Das Prinzregenttheater lotet mit „Sisyphos!“ das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung aus

Der Schauspieler Linus Ebner und der Musiker und Performer Martin Widyanata erschließen die Sisyphos-Thematik für die heutige Zeit. | Foto: Schuck
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In ihrer ersten eigenen Regiearbeit in dieser Spielzeit widmet sich Romy Schmidt, noch bis Juni Intendantin des Prinzregenttheaters, der Figur des Sisyphos, der, so hat der Philosoph Albert Camus behauptet, ein glücklicher Mensch sei. Gemeinsam mit dem Schauspieler Linus Ebner und dem Musiker Martin Widyanata hat Schmidt im Rahmen einer Stückentwicklung einen Zugang zum Stoff gefunden, der die Erfahrung des Absurden und das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung fokussiert.

Das Bild des Sisyphos, der einen Stein immer wieder einen Berg hinaufrollt, nur um festzustellen, dass er wieder ins Tal rollt, ist aus der griechischen Mythologie bekannt. Die Sisyphos-Aufgabe steht sprichwörtlich für eine beschwerliche, aber letztlich nutzlose Tätigkeit, ohne dass ein Ende der Mühen in Sicht wäre. Camus' Bild des glücklichen Sisyphos scheint da durchaus provokativ.
Die Annäherung des Prinzregenttheaters nutzt Homers Sisyphos-Erzählung und Camus' philosophische Umdeutung der Figur als Ausgangspunkt für Überlegungen, was die Geschichte hier und heute bedeuten mag. Die Inszenierung installiert dabei zunächst ein trojanisches Pferd, indem sie mit stellenweise derbem Witz die Thematik umkreist. Danach wird es dann zunehmend ernster.

Das Absurde wird im Alltag aufgespürt

Das Absurde kommt dabei durch die Hintertür: Wer sein Hobby zum Beruf macht, muss unter Umständen feststellen, dass er seine Leidenschaft nicht mit anderen teilen mag. Aber nun ist es zu spät: Die geliebte Modelleisenbahn ist längst zum Objekt unqualifizierter Kommentare geworden. Hilflose Versuche, die alte Passion erneut zu entfachen, laufen ins Leere. Hier geht es offenbar nicht um einen glücklichen Menschen.
Aber wie kann das Rollen des Steins, der ja doch seinen Weg ins Tal findet, eine erfüllende Tätigkeit sein? Eine mögliche Antwort gibt es gegen Ende der Performance. Da geht es um diejenigen Pädophilen, die darum ringen, ihre Neigung nicht auszuleben und keine Übergriffe auf Kinder zu begehen. Die jeden Tag am Spielplatz vorbeigehen und ihre sexuellen Bedürfnisse kontrollieren. Hier mag eine Aufgabe, die man lebenslang Tag für Tag erfüllen muss, durchaus sinnstiftend sein, auch wenn sie enorm kräftezehrend ist und bleibt. Freiheit bedeutet, Entscheidungen treffen zu können (und zu müssen), die den eigenen Moralvorstellungen entsprechen – oder gegen sie verstoßen. In diesem Sinne ist Verantwortung ohne Freiheit nicht möglich; Verantwortung muss durch die Entscheidung für das Richtige oder – bescheidener – das Richtigere errungen werden.
Das etwa 100-minütige Stück verzichtet auf eine durchlaufende Handlung, ist aber in klar unterscheidbare thematische Blöcke gegliedert. Sie werfen ein oft durchaus komisches Schlaglicht auf das menschliche Dasein. Linus Ebner spielt die Rolle des um Sinn ringenden Menschen – oder verschiedener Menschen – mit viel Energie. Widyanatas Musik verdeutlicht mit wiederkehrenden Klangstrukturen, dass diese Aufgabe immer wieder zu bearbeiten ist. - Ein ungewöhnliches Theatererlebnis.

Termine
„Sisyphos!“ ist am Sonntag, 18. März, um 18 Uhr wieder im Prinzregenttheater, Prinz-Regent-Straße 50-60, zu sehen.
weitere Termine: Dienstag, 3. April, 19.30 Uhr; Mittwoch, 4. April, 19.30 Uhr; Dienstag, 12. Juni, 19.30 Uhr.
Die letzte Vorstellung folgt am Mittwoch, 13. Juni, um 19.30 Uhr.
Das Theater ist unter Tel.: 77 11 17 zu erreichen.

Der Schauspieler Linus Ebner und der Musiker und Performer Martin Widyanata erschließen die Sisyphos-Thematik für die heutige Zeit. | Foto: Schuck
"Sisyphos!" verlangt den Akteuren auch körperlich viel ab. | Foto: Schuck
Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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