Ein Tag auf der Intensivstation

4:00 Uhr, mein Wecker klingelt. Nun heißt es: duschen, wach werden und auf geht’s zum Frühdienst. Ich bin 23 Jahre alt, arbeite seit meiner 3-jährigen Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin vor 1 ½ Jahren mit einer Vollzeitstelle auf einer operativen Intensivstation in Bochum und hole gleichzeitig mit abitur-online mein Abitur nach.

Vor zwei Tagen kam ich morgens aus dem Nachtdienst und heute beginnt meine Frühschicht um 6 Uhr. Wir arbeiten in einem 3-Schicht-System: Früh-, Spät- und Nachtdienst, natürlich auch an Wochenenden und Feiertagen.
Um 5:45 Uhr bin ich fertig umgezogen in unserem Sozialraum, einem Pausenraum, in dem man die tägliche Zimmereinteilung vorfindet und die Arbeitskollegen antrifft. Ein müdes „Guten Morgen“ und schon wandert der Blick auf die Zimmereinteilung.
Dabei fällt mir auf: eine Krankmeldung, wir sind nur zu sechst für 20 Patienten. Auf unserer Station wird die Bereichspflege durchgeführt, das heißt jede Pflegekraft betreut eine kleine Patientengruppe von drei, bzw. vier Patienten über mehrere Tage, je nach Personallage.
Eine Krankmeldung ist leider nicht selten in meinem Beruf. Psychische Erkrankungen wie „BurnOut“ oder Bandscheibenvorfälle sind hier keine Seltenheit, eher eine Berufskrankheit.

Auf der Intensivstation sind mehrere Fachbereiche abgedeckt: Die Chirurgie(die z.B. Operationen am Magen-Darm-Trakt durchführen), die Unfallchirurgie (zuständig für jegliche Art von Unfällen), die Neurochirurgie(für Operationen, die am Gehirn und der Wirbelsäule vorgenommen werden) und die Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie (die Abteilung für Operationen am Kiefer und im Gesicht). Aus diesem Grund haben wir die unterschiedlichsten Patienten zu versorgen.
Pünktlich um 6 Uhr gehe ich zu meinem Arbeitskollegen, der in meinem Arbeitsbereich am Bett des Patienten steht, um mir am PC eine Übergabe zu machen, bei der ich die Diagnosen des Patienten erfahre sowie die wichtigsten Informationen der letzten Tage.

Ich habe heute vier Patienten: Der eine Patient hat eine neue Niere bekommen und muss nun dialysiert werden. Das ist sehr aufwendig, da man die Dialysemaschine regelmäßig kontrollieren muss. Meine zweite Patientin ist nicht viel älter als ich, wurde vom Auto angefahren und muss nun in einem rotierenden Bett gelagert werden. Die Patientin liegt im künstlichen Koma und wird über einen Beatmungsschlauch beatmet. Diese Situationen sind für mich sehr schwierig, weil die Patientin so jung ist.

In dem nächsten Zimmer liegt mein dritter Patient. Der Mann ist um die 40 Jahre alt und während der Arbeit vom Gerüst gestürzt. Er hat eine sehr große Blutung im Kopf und kann nicht weiter am Leben gehalten werden. Die Blutung ist so groß, dass dieser Mann nach einer sehr langen und sorgfältigen Untersuchung (Hirntoddiagnostik) für Hirntod erklärt wurde. Der Patient zeigt keinerlei Reaktionen mehr. Die Angehörigen möchten die Organe des Patienten spenden und somit wird eine organerhaltende Therapie durchgeführt.

Meiner vierten Patientin wurde ein Gehirntumor entfernt. Die Patientin liegt auch im künstlichen Koma und wird über einen Beatmungsschlauch beatmet. Die Patientin bekommt sehr hochdosierte Blutdruckmedikamente, die den Blutdruck aufrecht erhalten. Die Patientin ist insgesamt sehr kreislaufinstabil.

Da ich nun einen Überblick über die Patienten habe, kann ich nun die Medikamente für meine Schicht aus dem Medikamentenlager besorgen und muss diese dann zeitnah vorbereiten. Anschließend kann ich mit der Grundpflege meiner Patienten beginnen. Die Grundpflege beinhaltet unter anderem, die Patienten zu waschen, ihre Verbände zu wechseln und den Patienten nach seinem Befinden zum Beispiel in den Stuhl zu mobilisieren.
Hierbei lernt man die Patienten kennen und kann sich einen Eindruck über die Situation machen.

Ab 7 Uhr fangen dann die Arztvisiten bei den Patienten an. Nach der Visite gibt es verschiedene Anordnungen, wie zum Beispiel Medikamentenänderungen, Therapieänderungen und anstehende Untersuchungen, die abgearbeitet werden müssen, und bei wachen Patienten unendlich viele Fragen, die sie sich nicht getraut haben zu fragen.

Um 10Uhr bin ich mit der ersten Arbeit fertig und ich kann mich bei meinen Kollegen, die neben mir arbeiten, abmelden, um meine halbstündige Pause zu machen.
Die Pause verbringe ich in dem Sozialraum, zu dem nur das Personal Zutritt hat.
Nach einer kleinen Stärkung geht es weiter. Der dritte Patient, der die Organe spenden wird, wurde von der Deutschen Spender Organisation gründlich untersucht und bis ins kleinste Detail überprüft, ob er für die Organspende geeignet ist. Die Organe können entnommen werden und der Patient muss das letzte Mal für eine OP vorbereitet werden. Der Patient wird dafür an einem Transportturm angeschlossen, auf dem ein Monitor, sowie eine Beatmungsmaschine vorhanden ist.

Nun wende ich mich der Patientin mit dem entnommenen Hirntumor zu. Plötzlich muss alles ganz schnell gehen. Der Monitor zeigt eine Asystolie, das heißt einen Herzstillstand, an. Notfall bei meiner Patientin. Ich beginne mit der Reanimation, der Wiederbelebung meiner Patientin. Ärzte und Arbeitskollegen eilen herbei, um zu helfen. Im Handumdrehen werden Medikamente verabreicht und die Wiederbelebung durchgeführt. Nach etwa 10 Minuten Erleichterung: die Patientin hat wieder einen eigenen Herzschlag und einen ausreichenden Blutdruck. Der Grund für diesen Stillstand muss nun geklärt werden.

Gegen 12:30 Uhr kommen die Angehörigen der jungen Frau zu Besuch. Als ich sie hineinbitte, fällt mir auf, dass sie auch meine eigenen Eltern sein könnten. Sie machen sich große Sorgen und stellen mir viele Fragen. Ich versuche mit viel Einfühlungsvermögen alle Fragen zu beantworten und verweise sonst weiter an den Arzt. Es ist nicht leicht sich mit diesen sorgenden Eltern zu unterhalten, doch am wichtigsten ist, dass man ehrlich ist. Es wird noch lange dauern, bis die Patientin wieder gesund ist, wenn sie es schafft, aber sie hat eine kleine Chance, die sie, wenn sie stark ist, nutzen kann und das wünsche ich mir für die Patienten.

Den ganzen Tag über müssen die regelmäßigen Medikamente verabreicht, der Allgemeinzustand der Patienten und natürlich auch die Vitalfunktionen überwacht werden. Zudem werden die Patienten, die dazu nicht selbst in der Lage sind, etwa alle 4 Stunden gelagert, damit sie keine Druckstellen bekommen. Leider läuft der Tag nicht immer wie geplant ab, sondern es gibt fast täglich Zwischenfälle, wie zum Beispiel Notfälle und Untersuchungen, die dann Vorrang haben.

Um 14 Uhr kommt dann die ersehnte Ablösung und für mich heißt es gleich endlich Feierabend.
In der Umkleide verbinde ich das Abwerfen der Arbeitskleidung gleichzeitig mit dem Abwerfen der Gedanken an die Patienten. Man darf die einzelnen Patienten mit ihren Geschichten nicht zu nah an sich heran lassen und vor allem nicht mit nach Hause nehmen. Der Tag war insgesamt sehr stressig und ich hatte viel zu tun, aber trotzdem macht mir meine Arbeit Spaß, auch wenn es natürlich Tage gibt, an denen ich an meinem Beruf zweifle.

Nun fahre ich nach Hause, bevor ich um 17 Uhr wieder zur Schule muss. Ab morgen habe ich dann Spätdienst.
Besonders wichtig finde ich es in meinem Beruf wegen der hohen psychischen und physischen Belastungen einen Freizeitausgleich zu haben. Ich gehe gerne schwimmen und kann mich auf diesem Weg sehr gut auspowern und neue Kraft schöpfen.

Autor:

Nora Heidelbach aus Castrop-Rauxel

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