BUCHTIPP DER WOCHE: Ungleiche Freunde

„Ich hatte immer Sehnsucht nach einem großen Bruder. Mit Nilowsky habe ich ihn mir erschaffen“, klärte Autor Torsten Schulz über den Protagonisten seines zweiten Romans auf.

2004 hatte der Potsdamer Professor für Dramaturgie mit „Boxhagener Platz“ ein beachtliches und später von Matti Geschonneck erfolgreich verfilmtes Romandebüt vorgelegt. Wie in seinem Erstling ist auch nun die Handlung im Berliner Osten angesiedelt.
Der Ich-Erzähler Markus Bäcker ist vierzehn Jahre alt und gerade mit seinen Eltern an den Stadtrand gezogen, in ein schäbiges Umfeld, in Riechweite eines Chemiewerks und unmittelbar an einer Bahnlinie gelegen. Ausgerechnet in dieser ihm zunächst verhassten Gegend lernt er 1976 die für seine Jugend prägende Figur kennen – den vier Jahre älteren Reiner Nilowsky, Sohn eines zwielichtigen Kneipenwirtes des Viertels.
Nilowsky ist ein Typ, vor dem alle wohlmeinenden Eltern vermutlich ihre Kinder eindringlich warnen: ein autoritärer Leithammel mit kruder Weltsicht, primitiv und anarchisch, ein verträumter Spinner und gnadenloser Aufschneider – mal liebenswert, mal cholerisch. Die Beziehung zwischen den ungleichen Freunden ist äußerst schwierig, erinnert ein wenig an ein autoritäres Herr-und-Knecht-Verhältnis. Nilowsky treibt mit dem jüngeren Markus allerlei Schabernack. Als Mutprobe muss der Jüngere im Winter die Bahnschienen lecken, bei den herrschenden Minusgraden bleibt die Zunge kleben, Markus bekommt es mit der Angst zu tun. Panik breitet sich in ihm aus, er hört schon den Lärm des nahenden Zugs, als ihn Nilowsky (wie eklig!!) mit seinem Urin von seinen Todesängsten „erlöst“.
Das Verhältnis zwischen Markus und Nilowsky wird noch komplizierter, weil sie irgendwann beide für das gleiche Mädchen schwärmen – für die geheimnisvoll-naiv gezeichnete Carola, die sich vorgenommen hat, nicht älter als dreizehn aussehen zu wollen.
Der 54-jährige Torsten Schulz hat wie schon in seinem Debüt ein feines Händchen für skurrile Figuren bewiesen. In einem Handlungsschlenker begegnen wir einer Gruppe älterer Frauen aus dem Viertel, die sich mit Afrikanern vergnügen und sich auf fragwürdige Voodoo-Zauberei zur Steigerung des „Liebesdurstes“ einlassen. Auch die Episode um die Beerdigung von Nilowskys brutalem Vater entbehrt nicht einer gewissen Komik. Nilowsky lässt Musik vom Plattenspieler laufen, die der Vater gehasst und von der sich seine bereits vor langer Zeit gestorbene Mutter einst dauerberieseln ließ. So wird die Beerdigung noch zum symbolischen Racheakt.
Die pubertären Irrungen und Wirrungen, eine Freundschaft der ganz speziellen Art, ein geheimnisvolles Dreiecksverhältnis, die Akzeptanz einer Autorität außerhalb der Familie und die Rebellion gegen die Erwachsenenwelt sind die zentralen Themen des zweiten Romans von Torsten Schulz, der ohne jede Ostalgie einen scharfen Blick auf das kleinbürgerlich-proletarische Milieu der DDR wirft.
„Ich fühlte mich geborgen in seinen Armen und musste noch heftiger heulen, so heftig, dass mein Körper bebte. Nilowsky drückte mich fest an sich und sagte: ,Ist gesund, wenn man heult, richtig heult.“ Es sind gerade solch simpel klingende Dialoge, die diesem Roman ein Höchstmaß an Authentizität und darüber hinaus auch eine singuläre Melodie verleihen. Mal herzzerreißend komisch, mal tieftraurig – ein Roman, der wunderbar zwischen Komik und Tragik changiert.

Torsten Schulz: Nimlowsky. Roman. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2013, 285 Seiten, 19,95 Euro

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Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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