Depression, Vermisstenmeldungen und Suizidalität

Dieses Bild ist nicht das Foto der Gesuchten. Es bildet das Gesicht einer Puppe ab.
2Bilder
  • Dieses Bild ist nicht das Foto der Gesuchten. Es bildet das Gesicht einer Puppe ab.
  • hochgeladen von Sabine Schemmann

Die Meldung war schmal, aber auffällig, weil sie Dringlichkeit vermitteln musste und man auf Rückmeldungen aus der Bevölkerung angewiesen ist. Sie machte aber auch betroffen, weil sie an Grenzen rührte, die nicht immer so ganz einfach abzustecken sind. So stellte sich sehr schnell die Frage:
Wie weit darf die Meldung einer Tageszeitung gehen und wann verletzt sie das Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung?

Gesucht wird eine 48-Jährige aus Bochum, die am Mittwochnachmittag des 08.01.14 zum letzten Mal gesehen wurde. Sie verschwand aus einer Klinik im hessischen Bad Arolsen. Zusammen mit dem Foto der Gesuchten folgt die Beschreibung ihres Aussehens. Diese Meldung sollte reichen, aufmerksam zu machen und darauf zu achten, ob sie irgendwo gesehen wird. Die Tageszeitung aber geht noch weiter:

„48-jährige Bochumerin wird vermisst / Polizei in Hessen sucht sie / Depressionen“, so lautete die Überschrift. Im Text heißt es dann: „Die Vermisste ist den Angaben zufolge depressiv und befand sich in psychiatrischer Behandlung. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie sich mit Suizidgedanken trage.“

Stopp!
Ist das hier wirklich nötig?
Eine Frau aus Bochum ist an einer Depression erkrankt und sie ist womöglich gerade ganz bewusst nicht in Bochum in Behandlung, sondern weit entfernt in Hessen. An einer Depression erkrankt zu sein, kann heute leider immer noch nicht ganz so einfach zugegeben werden, weil die gesellschaftlichen Folgen nicht sicher abzuschätzen sind. Natürlich kann eine solche Meldung Wegbereiter sein, offener mit der Erkrankung umzugehen. Der Schuss kann aber auch ganz schlimm nach hinten losgehen.

Ein Mensch mit einer Depression ist ganz extrem sensibel und sehr schwer krank, weil sie den ganzen Körper mitnimmt und beeinflusst.
Eine Depression ist schambehaftet und der Umgang mit ihr rührt an den Rechten der eigenen Persönlichkeit.
Nur der Betroffene entscheidet darüber, ob er sich anderen mitteilen möchte oder nicht.

Die Aufklärung darüber, dass eine Depression jeden treffen kann und auch vor den Experten selbst nicht Halt macht, kann noch so gut sein, es bleibt immer noch ein Makel. Manchmal ist es deshalb besser, wenn Arbeitgeber, Freunde und Bekannte nicht davon erfahren, weil Ausgrenzung und/oder Entlassungen nicht ausgeschlossen werden können. Deshalb kann es im Einzelfall auch besser sein, sich an einem solchen Ort in Behandlung zu begeben, an dem man nicht erkannt wird. Im Fall der Vermissten aus Bochum ist das jetzt nicht mehr möglich. Ganz Bochum weiß nun, dass Frau XY eine Depression hat und in einer Psychiatrie gewesen ist.

Was eine solche öffentliche Kundgebung mit einem Menschen machen kann, der derart schwer an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, dass er in eine Klinik geht und mit Suizidgedanken kämpft, ist unschwer zu erraten. Die Scham und die körperlichen Schmerzen darüber, dass jetzt alle wissen, was womöglich gerade niemand wissen sollte, kann den letzten Anstoß geben, in den Tod zu gehen. Es bleibt zu hoffen, dass die 48-Jährige noch lebt - und dass sie vor allem diese öffentliche Entblößung über-lebt.

Zurück bleiben Ratlosigkeit über das Vorgehen der Presse und die Frage, wo die ärztliche Schweigepflicht über die Behandlungsverhältnisse und über das, was ihnen anvertraut wurde und was sie über den Patienten wissen, hier eigentlich geblieben ist?
Behandelnde sind zur Offenbarung nur befugt, wenn es zum Schutz eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. Der Polizei gegenüber werden sie offenbaren müssen, wenn es um den Schutz bzw. die Gefährdung des kranken Menschen geht.
Aber sicher nicht all jenen gegenüber, die nichts angeht, welche konkrete Erkrankung ein Mensch hat, der verschwunden ist. Denn in allen Fällen der Unterrichtung Dritter hat sich der Behandelnde auf das im Einzelfall erforderliche Maß an Information zu beschränken. Über die Weitergabe von Informationen ist unter Berücksichtigung der Folgen für den Patienten und für dessen Therapie zu entscheiden.
Und das kann unter Umständen verheerend sein.

Dieses Bild ist nicht das Foto der Gesuchten. Es bildet das Gesicht einer Puppe ab.
Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

12 folgen diesem Profil

5 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.