Die Erzählung von Trudi 19

Hanna baut einen Schneemann

Der Obstgarten war eine große Wiese, auf der einige hohe Bäume standen. "Die sind nur für uns, die Äpfel und Birnen, Pflaumen und Kirschen kocht Mutter in Gläser ein oder macht daraus Marmelade und Früchte für den Kuchen, damit wir im Winter versorgt sind." Dann nahm er einen Haufen Schnee in die Hand und formte einen Ball daraus, den gab er dem Kind in die Hand und zeigte ihr, wie sie aus diesen Ball eine große Kugel rollen konnte. Hanna mühte sich ordentlich ab, ihre rote Zungenspitze blitzte zwischen ihren halb geöffneten Lippen hin und her. Sie schob und rollte die Kugel erst immer gerade aus, doch als ein Zaun den Weg stoppte drehte sie sich nach dem Vater um und sah, dass er die weiße Rolle kreuz und quer durch den Garten schob. Dabei bemerkte sie die flachen Furchen, in denen der Schnee fehlte und das braune Gras freigab. Diese schneefreien Rillen bedeckten schnell den ganzen Garten und bald lagen drei weiße Schneekugeln auf der Wiese.
Die dickste Schneekugel ließ Vater unter dem alten Apfelbaum liegen, darauf setzte er die nächste Kugel, die etwas kleiner war und obenauf kam die, die Hanna gerollt hatte. Vater befestigte die drei Riesenbälle noch mit losem Schnee, damit die einen besseren Halt bekamen, dann traten die Künstler einigen Schritte zurück und betrachteten ihr Werk. Hannas Vater war nicht zufrieden und schüttelte den Kopf, dann meinte er: "Als Junge habe ich auch Schneemänner gebaut, aber die sahen anders aus. Hier fehlt noch was." Er tat so, als ob er tief überlegte, was wohl dem kalten Geselle fehlte, dann schlug er sich mit der flachen Hand vor die gerunzelte Stirn und rief: "Natürlich! Jetzt weiß ich was fehlt. Warte hier auf mich, ich komme sofort wieder zurück."
Mit langen Schritten ging er auf einen Schuppen zu, den Hanna vorher noch nicht bemerkt hatte. Nach einer Weile kam er mit einem Korb und einem Besen auf die Tochter zu. Sie wollte schon fragen was im Korb ist, als ihr Vati zwei Stücke Kohle in die kleine Kugel steckte, dabei murmelte er: "So, Herr Schneemann! Hier hast du deine Augen und als Nase habe ich dir eine wunderschöne rote Rübe mitgebracht." Während er sprach drückte er dem dicken Kerl die Möhre zwischen die Augen. Den Besen bekam der kalte Geselle in den rechten Arm gesteckt und den Korb als Hut oben auf. Vater und Tochter umkreisten den Schneemann und betrachteten ihr Werk. Endlich waren sie zufrieden mit ihrem Werk und fielen sich strahlend in die Arme.

Unbemerkt hatte sich der Himmel bezogen und die ersten Flocken setzten sich auf die Kleidung der Künstler. Vater nahm seine Tochter huckepack und ab ging es mit Riesenschritten auf das Haus zu, wo die Mutter schon mit heißen Getränken wartete. Nachdem sich Vater und Tochter den Schnee aus den Kleidern geklopft hatten gingen sie in die Küche und tranken mit kleinen Schlucken den bereitgestellten Trank. Hanna bekam Honigmilch und schloss nach dem ersten Schluck genüsslich die Augen, ähnlich erging es ihrem neuen Vati als er den Rotwein trank, den Mutti mit Zimt und Zucker abgeschmeckt hatte. Anschließend gingen sie ins Wohnzimmer. Im offenen Kamin flackerte ein lustiges Feuer. Hannas Vater setzte sich in den Schaukelstuhl und hob die Kleine auf seinen Schoß. Er drücke sie kurz an sich und wollte ihr eine Geschichte erzählen. Die Kleine war aber so müde, dass sie bei den ersten Worten fest einschlief. Leise rief er nach seiner Frau und vorsichtig trug er die Kleine ins Bett, wo sie von Mutter Else ausgezogen und zugedeckt wurde.
Die frisch gebackenen Eltern gingen ins Wohnzimmer zurück und sprachen über ihr Glück, endlich, nach so langer Zeit, ein Töchterchen bekommen zu haben. Lange schon hatten sie diesen Wunsch, leider hatten sie keine eigenen Kinder bekommen. Den Entschluss, ein Kind aus dem Waisenhaus zu holen hatten sie spontan gefasst, als sie die kleine Hanna gesehen hatten.

Die erste Begegnung

Hans und Else Gärtner dachten an den Tag zurück, als sie Hannelore zum ersten Male gesehen hatten. Die Mutter Oberin aus dem Waisenhaus wollte den Kindern im Frühjahr eine Freude machen. Darum besuchte sie mit ihren Schützlingen die bekannte Gärtnerei. Herr Gärtner führte die Besucher selber durch die Gewächshäuser und erklärte ihnen die verschiedenen Blüten und Zwiebelgewächse. Am Ende des Rundgangs gab es Kuchen und Kakao für die Kleinen. Ein rothaariges Mädchen bezauberte mit ihrem Lachen Hans und Else. Sie tröstete einen blonden Jungen, der seinen Kakao verschüttet hatte und bot ihm ihr Getränk an. Doch Frau Gärtner, die sah was geschehen war, füllte die Tasse wieder neu und wischte mit einem Tuch die Bescherung auf. Als das Mädchen sich für die Gefälligkeit bedankte stand ihr Entschluss fest, sie wollte ihren Mann fragen, ob man nicht das Kind adoptieren kann.
Ihr Mann unternahm die weiteren Schritte und gestern konnten sie die Kleine holen. Sie rechneten fest damit, dass Hanna sich für sie Beide entscheiden würde, was ja auch geschehen war. Hannelore war ihre Wunschtochter. Das war das Ergebnis ihres Gesprächs. Vater Hans sagte zum Abschluss: "Ich bin froh über unsere Entscheidung. Wir haben die richtige Wahl getroffen. Ich glaube, unser Töchterchen denk genauso." Seine Frau war seiner Meinung doch die Pause war zu Ende und Frau Else ging in die Küche, um das Essen vorzubereiten.

Am nächsten Tag schneite es immer noch. In der Küche bullerte ein alter Eisenherd und verströmte eine angenehme Wärme. Neben dem Ofen stand eine Holzkiste, in der eine schwarze Katze zusammengerollt schlief. Hanna wurde von der Mutter auf einen Stuhl gesetzt und eine bunte Tasse mit heißer Schokolade stand bereits auf dem Tisch. "Trink, das erwärmt dich von innen." Im gleichen Moment ging die Stubentür auf und ein Schwall eisiger Luft traf die beiden Menschen. Herein stapfte ein bärtiger Mann und rief:" Der Winter ist dieses mal früh gekommen, ich habe die Heizung im Gewächshaus höher gestellt." Während er sprach zog er eine Mütze vom Kopf und klopfte sich den Schnee aus der Jacke, dann erst blickte er hoch. Mit lächelndem Gesicht sprach er:" Hallo! Wen haben wir denn da? Wenn das nicht das hübscheste kleine Mädchen ist, das ich je gesehen habe, dann esse ich zum Frühstück meinen Hut." Die Kleine lachte, man sah, das sie sich über diese Begrüßung freute. - Ja! Das war ihr Wunschvater. Genauso hatte sie ihn sich vorgestellt. Sie stand auf und ging ihrem Vater entgegen. Er hob sie hoch über seinen Kopf und warf sie in die Luft. Das Mädchen jauchzte und konnte nicht genug bekommen. "Jetzt ist Schluss" rief die Mutter, "hinsetzen und Frühstücken." Bei diesem Befehl strahlte sie über das ganze Gesicht.

Nach dem Frühstück zog ihr die Mutter die neuen Kleider an, die sie gestern noch in der Stadt gekauft hatten. Der grüne Mantel mit dem weißen Pelzkragen stand ihr gut und sie drehte sich voller Freude vor dem Spiegel hin und her. "Schau an!" Sprach die Mutter. "Unsere Tochter ist ein eitler Fratz." Die Kleine antwortete:" Bin kein Spatz. Doch so einen Schönen Mantel habe ich noch nie gehabt." Da sagte die Mutter:" Na dann setzt noch die hübsche Mütze mit dem weißen Bommeln auf und ab in den Garten. Vater wartet schon auf dich, er will dir heute dein neues Zuhause zeigen. Geh nach rechts in das kleine Glashaus, da wartet er schon." Noch ein Kuss auf den Mund und die Kleine konnte gehen.

Autor:

Gertrud Gottschalk aus Datteln

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