"Mein Mann ist im Knast"

Jeden Montag, seit zehn Jahren, geht Ex-Kaufmann Franz-Josef Nüsse in die Essener Justizvollzugsanstalt -als Betreuer - in der jetzigen Gruppe sind drei Häftlinge, die wegen versuchten Mordes ein Urteil bekommen haben. Fotos: Gohl
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  • Jeden Montag, seit zehn Jahren, geht Ex-Kaufmann Franz-Josef Nüsse in die Essener Justizvollzugsanstalt -als Betreuer - in der jetzigen Gruppe sind drei Häftlinge, die wegen versuchten Mordes ein Urteil bekommen haben. Fotos: Gohl
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Seit 10 Jahren zieht’s Ex-Kaufmann in die Justizvollzugsanstalt!

Montagvormittag. Das Telefon klingelt. „Mein Mann ist leider nicht da. Der ist im Knast!“ Funkstille. Pause…Tatsache, jeden Montag sitzt, nein geht Franz-Josef Nüsse in die Essener Justizvollzugsanstalt, Krawehlstraße. Seit zehn Jahren! Trotzdem muss der Essener Ex-Kaufmann immer das gleiche über sich ergehen lassen. Der Stadtspiegel im Interview mit dem Jubiläums-Knast-Gänger über schwere Kontrollen, „schwere Jungens“ und mehr.

Früher war der Kaufmann Franz-Josef Nüsse quasi der Franz-Dampf in allen Gassen. Als Rentner spurtet er seit zehn Jahren in die JVA, montags, 10-12 Uhr.
Wie wurde das Jubiläum von der Behörde gefeiert?
„Das Ehrenamt wurde nicht gefeiert.“

Welche Voraussetzung muss als Betreuer erfüllt werden?
„Besuch des VHS-Kurs, durchgeführt vom Leiter des Sozialdienstes der JVA. Anschließend Sicherheitsprüfung. Das politische Führungszeugnis muss gut sein; der Verfassungsschutz wird auch eingeschaltet. Wird man den Anforderungen gerecht, erhält man einen Ausweis als ehrenamtlicher Betreuer; erneuert in regelmäßigen Abständen von drei Jahren.“

Hatten Sie schon Kontakt mit der Polizei?
„Ja. Ich parkte auch schon mal falsch; fuhr zu schnell. Das sind Ordnungsstrafen, keine Straftaten. Insofern bin ich noch straffrei.“

Werden Sie auch montags in der JVA kontrolliert?
„Ja, die Kontrollen sind nach wie vor gleich streng. Besonders wenn ein „Vorfall“ in der JVA war, wenn Handy, Drogen gefunden wurden. Das geht soweit, dass selbst das Taschentuch an der Pforte aufgefaltet werden muss. Die Jacke wird umgekrempelt, nicht nur mit dem Piepser abgetastet, sondern mit den Händen. Uhr abgeben, weil es Handy-fähige gibt.“

Veränderungen bei den Gefangenen?
„Vor zehn Jahren gab es schon Leute in der circa zehn-Personen-Gruppe, die des Mordes angeklagt waren. Jetzt auch. Augenblicklich drei Häftlinge, die wegen versuchten Mordes ein Urteil bekommen haben. Der Wechsel ist stark, die JVA ist ein Kurzstrafen-Gefängnis; bei längeren Haftstrafen werden die Leute dann verlegt.“

Angst vor Mörder?
„Die sind in der Gruppe wie „normale Menschen“. Seit fünf Jahren besuche ich mit einer Kollegin den Kreis. Bin ich nicht da, macht die es allein – und umgekehrt. Angst braucht man nicht zu haben. Wir sind ohne Aufsicht. Die Leute freuen sich natürlich, wenn sie aus der Zelle raus kommen, um einfach mal mit anderen zu sprechen; die haben auch ihre Probleme, die sich aus Haftzeit, Straftat ergeben.

Belasten Sie die Gespräche?
„Nein. Ich versuche, aus der Unterhaltung heraus Zuspruch oder Hilfestellung zu geben, damit sie die Haftzeit komplikationslos überstehen; bei circa 500 Häftlingen auf sehr begrenztem Raum. Da entwickelt sich schnell ein Konfliktpotential.“

Wie entstand die JVA-Anziehung?
„Nach meiner beruflichen Tätigkeit hatte ich genügend Zeit, mich einer neuen Aufgabe zuzuwenden. Nach einem Zeitungsbericht über ehrenamtliche Betreuung im Gefängnis sprang der Funke über. Für mich keine Allerweltstätigkeit, wobei ich jede ehrenamtliche Tätigkeit schätze. Aber dadurch kam ich mit einem Personenkreis in Berührung, mit dem ich vorher nie Kontakt hatte. Ich habe dabei viel gelernt, auch Spaß gehabt. Ja, auch den Eindruck, dass ich dem einen oder anderen habe helfen können – sei es nur in Form moralischer Aufrüstung. Lebenserfahrung ist wichtig! Im Gefängnis sind nicht nur Eierdiebe, auch Häftlinge mit geballter Intelligenz. Einen davon habe ich in der Gruppe – bis dahin eine hoch angesehene Persönlichkeit.“

Gibt es ‚Knast‘-Neuerungen?
„Der Justizminister verbietet Weihnachtspäckchen, voraussichtlich gab es die 2014 letztmalig. Weil das Land NRW ein neues Strafvollzugsgesetzt verabschiedete, aus dem hervorgeht, dass das Einbringen von Lebens- und Genussmitteln nicht mehr gestattet ist.“

Jetzt Geld für Häftlinge?
„Ich schrieb an das Justizministerium Pressereferat u. a., dass es schon Mitleid erregend ist, wenn einer mittellos ist, 600 Euro Strafe nicht bezahlen kann, für 100 Tage in die JVA einkehrt…Ich bat um Überprüfung. Die Antwort vom Pressereferat, Detlef Feige: Dass letztendlich immer wieder versucht wurde, auf diesem Weg Dinge in Haftanstalten einzuschleusen, die dort Probleme verursachen. Der Justizminister der Länder NRW glaubt, mit dem Weihnachtspäckchenverbot das stärker verhindern zu können. Häftlinge haben die Möglichkeit, in der JVA 2 x im Monat einzukaufen.

Wo liegen da die Probleme?
„ Preise, die dort verlangt werden, liegen jenseits von gut und günstig; volle Kanne! Gefangene haben zwar Geld, das ist aber sehr differenziert zu sehen. Untersuchungshäftlinge können im Monat für ca. 230 Euro einkaufen. Die das „Moos“ haben, sind auf Weihnachts-Päckchen nicht angewiesen. Aber ein weiteres Problem in Essen ist, dass mangels Möglichkeit, durch Arbeit in der JVA sich zusätzliches Geld zu verdienen, nicht gegeben ist. Raucher – circa 95 % sind es, haben Schwierigkeiten, sich mit Tabak, Blättchen, versorgen zu können. Wenn die noch einen süßen Zahn haben, gerne mal Schokolade, einen Keks essen, ist das Limit schnell erschöpft. Wenn der Minister jetzt sagt, man kann ja statt Genuss-, Lebensmittel den Leuten Geld zur Verfügung stellen, dann bedeutet das hinten dran, dass die dafür aufgrund der Gegebenheiten weniger haben als wenn eben Weihnachtspäckchen von außen eingebracht, geschenkt werden.
Ich möchte nichts Schönreden, aber trotz allem was der Mensch getan hat: Der Häftling bleibt ein Mensch. Deshalb hat er es auch verdient, menschlich behandelt zu werden.“

Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

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