Schauspielhaus eröffnet neue Spielzeit mit "Volksverräter!!"

"Volksverräter!!" wirft ein beunruhigendes Schlaglicht auf das Erstarken der neuen Rechten. | Foto: Küster
  • "Volksverräter!!" wirft ein beunruhigendes Schlaglicht auf das Erstarken der neuen Rechten.
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Werden Stoffe vergangener Epochen auf ihre Bedeutung für die Gegenwart befragt, ist in Bezug auf das Theater heute häufig von Überschreibung die Rede. Als Überschreibung bezeichnet auch Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer seine Bearbeitung von Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“ im Schauspielhaus, die wohl nicht zufällig drei Tage vor der Bundestagswahl Premiere hat und schon durch die Abwandlung des Titels in „Volksverräter!!“ den Bogen zu AfD und Pegida schlägt. Ein programmatischer Start in die neue Theatersaison.

„Bei Ibsen geht es um einen Einzelgänger, der einen Skandal aufdeckt“, fasst Schmidt-Rahmer Ibsens Vorlage zusammen. Der engagierte und idealistische Badearzt Stockmann gleitet schließlich in Verachtung für die Mehrheit ab – ein Beispiel, wie auch das Eintreten für Aufklärung in den Totalitarismus führen kann. Und wie wird dieser Text nun überschrieben? - „Bei uns“, erklärt der Regisseur, den das Bochumer Theaterpublikum unter anderem durch seine Inszenierung von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ kennt, „steht das Establishment für Sozialstaat und Parlamentarismus, während der Rebell, den Wunsch hegt, in die Vormoderne zurückzukehren. Wir stellen die Vorlage also auf den Kopf: Unser Volksfeind verändert die Gesellschaft im Sinne der neuen Rechten. Ähnliche Entwicklungen kennen wir aus Osteuropa, aber auch aus den USA in den Zeiten eines Donald Trump. Aber auch in einem Land wie der Bundesrepublik, dem es wirtschaftlich im Vergleich zu anderen Teilen der Welt immer noch sehr gut geht, hat die AfD Chancen, mit elf Prozent der Stimmen in den nächsten Bundestag einzuziehen.“

Erstarken antidemokratischer Tendenzen

Ursachen für diese Entwicklung sieht Schmidt-Rahmer in der abnehmenden Bereitschaft, die Mühen der parlamentarischen Demokratie auf sich zu nehmen: „Es gibt keine linke Opposition. Unter den etablierten Parteien hat nicht einmal die Linke ein revolutionäres Programm und wird von vielen auch nicht als Anwalt für soziale Gerechtigkeit wahrgenommen. Pegida und AfD werden in einer solchen Situation zusehends attraktiver – gerade auch für Menschen, die befürchten, dass sich die Bundesrepublik in den nächsten 30 Jahren auf eine Weise verändern könnte, die ihnen Unbehagen bereitet.“

Bezug zu aktuellen Ereignissen

Der Regisseur erläutert, wie er mit Ibsens Drama verfahren ist, um es in die Gegenwart zu holen: „Die Personenkonstellation bleibt erhalten – das Stück ist also durchaus wiederzuerkennen. 'Volksverräter!!' ist aber insofern ein eigenständiges Stück, dass die Sprache eine völlige andere als bei Ibsen ist. In den neuen Bundesländern ist es inzwischen gang und gäbe, dass Bürgermeister, die für gemäßigte Positionen stehen und die Demokratie verteidigen, bedroht werden. Aber auch in Bocholt hat es einen ähnlichen Fall gegeben. Solche Entwicklungen greifen wir auf. Unser 'Volksverräter!!' spielt jetzt, wirft aber auch einen Blick in die Zukunft.“ - Dramaturg Sascha Kölzow spricht von einer „Erosion“ der demokratischen Kultur.

Das Stück will auch unterhalten

„Mir geht es auf der Bühne immer auch um Soziologie“, sagt Hermann Schmidt-Rahmer, „und um die Frage, was passiert, wenn Populismus um sich greift. Der Zuschauer muss seine Position selbst finden – es gibt keinen erhobenen Zeigefinger. Und unterhalten wollen wir auch.“
Die zentrale Rolle des Dr. Thomas Stockmann spielt Roland Riebeling, in diesem Jahr mit dem Bochumer Theaterpreis ausgezeichnet. Mit von der Partie sind auch Jürgen Hartmann, Dennis Herrmann, Raphaela Möst, Veronika Nickl und Klaus Weiss.

Termine
Am Donnerstag, 21. September, wird um 18.45 Uhr die Spielzeit 2017/2018 an der Königsallee 15 eröffnet. Schauspielhaus-Foyer und Theatervorplatz sind umgestaltet worden. Der Eintritt zum Start in die neue Saison ist frei. Direkt im Anschluss ist um 19.30 Uhr im Großen Haus erstmals „Volksverräter!!“ zu sehen. Wer eine Karte für die Premiere hat, kann auch das Konzert besuchen, das „Islam Chipsy & EEK“ gegen 22 Uhr im Foyer des Schauspielhauses geben. Wer nur das Konzert besuchen möchte, kann eine entsprechende Eintrittskarte erwerben.
Am Sonntag, 24. September, werden im Foyer des Schauspielhauses ab 17.30 Uhr im Rahmen eines Public Viewings zur Bundestagswahl Hochrechnungen und Wahlanalysen live übertragen. Wer die „Volksverräter!!“-Vorstellung um 19.30 Uhr besucht, kann sich auch in der Pause über den Stand der Dinge informieren.
Am Samstag, 30. September, ist das Stück erneut um 19.30 Uhr zu sehen. Bereits um 18.45 Uhr gibt es eine Einführung im Foyer des Schauspielhauses.
Karten gibt es unter Tel.: 33 33 55 55. 

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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