Wir sind Hattinger: Willi Michels

Auf einer Bundestagswahlveranstaltung am 17.September 1965 auf dem Hattinger Untermarkt: v.l. Willi Brückner, Bürgermeister der Stadt Hattingen, Willy Brandt, SPD-Vorsitzender und SPD-Spitzenkandidat Willi Michels, MdB für den EN-Kreis. Foto: Stadtarchiv Hattingen
  • Auf einer Bundestagswahlveranstaltung am 17.September 1965 auf dem Hattinger Untermarkt: v.l. Willi Brückner, Bürgermeister der Stadt Hattingen, Willy Brandt, SPD-Vorsitzender und SPD-Spitzenkandidat Willi Michels, MdB für den EN-Kreis. Foto: Stadtarchiv Hattingen
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Am 27. September 1919 wurde in Welper Wilhelm „Willi“ Michels geboren. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte Michels eine Lehre zum Formschmied und bestand später die Facharbeiterprüfung in der Stahlindustrie. Anschließend war er als Ausbilder und technischer Angestellter im Arbeitsschutz bei der Ruhrstahl AG tätig. Von 1940 bis 1945 nahm er als Soldat am Zweiten Weltkrieg teil und geriet zuletzt in Gefangenschaft.

Nach dem Kriegsende engagierte sich Michels in der gewerkschaftlichen Jugendarbeit und trat 1945 in die SPD ein. 1946 war er Ratsmitglied der Gemeinde Welper, die 1966 in die damalige Stadt Blankenstein eingemeindet wurde. 1947 war er der Jüngste im neu gewählten Betriebsrat der Henrichshütte. Zusammen mit seinen Kollegen verhinderte er die Demontages des Werkes, denn die Stahlproduktion hatten die Alliierten verboten. Stattdessen hielt man sich mit Waggonreparatur über Wasser.
Der Name von Willi Michels ist eng verbunden mit den Fragen zur Montanmitbestimmung. Er berichtete dem freien Journalisten Jan-Christoph Nüse im Alter von 81 Jahren über die damalige Zeit unter dem DGB-Chef Hans Böckler. „Der Böckler sagte: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutschen Gewerkschaften werden regresspflichtig gemacht, wenn wir einen politischen Streik durchführen. Also ihr müsst jetzt in die Betriebe gehen und jeder muss seinen Arbeitsvertrag kündigen! Wir haben alle geschluckt. Aber weil der Alte so überzeugend war, der Böckler, haben wir ihm das abgenommen. Und dann sind wir in die Betriebe gegangen, sind von Mann zu Mann gegangen. Vom vielen Reden war ich "ne ganze Woche lang heiser!
Da haben natürlich viele gezögert und gesagt: Arbeitsvertrag kündigen? Was wird aus meinen erworbenen Rechten, und so weiter. Aber wir haben es geschafft. Die große Mehrheit der Arbeiter sowie viele Angestellte setzten ihren Namen unter die Überschrift: Hiermit kündige ich meinen Arbeitsvertrag." Diese Kündigung sollte wirksam werden und eingereicht werden, wenn die Montanmitbestimmung nicht per Gesetz für alle Betriebe der Branche eingeführt wurde. Einen Kompromiss gab es 1951, doch die Hoffnung erfüllte sich nicht: Aufsichtsräte in Nicht-Montan-Bereichen wurden nur zu einem Drittel mit Arbeitsnehmern besetzt. Michels, 81jährig zu dem Journalisten: „Das Betriebsverfassungsgesetz vom Oktober 1952 war die große Niederlage der deutschen Gewerkschaften. Den Menschen ging es ja auch schon wieder besser, die meisten hatten Arbeit, da war das Aufbäumen nicht mehr da."

Kampf für den Standort Hattingen

Bis 1955 war er Betriebsratsmitglied, dann wurde er Vorstandssekretär im Düsseldorfer Zweigbüro der IG Metall. Zu der Zeit war er bereits seit 1951 auch Bürgermeister der Gemeinde Welper bis 1962. Im Jahr 1960 wurde er geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gewerkschaft und Leiter des für die Stahlindustrie und die Montanmitbestimmung zuständigen Zweigbüros in Düsseldorf. 1961 ging er für elf Jahre als Mitglied in den Deutschen Bundestag und vertrat den Wahlkreis Ennepe-Ruhr. Außerdem war er von 1961 bis 1964 auch Mitglied des Europäischen Parlamentes.
Von 1967 bis 1972 fungierte er als erster Deutscher auch als Präsident des Montanausschusses der freien Metall- und Bergarbeitergewerkschaften der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in Luxemburg. Danach war er bis 1980 Arbeitsdirektor der Edelstahlwerke Witten.
1987, als es um den Stahlstandort Hattingen ging, wird Willi Michels in einem bewegenden ZEIT-Artikel aus jenem Jahr zitiert. 1949 habe man sich als Stahlarbeiter bereits an die Öffentlichkeit gewandt. Schon damals sei es um das Schicksal des Werkes gegangen. 1987 sei es nun aktueller denn je, aber: „Damals waren Management und Belegschaft eine Solidargemeinschaft, heute ist das Management der Adressat des Appells. Das Gefühl, wir werden es schaffen, war damals stärker. Beim Bäcker werde ich heute gefragt: Herr Michels, was wird denn aus unserer Hütte? Lehrer rufen an: Herr Michels, wir müssen doch unsere Kinder unterbringen. Was wird denn aus der Lehrwerkstatt?“
Sorgen machte sich der Sozialdemokrat damals auch um das soziale Gefüge der Stadt. Er erinnerte sich in dem Artikel auch an eine Belegschaftsversammlung mit Peter von Bargen, dem damaligen Vorstandsprecher der Henrichshütte. Dem schallten Zwischenrufe wie „Rübe ab“ und „Aufhängen“ entgegen.
Nach der Stilllegung der Hochöfen, Stahl- und Walzwerke 1987 fanden sich ehemalige Belegschaftsmitglieder der Henrichshütte zusammen und gründeten 1988 den Verein „neues alter“ als Trägerverein für Erwachsenenbildung. Willi Michels wurde der Vorsitzende. 1990 wurde eine Bildungsstätte mit dem Ziel des lebenslangen Lernen realisiert, die später den Namen „Willi Michels-Bildungsstätte“ erhielt. 2009 wurde das „Freizeitwerk Welper“ der gemeinsame Träger der Bildungsstätte und der Jugendbildungsstätte.
Michels starb am 7. April 2003 in Herdecke im Alter von 83 Jahren.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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