Kolumne Alsum

Das Gebiet des ehemaligen Alsum ist der Standort des Stahlwerks der Thyssen-Krupp AG. Das Gebiet mit dem kleinen Dorf gehörte ursprünglich einmal zu Hamborn, das 1929 mit Duisburg vereinigt wurde. Ursprünglich lag das Mündungsgebiet der mehrmals verlegten Emscher ebenfalls in Alsum.

1139 wurde dann Alsum (Urlouchem) erstmals urkundlich erwähnt. Für 1348 ist eine Schenkung von Graf Engelbert von der Mark dokumentiert: Er überließ den Alsumern den Schwelgernbruch als Weideland.

Ab 1789 wurde Alsum mit Schwelgern von Beeck verwaltet. 1856 fand Daniel Morian im angrenzenden Hamborn dann erstmals Steinkohle, 1865 auch brauchbare, worin der Beginn der Industrialisierung des späteren Duisburg und damit auch der Untergang der Bauerschaft gesehen werden kann.

Bereits 1891 wurde das erste Stahlwerk Thyssens in Bruckhausen in Betrieb genommen. Alsum hatte zu der Zeit einen kleinen Rheinhafen in der Emschermündung; eine Bahntrasse der Thyssenfabrik führte bis zu diesem Hafen. Dem Wunsch August Thyssens nach einem Ausbau des Alsumer Hafens wurde aber nicht stattgegeben, er wich daher mit dem Bauvorhaben nach Schwelgern aus. 1906 erreichte der Alsumer Hafen mit 1,75 Millionen Tonnen Umschlag seine Höchstleistung, 1913 war er bereits unter die Millionengrenze gesunken, 1926 wurde er durch ein verheerendes Rheinhochwasser stark beschädigt und danach zugeschüttet.

1910 wird die Emscher von Alsum weg nach Norden verlegt, der alte Verlauf bleibt als Alte Emscher erhalten und als Abwasserkanal genutzt.

Alsum erhält im Mai 1930 eine neue, katholische Nikolaus-Kirche. 1944 und 1945 werden über 60 % der Wohnhäuser teilweise oder ganz durch Bombenangriffe beschädigt. Alleine in den wenigen Jahren von 1950 bis 1953 sinkt das Gelände durch den darunter stattfindenden Bergbau über einen Meter ab, weitere Bergsenkungen werden prognostiziert. Der Stadtrat beschließt 1954 die Umsiedlung der Einwohner, die aber nur teilweise ausgeführt wurde. 1956 hat Alsum noch 1293 Einwohner, ungefähr so viel wie fünfzig Jahre zuvor. 1962 sind es noch 744 Einwohner, zwei Jahre später noch 155. 1965 verlässt der letzte Einwohner Alsum. Die Fläche wird zugeschüttet, der Alsumer Berg entsteht.

Als die Thyssen-Werke sich weiter ausdehnen wollten, wurden ihnen ab 1965 große Teile von Alsum und Schwelgern zur Verfügung gestellt. Daher ist Alsum heute als Wohngebiet nicht mehr existent, und Schwelgern ist auf ein kleines Stadion, ein Erholungsgebiet und wenige Häuserzeilen geschrumpft.

Die Rache ist mein! Seit ich einsam und alleine in meiner zugeschütteten Wohnung im Alsumer Berg leben muß, beherrscht mich nur noch dieser Gedanke. Ich bin ein Unterirdischer, ein menschlicher Maulwurf müssen Sie wissen. Meine Augen haben die Sehkraft auf die absolute Dunkelheit umgestellt. Komme ich gelegentlich mal an die Erdoberfläche, blendet mich das Tageslicht. Und wie die Maulwürfe kann ich meine Arme und Hände auch zum Graben benutzen.

Warum ich zu einem Unterirdischen geworden bin, möchten Sie wissen? Die Sache ist schnell erzählt. Ich bin einer der ersten Hausbesetzer Deutschlands. Nach dem Krieg aus Ostpreußen auf der Suche nach Arbeit in den Westen gekommen, kam ich eines Tages nach Duisburg.

Ich hatte zunächst keine Wohnung und keinen Plan, was ich machen soll. Wie ich so durch die Straßen der blühenden Straßen laufe, entdecke ich plötzlich das große, entstehende Werk in Beeckerswerth. Und drumherum viele leerstehende Wohnungen. Eine davon war tatsächlich noch komplett eingerichtet, mit Wasser- und Stromanschluß, Telefon, Fernseher und ganz viel Essen. Müde, wie ich bin, setze ich mich in einen Sessel. Und wache erst wieder auf, wie der Vorgartenrasen von unten nach oben vorbeirauscht. Haus, Hof und Infrastruktur versanken im Boden und wurde zum Opfer eines Bergschadens.

Da es mich ja nie gegeben hat, haben mir die Stadtwerke auch nie Wasser und Strom abgestellt. Und irgendwie habe ich es auch geschafft, immer an Lebensmittel zu kommen - Regenwürmer können ja so lecker sein. Dem Fernseher sei Dank war es auch nie langweilig.

Ich müsse begriffsstutzig sein, meinen Sie? Ich müsse doch versucht haben, mich zu befreien? Ich müsse doch gemerkt haben, daß das Haus zugeschüttet wird? Ja, das kann sein. Mir geht es aber gut. Einzig und allein eine Frau fehlt mir - ich kann es ja nicht nur mit dem Maulwurf-Weibchen treiben.

Kalt und dunkel ist es im Duisburger Norden, wenn dort der Herbst anbricht und die Nebelschwaden vom Rhein heranziehen. Nur noch wenige Menschen wagen sich dann heraus, Frauen schon gar nicht. Ein Geist huscht dann nämlich durch die Straßen, Frauen ohne Begleitung nähert es sich, möchte es ansprechen, sie zu sich einladen, mit ihnen Kaffee trinken, Kuchen essen und mehr. Doch - es geht nicht. Wenn der Wind heult, ist die Stimme unhörbar. Ist es bitterkalt, bleibt niemand stehen, sondern hastet weiter. Und wer sollte sie auch sehen, diese bleiche Gestalt ohne Gesicht?

Autor:

Andreas Rüdig aus Duisburg

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