieren sonst noch gibt. Das Handwerk hat mich positiv überrascht. Die Ausbildung macht mir viel Spaß. Wenn ich im Freundeskreis erzähle, dass ich Dachdecker bin, heißt es: Eh cool, erzähl mal. Der Beruf wird schon sehr positiv angesehen.

Was gefällt Ihnen an der Ausbildung?

Würth: Man ist nicht nur drinnen, sondern tagsüber auch unterwegs. Am Abend weiß man, was man getan hat. Im Gegensatz zum Studium, da hängt man über seinen Unterlagen, sieht aber den Erfolg erst später bei der Klausur. Ich war froh und erleichtert, aus dem Studienfrust heraus zu sein. Das hat mich ziemlich aufgezehrt und man beginnt immer mehr an sich selbst zu zweifeln. Irgendwann hat man dann gar keine Motivation mehr. Für mich war die Ausbildung hier wirklich befreiend und brachte eine neue Motivation. Ich habe hier meinen Platz gefunden.
Rau: Täglich an der frischen Luft zu sein, ist etwas anderes als in der Uni zu sitzen. Und die Arbeit ist sehr abwechslungsreich. Am Abend ist man viel ausgeglichener. Die größte Motivation ist es, zu lernen, damit man im Job gut arbeiten kann. Man sieht hier sofort den praktischen Nutzen.

Betriebe, die Interesse haben, Studienabbrechern einen Umstieg zu ermöglichen, können sich bei Nadine Rosenau melden:
Kontakt über Tel.: 0211/ 8795-607, E-Mail: nadine.rosenau@hwk-duesseldorf.de.
hwk-duesseldorf.de/studienzweifler

Autor:

Norbert Opfermann aus Düsseldorf

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