Thilo Kehrer im Interview: „Mir wurde fast schwarz vor Augen“

Thilo Kehrer ist frisch gebackener U21-Europameister. Für die Medaille hat er beziehungsweise viel mehr sein Vater mittlerweile einen passenden Platz im Elternhaus gefunden.
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Der Interview-Termin mit dem Stadtspiegel Gelsenkirchen verschiebt sich. Thilo Kehrer hat aber gleich zwei gute Gründe. Zum einen lässt er sich häufiger auch prophylaktisch behandeln. Zum anderen hatte Trainer Domenico Tedesco den flexibel einsetzbaren Abwehrspieler nach dem Training noch zum Einzelgespräch gebeten.

Thilo Kehrer ist frisch gekürter U21-Europameister. Im Interview blickt er aber nicht nur auf das erfolgreiche Turnier in Polen oder unter anderem auf sein erstes Profi-Tor ausgerechnet gegen den BVB zurück. Auch seine seit kurzem viel diskutierte Vertragssituation ist Gegenstand der Unterhaltung, in der er außerdem verrät, warum er vielleicht im nächsten Sommer nach Burundi fliegen möchte.

Stadtspiegel: „Herr Kehrer, im Urlaub waren Sie unter anderem mit Leroy Sané für einen Sponsoren-Termin in den USA unterwegs. Wie geht es ihm und wie viel Kontakt haben Sie noch zueinander, seit er vor einem Jahr nach England gewechselt ist?“
Thilo Kehrer: „Wir haben fast täglich Kontakt. Entweder wir schreiben uns oder haben über „Facetime“ Kontakt.“

„Haben Sie zu Joel Matip und Sead Kolasinac, die ebenfalls auf der Insel spielen, ebenfalls noch so einen engen Draht?“
„Zu Joel nicht so viel, was aber auch daran liegt, dass wir nur ein oder zwei Jahre bei den Profis miteinander zu tun hatten. Mit „Seo“ habe ich dagegen mehr Kontakt. Nicht so viel wie mit Leroy, aber ein paar Mal die Woche.“

„Vor der Vorbereitung haben Sie mit der U21-Nationalmannschaft die Europameisterschaft gewonnen. Hat Ihre Medaille, die Ihr Vater zunächst gut aufbewahren sollte, mittlerweile einen geeigneten Platz gefunden?“
„Ja. Mein Vater hat sie samt des Trikots, eines T-Shirts, das wir im Anschluss getragen haben, sowie ein paar Erinnerungsfotos in einen Bilderrahmen gepackt und diesen aufgehangen.“

„Gibt es dafür - wie auch für andere Medaillen insbesondere aus dem Jugendbereich - einen besonderen Platz?“
„In meinem Kinderzimmer zu Hause und auch davor hängen alle Sachen an den Wänden.“

„Nur Wenigen dürfte wirklich bewusst sein, dass Ihre Mutter aus Burundi in Ostafrika stammt. Wie viel Kontakt haben Sie noch dorthin und wie viele Verwandte?“
„Insbesondere durch meine Mutter haben wir schon noch Kontakt dorthin, wenngleich unsere Verwandten vor allem in den Niederlanden oder in Schweden leben. In Burundi selbst leben nicht mehr so viele Verwandte. Ich möchte aber in meinem nächsten Urlaub mal wieder dorthin fliegen. Der Winterurlaub ist wahrscheinlich zu kurz dafür, aber im Sommer könnte es klappen. In den vergangenen Jahren war es vor allem aus politischen Gründen schwierig, dorthin zu kommen.“

„Lassen Sie uns über die vergangene Saison reden. Was war schöner: Der EM-Titel oder Ihr erstes Tor für die Profis, das sie ausgerechnet gegen den BVB geschossen haben und das dem Team ein Unentschieden rettete?“
„Das kann man nicht vergleichen. Das will ich auch nicht. Es sind beides Momente, die ich nicht vergessen werde. Das erste Tor als Profi war ein unglaubliches Gefühl. Ich hatte danach einen totalen Blackout und kenne die Szenen nur noch aus dem Fernseher, weil es so viele Emotionen waren und ich so viel Adrenalin ausgeschüttet habe, dass mir fast schwarz vor Augen wurde. Der EM-Titel ist dagegen ein Riesen-Erfolg, zu dem aber ganz viele gehören. Bei meinem Tor haben mir natürlich auch Mitspieler geholfen. Aber ein Titel ist ein anderes Gefühl der Freude, die man mit Mitspielern, Trainern und dem ganzen Stab teilt. Beide Momente waren wunderschön, aber verschieden.“

„Wie sehr schielen Sie auf die WM 2018 mit der A-Nationalmannschaft? Oder wäre das zu vermessen?“
„Die U21 ist der letzte Schritt in der Jugend, ehe man zur A-Nationalmannschaft stoßen kann. Aber das ist aktuell noch weit weg. Wichtig wird erst einmal sein, dass ich ich auf die tägliche Arbeit im Training und in den Spielen mit meinem Klub konzentriere und konstant gute Leistungen zeige. Dann ich ich es vielleicht auch irgendwann in die A-Nationalmannschaft schaffen.“

„Wie viel Kontakt gab es schon zu Joachim Löw?“
„Es gab Kontakt zu den Co-Trainern, vor allem zu Thomas Schneider, den ich noch aus meinen Jugendmannschaften beim VfB Stuttgart kenne. Wir hatten rund um das gemeinsame Essen, das es vor den Turnieren der EM und des Confed-Cups in Frankfurt gab, kurze Gespräche, die alle sehr positiv waren. Mir wurde gesagt, dass man meine Entwicklung genau beobachte und ich genau so weitermachen soll, wie bisher und ich in die richtig Richtung gehe.“

„Sie haben in der vergangenen Saison 62 Minuten im Schnitt für den S04 gespielt. Was ist der nächste Schritt? Dieses bereits gute Niveau für einen 20-Jährigen bestätigen oder gilt es nun, den nächsten Schritt zu machen und einen Stammplatz zu erreichen?“
„Mein nächstes Ziel ist, so viele Spiele wie möglich zu absolvieren. In der vergangenen Saison bin ich richtig ins Team gekommen und hatte mehrere Spiele auch von Beginn an. Daran möchte ich jetzt natürlich möglichst anknüpfen.“

„Zählen Sie eigentlich nach wie vor noch zu den jungen oder bereits zu den erfahrenen Spielern?“
„Ich würde behaupten ein bisschen von beidem. Natürlich bin ich für die Jungs da, die ihr erstes Jahr nun bei uns im Team haben, da ich schon seit fast drei Jahren bei den Profis bin. Ich kenne die Abläufe und alles andere drum herum schon besser und kann es gut einschätzen. Dennoch würde ich nicht sagen, dass ich schon zu den ganz Erfahrenen gehöre (schmunzelt).“

„Wem helfen Sie denn dann? Vor allem den jungen Spielern, die aus der U19 gekommen sind?“
„Richtig. Und darüber hinaus noch Fabian Reese oder Amine Harit, mit dem ich wegen der Wurzeln meiner Mutter Französisch sprechen kann.“

„Sie hatten eben ein Gespräch mit dem Trainer. Was hat Domenico Tedesco Ihnen alles erzählt? Verraten Sie uns alles!“
„(lacht) Er sagt, dass er mich als sehr flexiblen Spieler sieht. Das Gefühl habe ich auch. Es ist auch von Vorteil für mich, da ich sowohl vor der Abwehr, als auch alle Positionen in der Abwehr spielen kann. In dem neuen System sind das sowohl alle drei Positionen in der Dreier-Abwehrkette als auch die Positionen der Außenverteidiger.“

„Ist es aber nicht hilfreich, wenn ein Spieler häufiger auf ein und derselben Position spielen kann, um noch besser zu werden?“
„Die Abläufe machen sicherlich noch ein paar Prozent aus. Aber da ich schon längere Zeit auf verschiedenen Positionen spiele, fällt es mir leicht, mich immer wieder darauf einzustellen.“

„In den Testspielen dieser Vorbereitung haben Sie vor der Abwehr gespielt. In der vergangenen Saison aber defensiver in der Abwehr. Es ist schon so, dass Ihnen die Position im defensiven Mittelfeld aber am besten gefällt, oder?“
„Das kann man schon so sagen. Ich würde nicht behaupten, dass es meine ganz klare Lieblingsposition ist, weil ich auf den anderen genauso gerne spiele. Aber auf der „Sechs“ habe ich in der Jugend die längste Zeit gespielt und für mich ist sie auch die Vielseitigste, da ich dort am meisten in das Spiel eingebunden bin.“

„Aber insbesondere auf der ist die Konkurrenz allein mit Leon Goretzka, Nabil Bentaleb und Weston McKennie enorm groß, um mal nur vier Namen zu nennen, die exakt auf den beiden Positionen vor der Abwehr spielen.“
„Wir haben auf allen Positionen sehr große Konkurrenz, weil wir einen sehr gut besetzten Kader haben, in dem alle Positionen sogar fast mehr als doppelt und nahezu gleichwertig besetzt sind. Ich für meinen Teil werde versuchen, so gut zu trainieren, dass ich es dem Trainer immer schwer mache, mich draußen zu lassen (lächelt).“

„Derzeit ist es noch viel zu früh, um über eine Vertragsverlängerung zu sprechen.“

„Zuletzt waren Sie im Fokus der Medien, weil Sie am Ende der vergangenen Saison ein Angebot zu einer vorzeitigen Vertragsverlängerung über 2019 hinaus abgelehnt haben. Seitdem heißt es: Kehrer will von Schalke weg. Nervt Sie das?“
„Ehrlich gesagt lese ich fast gar keine Medien. Aber ich bekomme es mit, weil Freunde mir die Nachrichten dann schicken oder zeigen. Es nervt mich aber nicht. Das ist so und ich nehme es hin. Ich kümmere mich nicht darum, da ich noch zwei Jahre lang hier einen Vertrag habe. Daher muss ich auch nicht verstehen, warum das Thema so groß gemacht wird.“

„Sie sind aber noch jung. Fällt es Ihnen dann nicht schwer, diese Diskussionen auszublenden?“
„Nein, das kann ich leicht abschütteln. Von daher habe ich keine großen Probleme damit.“

„Es heißt, dass Sie eigentlich grundsätzlich gerne bleiben und verlängern möchten.“
„Erst einmal bin ich sehr froh und glücklich hier zu sein, weil ich der Überzeugung bin, dass es genau der richtige Verein für mich ist. Wir hatten aber in den vergangenen Jahren viele Trainer-Wechsel und damit einhergehend jeweils immer einen Umbruch. Deswegen möchte ich als junger Spieler erst einmal die Situation beobachten, wie sich das mit dem neuen Trainer weiterentwickelt, ehe ich ohne dieses Wissen einfach so verlängere.“

„Würden Sie nicht verlängern, könnte der Klub nur noch im kommenden Sommer Ablöse für Sie generieren. Möchten Sie daher das Thema beispielsweise spätestens in der kommenden Winterpause erledigt haben, damit die Diskussionen Sie nicht noch länger begleiten?“
„Nein, das Ziel setze ich mir nicht. Wenn das Thema aufkommt, dann ist das halt so. Ich setze mir kein Datum und ich glaube, dass das der Verein auch nicht unbedingt tut. Derzeit ist es noch viel zu früh, um über nächste Schritte nachzudenken.“

„Wenn die Saison dann beendet ist: Welche Schlagzeile würden Sie am liebsten lesen?“
„(überlegt sehr lange) Schwierig. Sehr schwierig (überlegt erneut). Ich habe in den vergangenen Tagen immer wieder mit Breel Embolo gesprochen. Ich würde ihm wünschen, dass er nach seiner langen Verletzung gesund bleibt und im zweistelligen Bereich Tore schießen wird. Das würde mich für ihn sehr freuen!“

„Wenn Sie in 15 Jahren auf Ihre Karriere zurückblicken: Bei welchem Klub würden Sie dann gerne einmal gespielt haben, was war Ihr Kindheitstraum?“
„(überlegt) Kann ich ehrlich gesagt nicht sagen. Es gibt einige attraktive und sehr große Klubs in Europa, von denen mal als Kind vielleicht schon mal geträumt hat. Aber auch der S04 ist ein großer Klub, deshalb bin ich sehr glücklich, dass ich hier spielen darf.“

Thilo Kehrer ist frisch gebackener U21-Europameister. Für die Medaille hat er beziehungsweise viel mehr sein Vater mittlerweile einen passenden Platz im Elternhaus gefunden.
Ausgerechnet im Derby schoss Thilo Kehrer sein erstes Profi-Tor. Mit seinem Ausgleich zum 1:1 rettete er den Königsblauen somit einen Punkt gegen den BVB. | Foto: Gerd Kaemper
Autor:

Raphael Wiesweg aus Gelsenkirchen

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