Psychologische Kriegsführung gegen Erwerbslose – Hartz IV Leistungskürzungen verfassungswidrig?

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„Sehr viele Hartz IV EmpfängerInnen kennen das: Leistungskürzungen wegen vermeintlicher Pflichtverstöße, z.B. wegen Nichteinhaltung eines Jobcenter-Termins oder bei abgelehnten Jobangeboten.

Jetzt hat das Sozialgericht Gotha am Mittwoch der Klage eines Hartz IV-Beziehers stattgegeben und die Sanktionen im Hartz IV System als verfassungswidrig beurteilt. Die Klage wird nun an das Bundesverfassungsgericht weitergeleitet.

Ein erwerbsloser Hartz IV Bezieher hatte zunächst ein Jobangebot seitens des Jobcenters abgelehnt. Daraufhin wurde dem Kläger das Arbeitslosengeld II im ersten Schritt um 30 Prozent gekürzt. Danach sollte der Leistungsberechtigte eine Probearbeit bei einem weiteren Arbeitgeber absolvieren. Er tat dies aber nicht. Wegen dieser im SGB II verankerten erneuten „Pflichtverletzung“ wurde wieder um 30 Prozent gekürzt.“
rdl.de

Ein Licht am Ende des Tunnels?

Das Sozialgericht Gotha (15. Kammer) hat in einem aktuellen Urteil der Klage eines Hartz IV-Beziehers stattgegeben und die Sanktionen im Hartz IV System für verfassungswidrig beurteilt. „Die Klage wird an das Bundesverfassungsgericht geleitet“, sagte ein Prozessbeobachter. „Damit wird dem Bundesverfassungsgericht erstmals diese Frage von einem Sozialgericht vorgelegt“, sagte ein Sprecher des Gerichts. (Az: S 15 AS 5157/14)

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass bei einer Sanktion aufgrund der Nichteinhaltung eines Jobcenter-Termins oder bei abgelehnten Jobangeboten die Menschenwürde verletzt wird, wenn es im Nachfolgenden zu Leistungskürzungen kommt. Das Existenzminimum ist in der Verfassung verankert. Der Staat müsse demnach dafür Sorge leisten, dass das Existenzminimum zu jeder Zeit- also auch bei verpatzten Terminen oder abgelehnten Jobs- garantiert sei. Das gehöre zur Menschenwürde, die unantastbar sei, so das Gericht. Zudem sehen die Richter einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit.
Gericht: Hartz-IV-Sanktionen verfassungswidrig

Freiburger Sozialrechtsanwälte geben konkrete Tipps bei Sanktionen

Ergänzende Hinweise zum Beschluss des SG Gotha, nach dem der Sanktionsparagraf des SGB II gegen das Grundgesetz verstößt.

Das SG Gotha hat seinen Vorlagebeschluss zum Aktenzeichen S 15 AS 5157/14 am 26.5.2015 verkündet. Es ist möglich, dass die schriftliche Begründung des Beschlusses erst in einigen Monaten vorliegen wird. Die Dauer des dann folgenden Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht ist nicht absehbar. Es kann sein, dass das Verfahren erst in einigen Jahren zum Abschluss kommt.

Leistungsempfänger, gegen die jetzt eine Sanktion verhängt wird, müssen vorsorglich Widerspruch einlegen, wenn sie möchten, dass der Sanktionsbescheid aufgehoben wird, falls das Bundesverfassungsgericht dem Vorlagebeschluss des SG Gotha folgt. Das Widerspruchsverfahren kann dann ruhend gestellt werden, bis das Verfahren in Karlsruhe abgeschlossen sein wird.

Sollte das Bundesverfassungsgericht die Sanktionsvorschriften ganz oder teilweise für nichtig erklären, besteht kein Anspruch auf Rücknahme bestandskräftiger Sanktionsbescheide nach § 44 SGB X. (Bestandskräftig ist ein Sanktionsbescheid dann, wenn nicht innerhalb der Widerspruchsfrist Widerspruch eingelegt wurde.) Das ergibt sich aus § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Diese Vorschrift dürfte § 44 SGB X als speziellere Vorschrift verdrängen. [Pressemitteilung SG Gotha] (rr)
sozialrecht-in-freiburg

Das private Projekt Beispielklagen.de dokumentiert rechtswidrige Sanktionen aus dem Märkischen Kreis

Gesetze sind vergänglich und unterliegen vielen Bewährungsproben.
Selbst die Nürnberger Rassengesetze oder Ariergesetze, die am Abend des 15. Septembers 1935 einstimmig vom Reichstag angenommen wurden, überdauerten zehn lange Jahre, bis sie endlich durch das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehoben wurden.
Zehn Jahre wurden sie in deutschen Gerichtssälen hochgehalten, von den Verantwortlichen verteidigt und von dummgläubigen Bürgern hingenommen.
Falsch und Menschenverachtend waren sie immer.

Auch die Sanktionsgesetzgebung des SGB II torpediert seit zehn Jahren den Sozialstaatsgedanken, der eigentlich die Sicherstellung des Existenzminimums garantieren sollte. Seit zehn Jahren kritisieren Sozialrechtler und Beratungsstellen, die Existenzbedrohende Praxis. Die verheerenden psychischen Auswirkungen auf Tausende Betroffener werden mit einer erschreckenden Dummgläubigkeit ausgeblendet, als ob man „Einsparungen durch Persönlichkeitszerstörung“ einen Gewinn nennen könnte.

Und alle Jahre wieder werden Sanktionsstatistiken propagiert, um Unbeteiligten und Unwissenden den Nachweis zu suggerieren, dass Erwerbslose regelmäßig ihren Auflagen nicht nachkommen.
Warum aber werden solche falschen Statistiken unbereinigt veröffentlicht. Eine Vielzahl der benannten Sanktionen, hält ja nicht einmal der gerichtlichen Überprüfung nach dem aktuellen SchlechtRecht stand.
http://www.beispielklagen.de/klage018.html

Außerdem ist es wohl eher ein Indiz für gesunden Menschenverstand, wenn nichtsnutzige Termine beim Jobcenter ignoriert werden. Die Sanktionen wegen Terminverstößen würden wohl kaum in dieser Höhe festgestellt werden können, wenn die Betroffenen, Vorteile aus den Terminen ziehen könnten. Einen Arzt, der mir nicht helfen kann, werde ich kein zweites Mal aufsuchen. Also muss die Frage lauten: Welchen realen Nutzen, haben die Erwerbslosen durch die „Betreuung“?

Viele Sanktionen werden mit der Verweigerung der Teilnahme an Maßnahmen begründet. Aber wissen Sie wie viele Erwerbslose zu einer dritten oder vierten Maßnahme zum „Bewerbungstraining“ zwangsverpflichtet werden. Jede Wiederholungsmaßnahme ist konkrete Verschwendung von Steuermitteln.

Der Verein aufRECHT e.V. Iserlohn unterstützt Erwerbslose.

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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