Altes Dokument über Kirchenkampf in Wesel in NS-Zeit entdeckt

Blick vom Dach des Weseler Willibrordi-Doms zum Rathaus mit Hakenkreuzbeflaggung (Foto: E. Maritzen, Kirchenarchiv der Ev. Kirchengemeinde Wesel)
  • Blick vom Dach des Weseler Willibrordi-Doms zum Rathaus mit Hakenkreuzbeflaggung (Foto: E. Maritzen, Kirchenarchiv der Ev. Kirchengemeinde Wesel)
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Die Zeit des Nationalsozialismus hat auch die Evangelische Kirche im Kirchenkreis Wesel in ihren Grundfesten erschüttert. Darüber gibt ein seltenes Dokument Auskunft, das Pfarrer Albrecht Holthuis vor einiger Zeit im Kirchenarchiv fand, als er nach Dokumenten für die Geschichte der Ev. Kirchengemeinde Wesel im III. Reich suchte.

In dieser Zeit konnten Kreissynode wie Sie heute üblich sind, so gut wie gar nicht stattfinden, da staatliche Stellen daran offenbar kein Interesse hatten. Dennoch fand am 13. September 1937 eine Pfarr- und Presbyterkonferenz in Wesel mit 19 Pfarrern (es gab damals nur Männer im Pfarramt!) und 38 Ältesten statt.

Von dieser Konferenz gibt es ein ausführliches Protokoll des damaligenSuperintendenten Heinrich Müller aus Diersfordt bzw. Wesel und seinem Stellvertreter, Synodalassessor Pfarrer Joerdens aus Dingden, das sich im Archiv des Kirchenkreises wiederfand. Das Thema der Versammlung war die „Zurüstung für den Tag der Diakonie" sowie „Unsere Gegenwartsaufgabe in Gemeinden und Synode".

Unverblümt beschreibt Müller in seinem Vortrag die Situation als von „heftigen Angriffen gegen Kirche und Christentum" geprägt. Man müsse sich daher eng zusammenschließen, zumal es seit viereinhalb Jahren keine Pfarrer- und Presbyterkonferenzen mehr gegeben habe. Der äußere Anlass für diese Konferenz sei der „Tag der Diakonie" gewesen.

Pfarrer Hell als Gastreferent von der Inneren Mission aus Mönchengladbach berichtet daraufhin von den Folgen für die Diakonie, nachdem der „totale Staat ... mit seinem Anspruch auf alle Gebiete" gekommen sei. Seitdem sei die Arbeit beengt, die Kirche nur noch geduldet. Auch gebe es nun z.B. Sammelbeschränkungen bei Haussammlungen, was die Erträge erheblich reduziere. Habe die Innere Mission - entspricht heute dem "Diakonischen Werk" - früher ein Monopol gehabt, so sei sie nun nur noch geduldet. Schwierigkeiten gebe es auch bei der Kinderpflege – auch dort wolle der Staat eine Politik der „Entkonfessionalisierung" durchsetzen. Die Kirche habe die „Jugend verloren", nun drohe auch „der Verlust des Kleinkindes". Auch sei der Dienst an „Schwachen und Kranken … in Mißkredit geraten". Gemeinde und die Arbeit der Inneren Mission gehörten aber zusammen und deshalb müssten sich beide Seiten stärker vernetzen. Die Anwesenden vereinbaren daraufhin, sich diesem Anliegen am „Tag der Diakonie" zu widmen und ihre Gemeinden dahingegehend zu unterstützen.

Superintendent Müller setzt dann in seinem Referat das Augenmerk auf die Gegenwartsaufgabe der Gemeinden allgemein und zwar im Hinblick auf die „Angriffe gegen das Christentum, denen eine Gemeinde in Einigkeit des Geistes entgegen treten müsse." Der gegenwärtigen Austrittsbewegung müssten sich alle Gemeinden entgegenstellen und zwar in „Einmütigkeit". Müller verweist auf das Beispiel in Dänemark, wo die deutsche Glaubensbewegung – gemeint ist ein Ableger der ("Deutschen Christen") in Dänemark - durch heftige Gegenwehr gescheitert sei. Man dürfe „sich die Bibel nicht beschmutzen" lassen und man solle wieder Kirchenvisitationen mit Gottesdienst, Vortrag und Jugendunterweisung durchführen.

Die Anwesenden schlagen dann noch weitere Maßnahmen vor, „damit Gemeinden und Kreissynoden wieder in Ordnung kommen". Müller meint, man solle „die Sache nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben" anpacken.

Die Konferenz machte deutlich, wie sehr die Teilnehmer – darunter auch ehemalige DC-Pfarrer, die es ja auch im Kirchenkreis Wesel gegeben hatte, sich nun, nach vier Jahren NS-Diktatur, darüber einig sind, dass sie sich wehren müssen gegen die Einflüsse des Staates, um die Angriffe gegen die Kirche abzuwehren.
Insofern ist das Zeugnis ein Hinweis darauf, dass in dieser Phase des Dritten Reiches im Kirchenkreis Wesel eine große Einigkeit über die schwierige Lage der Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus herrschte. Die anfängliche Begeisterung auch in kirchlichen Kreisen über die Machtergreifung Hitlers hatte sich in wenigen Jahren aufgelöst und war einer Proteststimmung gewichen. Allerdings reichte dieser Unmut offensichtlich nicht aus, viel massivere Ungerechtigkeiten wie die längst eingesetzte Verfolgung der Juden und parteipolitischer Gegner anzuprangern.

Autor:

Albrecht Holthuis aus Wesel

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