"Die Schönlinge der Oper" - Eine gefährliche Entwicklung des Klassikmarktes

Die russische Sopranistin Anna Netrebko
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Griesgrame unter den Musikkritikern nörgeln schon lange,dass früher doch alles viel besser war: Keine singt mehr so wie die Callas,keiner spielt heute noch so Klavier wie Horowitz.Aber stimmt das wirklich?
In einem Punkt hat sich die heutige klassische Musikszene eindeutig gewandelt.Die Stars von heute sind schlichtweg schöner als früher.
Das hohe C allein reicht längst nicht mehr,ohne Sportlerfigur und Kino-Gesicht kommt ein Sänger von heute nicht mehr aus.

Vor Jahrzehnten noch schmachteten gewichtige Wagner-Heroinen ihren Liebsten auf der Bühne an,dass man wegen der Körperfülle der Isolde um die Gesundheit des angebeteten Tristan bangen musste.
Kauzige Pianisten kauerten an ihrem Flügel,um sich durch Beethoven-Sonaten zu mühen.Bebrillte und etwas sonderlich wirkende Oboisten traten mit ängstlicher Scheu vor das Publikum.
Heute haben Sopranistinnen nicht selten Garde-Maß,und auch Instrumentalisten,wie die Cellistin Sol Gabetta,würden sogar auf dem Laufsteg eine gute Figur machen.
Aber vor allem bei den Männern ist dieser Wandel in den letzten Jahren besonders deutlich geworden,und sie haben in punkto Attraktivität zugelegt.
Dort,wo musikalische Leistung schon lange nicht mehr die nötigen Euro bringt,wird versucht aus dem ansprechenden Äußeren der Stars Kapital zu schlagen.

Ein Blick auf die aktuellen CD-Cover der Deutschen Grammophon und Decca beweist,dass die stylish friesierten und geschminkten Solisten mühelos Magazine von "Elle" bis "Men's Health" zieren könnten.
Prominente Beispiele dafür sind u.a. die Sopranistinnen Anna Netrebko und Renee Fleming,sowie vor allem die Tenöre Joseph Kaiser,Jonas Kaufmann,Charles Castronovo und Pavol Breslik,der bereits zum "Sexiest Tenor Alive" gekürt wurde.

Den Vogel schießt hier aber der neue Solo-Klarinettist der Berliner Philharmoniker,Andreas Ottensamer ab,der auch ohne Klarinette für Furore sorgt.
Er dürfte der erste Musiker dieses Orchesters mit Nacktaufnahmen im Internet sein.
Die Fotos des 21-jährigen Österreichers,die auf der Homepage von "Tempo Models" veröffentlicht wurden,könnten auch mühelos in "Playgirl" erscheinen.

Aber Aussehen und Image kaschieren oft nur durchschnittliche Leistungen,und Sänger mit begnadeter Stimme,aber mit weniger begandetem Körper haben das Nachsehen.

Das Problem sind aber vor allem die Regisseure,die heutzutage über die Besetzung einer Opernproduktion entscheiden,nicht mehr die Dirigenten.
Was noch vor 20 Jahren auf der Opernbühne undenkbar gewesen wäre,nämlich dass Sänger ihren athletischen Körper völlig nackt zur Schau stellen,wird heute immer mehr zu Realität und löst schon lange keinen Skandal mehr aus.
Beispiele hierfür sind Produktionen wie:
"The Fly",Opera Chártelet - "Armida",Komische Oper Berlin - "Parsifal",Oper Stuttgart - "Les Mamelles",Opera Bilbao oder "Lulu" bei den Salzburger Festspielen 2010.

Der Jugendwahn des Klassikmarktes,die Gier nach neuen,unverbrauchten Talenten provoziert allerdings Gefährliches: Karrieren dauerten früher 30 Jahre,jetzt 10 Jahre und kürzer,weil die Sänger ins falsche,besser vermarktbare Fach getrieben werden.
Wer will schließlich heute noch eine 35-jährige "Figaro"-Susanna sehen?Und vielen Regisseuren wäre eine 20-jährige "Salome" mit einer Figur wie Audrey Hepburn und einer Stimme wie Birgit Nilsson am liebsten.

"Das Äußere ist eine vergängliche Sache.Ich bin Sänger,kein Model",sagte kürzlich Jonas Kaufmann in einem Interview.
Er hat leicht reden,denn bei ihm passt alles.Einzigartige Stimme,dunkle Locken,rehbraune Augen und ein Körpergewicht,das in gesundem Verhältnis zur Größe steht.Jonas Kaufmann ist ein Bilderbuch-Tenor,begehrt von Frau und Mann - und damit der zurzeit kassenträchtigste Sänger.

Wer aber glaubt,dass das Dutzend,das heute Höchstgagen kassiert und durch die TV-Talkshows gereicht wird,das vokale Nonplusultra darstellt,der irrt.

Johan Botha zum Beispiel singt besser als fast alle Kollegen,aber sein Aussehen ist weniger gefragt.Der Tenor aus Südafrika setzte als Siegmund,Tannhäuser,Othello oder Cavaradossi Maßstäbe.
Eine Jahrhunderstimme - doch die steckt leider im "falschen" Körper und er wird von PR-Strategen völlig ignoriert.
Auch seine Kollegin Deborah Voigt,die mit ähnlichen Gewichtsproblemen kämpfte,machte vor ein paar Jahren Schlagzeilen.Um neue Engagements zu bekommen ließ sie sich den Magen verkleinern.
Das Gewicht ist nun dahin - die Leuchtkraft ihres Soprans leider ebenfalls.

Die Zeiten,in denen Sänger als tönende Tonnen beliebt waren,sind vorbei.Und damit auch die Zeiten,in denen die Stimme über eine Karriere bestimmte.Das Auge hört eben mit.Und manch einer wird von den Schönlingen gleich ganz geblendet.
Ausstrahlung,schauspielerisches Können,ausgefeilte Diktion,das wird heute kaum mehr gewürdigt.
Welch ein Glück für sie also,dass zwei Mega-Stars der Oper zu ihrer Zeit Karriere machen durften: Pavarotti und Caballé hätten heute ganz sicher keine Chance mehr.

Autor:

Klaus Gerlach aus Recklinghausen

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