Heimweh nach der Südsee

Ich habe Heimweh nach der Südsee, obwohl ich dort noch nie war. Komisch, nicht wahr ? Wie kann ich das denn als „Heimweh“ bezeichnen – richtiger würde es doch lauten, das ich „Fernweh“ habe.

Aber es ist kein Fernweh – es ist wirkliches echtes Heimweh. Viele Bücher über die Südsee halten schon seit Jahren dieses Heimweh in mir aufrecht – die entsprechenden Südseegesänge dazu liefern mir die passenden Gefühle. Warme Gefühle ziehen durch mich hindurch, wenn ich die Trommeln höre und den Klang der Ukulelen. Ich sehe mich im Geiste im Kreise der Südseeinsulander mittanzen, falle in Trance, bin eins mit mir und dem Sternenhimmel an dem ein riesiger lilafarbener Vollmond wie eine schwere Lampe hängt.

In der Hafenbar von Papeete sitze ich häufig in Gedanken und trinke einen Batida de Coco, ach vielleicht auch zwei. Dort sehe ich interessante Weggefährten aus allen Teilen der Welt. Zugereiste Menschen, die dort seit Jahren leben, weil sie ebenfalls dieses unsägliche Heimweh nach der Südsee verspüren.

In meiner Vorstellung hat in dieser Südseewelt jeder Mensch seinen Platz – unabhängig davon, ob er über viele Fähigkeiten verfügt oder am liebsten den Mond anhimmelt.

Liebe wird groß geschrieben. Hand in Hand promenieren die Menschen unter den Kokosbäumen einher, immer darauf achtend, das ihnen keine Nuß auf den Kopf fällt. Das war in Südseegefilden immer ein großes Problem. Schwere Kokosnüsse waren durchaus in der Lage beim Treffen auf einen menschlichen Kopf, den Schädel zu zertrümmern.

Daher wurde die Kunst der Trepanation (Entfernen der Schädeldecke) als erstes auf den Südseeinseln erfunden und häufig wurde der entfernte zertrümmerte Schädel durch eine halbe Kokosnuss ersetzt.

Kannibalismus gab es in früheren Zeiten dort auch. Hermann Melville beschreibt in seinem zauberhaften Buch „Taipi“, wie ein Schiffsbrüchiger nach einer Meuterei Anfang des 19. Jahrhunderts auf einer Südseeinsel anlandet. Er wußte, das es in dieser Region zwei Inseln gab – auf einer lebten Kannibalen und auf der anderen nicht. Während der gesamten Romanhandlung läßt Melville offen, ob der Protagonist auf der Kannibaleninsel sich befindet oder auf der anderen.

Manches deutet auf Kannibaleninsel hin – aber andere Szenen sind geprägt von einer unendlichen Sorgfalt und Liebe der Menschen zueinander. Kinder, die einander nie anschreien oder sich gegenseitig verprügeln. Paare, die Zärtlichkeiten austauschen statt nach Treuerschwüren zu gieren. Alte Menschen, die das Sagen haben über das Dorfgeschehen, weil man auf ihre Altersweisheit baut.

Unter diesen Umständen ist es doch schon fast egal, ob man unter Kannibalen lebt...

Wenn in der Hafenbar von Papeete die Nacht heranbricht, Coctails über den Thresen gereicht werden und die Musik zum Tanze erklingt, dann soll es mir egal sein, ob ein Kannibale mich küßt.

„Willkommen zu Hause“, wird er sagen, mich über die Schwelle seiner Hütte tragen und unter dem lilafarbenen Vollmond werden seine Küsse schmecken wie Kokosmilch mit Honig...

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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