„Stell Dir vor, der Bundeskanzler stellt sich vor die Bürger und gibt zu, dass die Finanzmärkte regieren.“

Bemühte eine bemerkenswert offene Sprache: Ernst Ulrich von Weizsäcker im Katharinenhof in Kranenburg. | Foto: Heinz Holzbach
  • Bemühte eine bemerkenswert offene Sprache: Ernst Ulrich von Weizsäcker im Katharinenhof in Kranenburg.
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Das niederländische Titus-Brandsma-Institut hatte am Freitag zum zweiten Mal zum Katharinentag nach Kranenburg eingeladen. Im Mittelpunkt des Tages stand die Frage nach dem Geld und der Rolle, die der klingenden Münze gesellschaftlich zugeschrieben wird. Das Titus-Brandsma-Institut schreibt die Tradition der „Devotio moderna“ (neue Frömmigkeit) fort, eine im späten Mittelalter aufkommende christliche Bewegung, die die individuelle Christusbeziehung ins Zentrum der spirituellen Praxis und des täglichen Lebens stellte.

Vor diesem Hintergrund befassten sich die Referenten mit den zwei Seiten einer Medaille, die auf den ersten Blick nur schwer miteinander in Einklang zu bringen waren. Am Rednerpult wurden die verschiedensten Aspekte beleuchtet: So forderte beispielsweise Thomas Quartier, Hochschullehrer in Nimwegen, die Einbeziehung liturgischen Handelns ins Alltägliche nach der benediktinischen Regel: „Bei der Festlegung des Preises darf sich die Untugend der Habsucht nicht einschleichen“ Habsucht als Motor des Marktes, so ließe sich die Warnung Benedikts auslegen, formulierte Quartier. Sein Vortrag trug den schönen Titel „Der himmlische Handel“ und legte nahe, Modetrends einerseits nicht zu ignorieren, ihnen andererseits aber auch nicht unreflektiert zu folgen. „Der himmlische Handel ist gelassen - empfänglich für die Gesetze des Marktes ohne sich ihnen zu unterwerfen.“

Die Gesetze des Marktes oder computerggesteuerte Algorithmen
Die Gesetze des Marktes oder die Logarithmen, ohne die der supraschnelle Finanzhandel nicht denkbar wäre, nahm Hanno Wupper unter die Lupe. Sein Geschäft sind Logik und Informatik - er demonstrierte Systeme, die der Bevölkerung zwar als sicher verkauft werden, die sich aber als alles andere als sicher erweisen. „Wer diese Ergebnisse kennt, runzelt die Stirn bei der Sicherheit, mit der manche Politiker und Finanzexperten Maßnahmen vorschlagen und Zukunftsprognosen stellen“, erklärte Wupper. Das Spiel mit Einsen und Nullen, mit Linien oder komplexen Mustern ließ viele nachdenkliche Gesichter zurück.

Globalisierung
Globalisierung, Finanzmarkt, Umwelt - Ernst Ulrich von Weizsäcker widmete sich all‘ diesen Themen. Er machte Karriere als Prof. für Biologie an der Universität Essen, lehrte in den Vereinigten Staaten, ist seit 1991 Mitglied im Club of Rome, einer nicht kommerziellen Organisation, die einen globalen Gedankenaustausch zu verschiedenen internationalen politischen Fragen betreibt. Mit dem 1972 veröffentlichten Bericht Die Grenzen des Wachstums erlangte er große weltweite Beachtung "Wikipedia" . Seit 2012 ist von Weizsäcker Vizepräsident der Organisation. Er führte aus, dass der Begriff „Globalisierung“ vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion schlicht nicht existent war. Handel sei trotzdem weltweit getrieben worden. „Ich habe mich gefragt, woher das kam. Vor den 1990er Jahren hatte das Kapital ein Interesse, sich mit dem Staat zu arrangieren, selbst wenn der ‚schreckliche‘ Dinge erlaubte.“

Soziale Marktwirtschaft besser als Kommunismus
Dieses Interesse verfiel mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Ab da galt nicht mehr die Devise: „Die soziale Marktwirtschaft ist immer noch besser als der Kommunismus.“ Die Globalisierung habe zur Dominanz der Finanzmärkte geführt. Und zu gravierenden Änderungen in der sozialen Gesetzgebung auch der Bundesrepublik. Der Sozialdemokrat von Weizsäcker gab unumwunden zu: „Die Hartz IV-Gesetzgebung hat zur Absenkung der Sozialstandards geführt. Ich habe dem auch zugestimmt.“ Er habe Gerhard Schröder, damals Bundeskanzler, deutlich gemacht: „Ich habe das nicht in Erfüllung des Bürgerwillens gemacht.“ Im weiteren Verlauf des Gesprächs sagte Schröder: „Stell Dir vor, der Bundeskanzler stellt sich vor die Bürger und gibt zu, dass die Finanzmärkte regieren.“

Sozaildarwinisums
Von Weizsäcker zitierte den britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch, für den die Demokratie am Ende ist. „Der gnadenlose Wettbewerb führt dazu, dass der, der größten Raubbau betreibt, everybody‘s darling ist.“ Erst wer in den USA gelebt habe, begreife, dass dort das sozialdarwinistische Gedankengut des britischen Philosophen Herbert Spencer (1820-1903) prägenden Einfluss habe. „Spencer war ein Zyniker, einer den das Elend der Einwanderer zutiefst belustigte“, so von Weizsäcker.

Faktor 5
Bezugnehmend auf sein im Jahr 2010 erschienenes Buch „Faktor 5“ legte der Referent aus, wie dem Klimawandel mit Hilfe angewandter Effizienz beizukommen sei. Zum einen machte er Zusammenhänge wie beispielsweise Energieverbauch, effiziente Technik und Preisgestaltung deutlich, ging aber auch auf die Politik ein. Von Weizsäcker sah in der Annäherung Europas an Ostasien und ressourcenarme Entwicklungsländer eine Chance für die Europäer, den ersten Schritt in Richtung Ressourcenschonung zu gehen. Auf Amerika, so von Weizsäcker, dürfe man nicht warten.

Nein zum Freihandelsabkommen mit den USA
Die augenblicklichen Verhandlungen zum Freihandelsabkommen Europa - USA lehnte von Weizsäcker ab. „Die Initiative zu diesen Verhandlungen geht von den USA aus. Ziel ist das Wegwischen der bäuerlichen Landwirtschaft und anderer dezentraler Strukturen.“

Autor:

Annette Henseler aus Kleve

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