Denkmomente- Weltautismus-Tag 2017

Ich bin eine Betroffene des Asperger Syndroms und habe damit die milde Form des Autismus im Bereich der Autismus Spektrum Störung. Was würde ich gerne Menschen ohne Autismus am Weltautismus-Tag mitteilen?
Ich kann meine Probleme leider oft in der Gesellschaft nicht sichtbar machen, weil ich durch eine milde Form Fähigkeiten besitze, die es mir ermöglichen, vieles zu kaschieren, also zu verstecken. Und doch sind die Probleme vorhanden. Doch mal ehrlich, wer will schon in der Gesellschaft negativ auffallen, wo wir doch alle wissen, wie nahe Mobbing, Scham und Angst miteinander verbunden sind? Die Angst ist auch mein Hindernis, mich so zu zeigen, wie ich wirklich empfinde und was ich denke. Sie ist es, die mich aber auch davor beschützt, nicht ins gesellschaftliche Aus zu geraten. Kein schönes Gefühl im Leben, ehrlich.

In drei Büchern und in vielen Blogs in Wordpress habe ich versucht, die Themen mitzuteilen, mit denen meine Probleme sichtbar werden. Themen, die mich von Menschen ohne Autismus unterscheiden und die niemand auf Anhieb bemerkt, wenn er mir begegnet.

Ich wünsche mir mehr Aufklärung, Rücksicht und Integration, doch dies scheint nicht wirklich in der Gesellschaft zu funktionieren. Das bedeutet für Menschen mit mildem Autismus, dass sie von der Gesellschaft so gut wie gar nicht wahrgenommen oder unterstützt werden. Es existieren unzählige Fehldiagnosen bei Mädchen und Frauen mit Asperger Syndrom. Warum? Weil sie oft nur in Teilbereichen Hilfe benötigen und genau das ihnen nicht zugestanden wird. Sprüche wie „das schaffst du schon“ oder „wenn du das kannst, dann schaffst du auch das andere“, oder „du musst dir nur mehr Mühe geben“ sind bei uns an der Tagesordnung.

Wenn wir „unauffälligen“ Asperger um Hilfe bitten, dann sind wir meistens schon an unsere Grenze des Möglichen gestoßen und meinen es verdammt ernst. Doch wer glaubt mir schon, dass ich keinen Fahrradhelm tragen kann, weil ich das Gefühl auf meinem Kopf nicht aushalte? Ich werde ausgelacht. Ich kann keine Mütze tragen und schon gar keinen Motorradhelm. Kaum einer glaubt mir, dass ich kein Einkaufszentrum besuchen kann, ohne nach wenigen Sekunden starke Kopfschmerzen zu bekommen, weil ich die Lautstärke, Farben und Bewegungen fast doppelt so stark wahrnehme wie andere. Konzerte halte ich kaum aus und doch würde ich so gerne welche besuchen. Wie weit darf ich mit meinen Gefühlen in der Gesellschaft noch leben, wenn mir vieles durch meine stark ausgeprägte Wahrnehmung unerträglich ist? Unsere Gesellschaft funktioniert nur, wenn ich irgendwie alles beherrsche. Fehlerquoten führen ins Aus.

Ich erinnere mich an einen Elternsprechtag meines ältesten Sohnes. Da sagte die Englischlehrerin zu ihm: „Englisch ist das wichtigste Fach in der Schule…, das musst du beherrschen.“
Der Mathelehrer sagte: „Mathematik ist das wichtigste Fach in der Schule…, das musst du beherrschen.“
Der Geschichtslehrer, der Physiklehrer und der Deutschlehrer sagten das gleiche. Unser Sohn musste also jedes Fach 100% begreifen, um akzeptiert zu werden. Er weinte nach den Gesprächen. Ich riet ihm, die Schule zu verlassen.
So ungefähr fühlt sich das Leid eines autistischen Menschen in der Gesellschaft an.

Menschen mit Autismus, ob mild oder stärker ausgeprägt, haben eine andere Wahrnehmung und oft eine andere Reaktion auf Situationen. Ihr Gehirn besitzt oft außerordentliche Fähigkeiten, die sie in Spezialinteressen zeigen. Dafür bleiben andere Fähigkeiten schon mal auf der Strecke. Das hängt mit dem Aufbau des Gehirns zusammen und kann nicht wegtrainiert werden. Diese Menschen haben so viel zu bieten und doch leben viele in Isolation und Einsamkeit vor lauter Scham und Angst, gemobbt zu werden.
Und auch ich muss gestehen, dass ich nach über 30 Jahren das Leben „mittendrin“ so satt bin, dass ich die Einsamkeit suche, um wieder mit mir klarzukommen. Dabei würde ich so gerne mittendrin leben.

Viele Betroffene versuchen im Internet aufzuklären, schreiben Blogs, Bücher oder sind in Facebook zu finden.
Was kann die Gesellschaft tun, damit wir Brücken zueinander bauen können?
-Hört uns zu
-Glaubt uns
-Versteht uns
-Akzeptiert uns so, wie wir sind
-Versucht uns nicht zu verbessern, denn wir sind gut genug
-Mutet uns nicht immer zu viel zu
-Lacht uns nicht aus, wenn wir soziale Interaktionsprobleme haben
-Fragt uns, wenn Ihr etwas nicht versteht
-Redet mit uns
-Lasst uns einfach miteinander begegnen

Ich danke an dieser Stelle allen Menschen, die solche Brücken bereits zu uns gebaut haben!

https://www.facebook.com/Denkmomente/
http://www.marionschreiner.com/denkmomente/

Autor:

Marion Schreiner aus Langenfeld (Rheinland)

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