PEGIDA IV und die Angst der GIDA-isten. Eine Replik

„Kulturen waren immer dann stark, wenn sie sich selbst in Frage stellten und Einflüsse von außen selbstbewusst aufnahmen, statt sich zu verkriechen oder sich immer nur zu beklagen.“

Der deutsch-iranische Autor und Islamwissenschaftler Navid Kermani in einem Interview

Von Einzelheiten aufs Ganze zu schließen, führt meistens zu Fehlschlüssen. So macht es die BILD-Zeitung, so machen es Populisten aller Couleur, sogar Soziologen bedienen sich dieser Methode.

Woher weißt du, dass „d e n Tafeln (...) auch schon die Helfer weglaufen, weil die keinen Bock mehr auf den Ärger mit Asylanten/Ausländern haben“? Du nennst e i n Beispiel!

Genauso ist das mit der „Islamisierung des Abendlandes“, gegen die „Patriotische Europäer“ und andere GIDA-isten zu Felde ziehen. Wie kommt es denn, dass ausgerechnet da, wo die wenigsten Muslime leben, PEGIDA die meisten Anhänger hat oder hatte, und da, wo die meisten Muslime leben, PEGIDA und andere GIDA-isten keine Rolle spielen (können)?

Antwort: Die größten Ängste entstehen vor Unbekanntem. Es sind irreale Ängste. Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es PEGIDA-SympathisantInnen. Zum Beispiel im Siegerland, in einer Kleinstadt. Aber keine Muslime! Da drängt sich die Frage auf: Hast du überhaupt schon einmal einen Muslim oder eine Muslima gesehen – leibhaftig, nicht nur auf dem TV-Bildschirm oder auf einem Pressebild?

Anderes Beispiel: Eine Freundin meiner Frau – sie wohnt in einem Münsterländischen Dorf – sah bei einem Besuch in RE auf dem Friedhof zwei junge Männer beim Ausheben eines Grabes und sagte. „Siehst du, die hecken was gegen uns aus!“ Die beiden Friedhofsgärtner sahen in der Tat wie Araber aus. Und sie waren jeder mit einem Spaten bewaffnet.

Ich lebe seit 1961 in einer Siedlung, die an eine Hauptstraße grenzt, an der zur gleichen Zeit die ersten türkischen „Gastarbeiter“ mit ihren Familien in Bergarbeiterwohnungen eingezogen sind, muslimische Kumpels. Ihre Frauen trugen damals keine Kopftücher, was nicht heißt, dass sie damals so viele Freiheiten hatten wie die meisten von ihnen heute. Jetzt sind ca. 80 % aller Bewohner dieser Straße und der Nebenstraßen Muslime. Mein Enkelsohn geht mit Kindern der dritten Generation der türkischen Bergarbeiter in dieselbe Schule, lernt und spielt mit ihnen.

In der Hauptstraße entsteht eine neue Moschee. Dagegen haben ein paar Leute einer kleinen rechtspopulistischen Wählergemeinschaft protestiert, keiner aus der Nachbarschaft!

Was ich damit sagen will: Muslime, Andersgläubige und Nichtgläubige leben hier in Recklinghausen auch in den anderen Stadtteilen mit durchschnittlich sehr hohem Ausländer- bzw. Immigrantenanteil friedlich und zum Teil freundschaftlich miteinander: weil sie einander kennen und schätzen. Türken, Griechen, Italiener und Deutsche, die im Ruhrgebiet unter Tage gearbeitet haben, waren aufeinander angewiesen: deshalb gab es keine Feindschaft untereinander, keinen Rassismus, keine Fremdenangst.

Ich habe Anfang der achtziger Jahre im Recklinghäuser Stadtteilkulturreferat und später in der Stadtbücherei an verschiedenen Integrationsprojekten mitgewirkt
→ http://zeitfragen.blog.de/2010/09/27/selektive-wahrnehmung-wirklichkeit-konstruiert-9473609/ und kenne die Probleme, die AusländerInnen haben.

Die heutige Situation ist etwas anders, weil seit der rotgrünen Koalition des Bastakanzlers Schröder unser Sozialsystem in eine Schieflage geraten ist, die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander klafft, Existenzangst die Mittelschicht erreicht hat und Ausländer und Immigranten als Sündenböcke herhalten müssen. Anstatt dass die Struktur-, die Systemfrage gestellt, gründlich erörtert und gelöst wird. (Siehe auch: Leserbrief Wilhelm Neurohr zu Griechenland → http://zeitfragen-info-blog.blog.de/2015/02/20/wilhelm-neurohr-deutschland-wahrlich-vorbild-griechenland-leserbrief-20116296/ )

Zur heutigen Situation u. a. Folgendes
→ http://zeitfragen.blog.de/2015/01/16/selektiver-wahrnehmung-loest-kulturpolitischen-probleme-leserbrief-19980284/
→ http://zeitfragen.blog.de/2014/12/28/christliche-abendland-legende-leserbrief-19898337/#

Autor:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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