Einsamkeits-Challenge

Ist Einsamkeit ein Tabuthema ? Wir haben die Möglichkeit, per SMS, Skype, E-mail und ständiger Bereitschaft im Internet, ständig zu kommunizieren. Aber sehen wir auch noch den Menschen, der real neben uns sitzt. Werden wir von jenen, die immer auf das kleine flache Rechteck schauen überhaupt noch wahrgenommen. Kann man mittlerweile nackt durch die Stadt gehen, ohne das es auffällt ? Ein paar Gedanken zum Tabuthema "Einsamkeit" möchte ich hier verbreiten:

Im Facebook tobt seit geraumer Zeit jeden morgen um 6.45 Uhr eine Schlafanzug-Challange. Dort können Mitglieder aus dem Bereich der Freiberuflichkeit Dinge posten, die das Geschäftsleben betreffen – Werbung, Kundenumgang, Eigener Auftritt usw.

Eine Facebook-Mitarbeiterin von mir macht da mit und deshalb weiß ich überhaupt davon. Ich könnte so was nicht. Jeden Morgen pünktlich um die gleiche Zeit 10 Minuten nach Vorgaben etwas posten, was dann anschließend kritisiert wird wegen schlechtem Stil, schlechter Grammatik usw. Das wäre für mich kein schöner Tagesbeginn. Da schaue ich mir lieber ein Katzenvideo an.

Ich überlege, ob ich nicht eine „Einsamkeits-Challange“ ins Leben rufen soll. Jeden Abend zwischen 23.30 und Mitternacht können Menschen posten, wie einsam sie am Tag waren. Was hat sie einsam gemacht ? Was hat die Einsamkeit mit Ihnen gemacht ?

Einsamkeit ist ein großes Tabuthema. Sich zu ihr zu bekennen, kommt einem Stigma gleich. Weil der gesunde Mensch ist ein Herdentier und hat demzufolge immer Gesellschaft um sich haben, die er hegt und pflegt. Über die Hege und Pflege der Freundespersonen wird ja auch entsprechend viel kommuniziert, wenn man sich denn mal mit Leuten trifft. Wo sie waren, mit wem sie waren, was sie gemacht haben – was die anderen gemacht haben usw. Manchmal wird aus dem Gespräch ein Rapport der mit Freunden erledigten Dinge.

Ich beschäftige mich mit dem Thema Einsamkeit seit ich auf der Welt bin. Schon als sehr kleines Kind wurde mir bewußt, daß das Nichteinsamsein seinen Preis hat – umso mehr konnte ich das sensibel nach empfinden, weil ich ohne Geschwister aufwuchs, die mich in meinem Handeln stets hätten stören können. Da lernt man schon sehr früh eine „Grundeinsamkeit“ kennen, weil die Erwachsenen niemals andere Kinder ersetzen können und somit zwischen mir und den Erwachsenen immer etwas Trennendes war, obwohl sie mich doch liebten und nach bestem Ermessen verwöhnten.

Ich hatte 19 Puppen und 4 Teddybären, mit denen ich schon sehr früh anfing Schule zu spielen – und ich ließ dabei keine Verfehlungen zu. Tanzte eines der Schulkinder aus der Reihe, mußte es in der Ecke stehen oder zehn Vater-unser beten. Manche mußten auch nachsitzen. Das war eine meiner kleinen Welten im Haus der Eltern. Die Hauswirtschafterin brachte mir schon mal einen Teller mit Eclaires und einen heißen Kakao und somit etwas lukullische Abwechslung in meine „Schulklasse“ - dann war ich für kurze Zeit Kind. Aber sobald sie wieder draußen war, übte ich mich an den Puppen und Teddybären in meinen pädagogischen Fähigkeiten weiter.

Dieses "sich mit sich alleine beschäftigen" tat mir gut und ich liebe und beherrsche es heute noch in allen Facetten. Ich kann an hohen Feier- und Festtagen durchaus über Tage alleine sein und mich einer Sache annehmen. Kann die Einsamkeit an solchen Tagen hören und riechen. Sie kriecht irgendwann durch alle Ritzen und hält mich eisern umschlungen. Nein, Angst macht mir das nicht. Es bestätigt mich darin, das sie in einer bestimmten Art und Weise Ironie auslösen kann. Ironie gegenüber den Landfrauen, die im TV im Kreise ihrer wohlgelungenen Familien immer so toll kochen, umgeben von wohlgeratenen Freundinnen´, die auch alle gut kochen können. Solche sind nicht einsam. Die sind nach der Schule den geraden Weg gegangen in eine gut funktionierende Ehe mit gut funktionierenden Kindern und einem gut funktionierenden immer währenden Freundeskreis.

Nicht jedem ist ein solches Dauerglück beschieden. Manche müssen über hohe Klippen springen, um irgendwie gesund durchs Leben zu kommen und kennen die Einsamkeit. Die Einsamkeit, auf der Straße leben zu müssen, die Einsamkeit der Arbeitslosigkeit, die Einsamkeit des Kranken. Die Einsamkeit desjenigen, der Angst hat vor Menschen. Es gibt viele Gründe, sich in der Einsamkeit wiederzufinden – egal ob freiwillig oder unfreiwillig.

Die Handykultur trägt nicht gerade dazu bei, die Einsamkeit in der Gesellschaft zu verjagen. Was soll ich denn mit jemanden ein Gespräch beginnen, der es vorzieht, in meiner Gegenwart ständig auf eine rechteckige Scheibe zu starren ? Diese Scheibenglotzer sind doch mittlerweile überall im öffentlichen Raum und lassen keine Kommunikation mehr zu.

Über Facebook oder Schreibforen die Einsamkeit zu bekämpfen, ist ein netter Versuch, kann auch für den Moment eine Menge geben – aber es ist etwas anderes, sich Aug in Aug gegenüberzusitzen bei einer Quiche Lorraine und einem Edelzwicker dazu und bei ungespültem Geschirr auf dem Tisch stundenlang vom Hölzken aufs Stöcksken zu kommen.

Diese Kultur scheint mir in meinen mir bekannten Kreisen eher rückläufig – für mich jedenfalls. Oder sie betreiben diese Kultur alle immer noch weiter – und ich weiß nichts davon.

Ich traf dieser Tage eine depressive Frau, die seit einem Jahr in einer Klinik behandelt wird. Sie sei wegen der Einsamkeit depressiv geworden, erzählte sie mir. Da sei so niemand mehr. Und sie sehe keinen Sinn mehr im Leben – und ich solle ihr jetzt nicht kommen mit Wander- und Freizeitgruppen. Sie habe die Schnauze voll vom ständigen Anbaggern anderer Leute – ihr Ziel sei es, zu lernen mit sich alleine klarzukommen. Ganz bewußt die Einsamkeit annehmen und lieben. Sie könnte sich vorstellen auf den Orknay-Islands eine kleine Hütte am Meer zu mieten und dort in der Natur sich ein Leben aufzubauen mit einigen Minimalkontakten im Ort, wenn sie mal einkaufen gehe. Das würde schon reichen.

Einsamkeit, ein Tabuthema ? Ist das so ? Oder kann man darüber offen sich austauschen ? Ist es eine Schande, zu sagen „Ich bin einsam“ ? Weil damit eventuell persönliche Mängel offen gelegt werden ? Man ist zu blöd und zu uninteressant für andere ! Das wird es wohl sein, was aus diesem Zustand „Einsamkeit“ ein Tabuthema macht.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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