Das schlotzige Risotto

Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Risotto gegessen habe. Möglicherweise vor vielen Jahren bei meinem Gourmetfreund Tom in der Küche mit Ausblick auf den Barbarossa-Platz in Köln. Tom und mich verband, nachdem wir uns auf Kos kennen gelernt hatten, noch Jahre danach eine innige greecophile Freundschaft, die wir aufrecht erhielten durch gegenseitige Besuche in unseren Wohnorten Köln und Düsseldorf.

Die verliefen immer nach dem gleichen Ritual. Wir holten einanander vom Bahnhof ab und betrachteten erstmal ausgiebig eine der wichtigsten aktuellen Kunstausstellungen, um nach getaner „Arbeit“ hingebungsvoll zu schmausen und zu bechern. Vorzugsweise in Lokalen – aber manchmal auch privat.

In Toms Küche gab es also das schlotzige Risotto, von dem ich noch Jahre geträumt hatte. Es war so gewürzt, das man ein wenig Zimt erahnen, ein klein wenig Curcuma schmecken und Knoblauch darin riechen konnte. Möglicherweise hatte der Tom auch noch etwas Muskat daran getan.

Serviert mit einem kühlen Weißwein war es ein Hochgenuß in Toms kleiner Küche mit Blick auf den Barbarossaplatz darüber zu sinnieren, wieso Griechenland mit seiner Hochkultur dem römischen Reich zum Opfer fallen mußte und wieso die Römer, aus dem gleichen Mittelmeerraum stammend, so barbarisch waren.

Viele Jahre ist es her und auf der Suche nach was Eßbarem dachte ich weder an Tom, noch an die Griechen, sondern nur daran, wer im Bereich des Zooviertel eigentlich noch gut kochen könne.

Viele Illusionen hatte ich hierbei allerdings nicht – erinnerte mich aber an das „Moskito“, wo man zur „Not“ auch mal einen Salat essen kann mit gebackenem Ziegenkäse, wenn man nun gar keine Lust hat, sich selbst etwas zuzubereiten.

Vor dem „Moskito“ sitzen in der Mittagspause jetzt im herannahenden Sommer viele ältere Leute jeweils alleine an einem Tisch. Sie mümmeln einsam vor sich hin, grüßen zwar einander freundlich – aber jeder bleibt dennoch für sich. Man müßte hier mittags mal anregen zum Kreistanz tanzen. Kreistänze für Senioren, solche Tänze, wie man sie oft auf den griechischen Inseln erleben kann. Und während ich noch ganz bei den Kreistänzen für die Fischer, die Jungfrauen, die Ackerbauern, die Walfänger und die Junggesellen war, erspähte ich auf der Speisekarte das Angebot „Risotto mit Spargelspitzen“.

Mit einer kleinen Kreistanzmusik im Ohr setzte ich mich ans Fenster in meine Lieblingsecke und harrte der Dinge, die da kommen. Tom fiel mir wieder ein. Habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Wir haben uns irgendwie aus den Augen verloren seit er geheiratet hat. Ist ja irgendwie auch normal. „Ein Chardonnay“ hörte ich mich sagen auf die Frage, was ich denn trinken wolle. „Ein Chardonnay und das Risotto mit den Spargelspitzen“.

In der Mittagspause ist Wein trinken verboten – aber was sollte ich machen beim Gedanken an die schönen Begegnungen mit Tom ? Die waren immer von Wein gesäumt und so sollte auch der heutige Mittag dem Tom gewidmet sein und seinen interessanten Geschichten, die er immer drauf hatte.

Dann kam das Risotto. Ein echtes Risotto, Ein schlotziges Risotto. Das heißt, das Risotto ist breiig. Wußten Sie eigentlich, das es extra Reis für Risotto gibt. Sogar viele verschiedene Reissorten.,

Zitat Wikipedia:

„Der oder das Risotto ist ein norditalienisches Breigericht aus Reis, das in vielen Variationen zubereitet wird. Kennzeichnend für fast alle Zubereitungsarten ist, daß Mittelkornreis mit Zwiebeln und Fett angedünstet wird und in Brühe gart, bis das Gericht sämig, die Reiskörner aber noch bissfest sind. Je nach Rezept kommen noch Wein, Pilze, Meeresfrüchte, Fleisch, Gemüse, Gewürze und Käse (meist Parmesan) hinzu. „ Zitat Ende.

Und dieses Risotto war genau so ! Breiig, bißfest und schlotzig. Es war so gewürzt, das man ein wenig Zimt erahnen, ein klein wenig Curcuma schmecken und Knoblauch darin riechen konnte. Möglicherweise hatte der Koch auch noch etwas Muskat daran getan. Und darinnen so viele Spargelspitzen, das auf jedem Löffel Reis, den ich zu Munde führte, eine Spargelspitze mit transportiert wurde auf der streikfreien Bahn in tiefer liegende Gefilde meines ausgehungerten Körpers.

Welch ein Genuß ! Es störte mich nicht, das das Ehepaar hinter mir sich zischend stritt. Es war mir egal, das vor der Tür vier Männer an einem Stehtisch standen, sich Bier mit Killepitsch reinzogen und dabei Ketten rauchten. Normalerweise hätten sie mich angewidert mit einem solchen Suchtverhalten am hellichten Tag. Aber ich nahm sie genauso wenig wahr, wie den ständig laufenden Großbildfernseher mit Dauerfußball aus allen Teilen dieser Welt.

Ich nahm nur das schlotzige Risotte wahr, genoß es auf der Zunge, wie eine Verheißung ins Paradies, nahm ein Schlückchen vom Chardonnay, bestellte mir noch einen zweiten Chardonnay und dachte an Tom. An die Zeit, die wir in Griechenland verbrachten, an die schönen Besuche in Köln und Düsseldorf, an die wunderbaren Gespräche und an all das, was uns verbunden hatte.

Nun ist er verheiratet und sein Mann möchte ihn ganz für sich alleine haben. Er ist sehr krank, HIV-positiv, weiß nicht, wie lange er noch zu leben hat.

Ich kann die Symbiose dieser Beziehung gut nachvollziehen, habe Verständnis für den Rückzug der Beiden. Ein drittes Glas Wein findet den Weg auf meinen Tisch. Ich rufe im Büro an und teile mit, das ich heute mittag nicht mehr komme – es war eh nichts zu tun, außer Ablage.

Als die Senioren draußen sich von ihren Tischen erheben und einen Kreistanz hinlegen, erhebe ich mich von meinem Tisch, gehe nach draußen und klatsche den Takt. „Hoppa, hoppa“, rufe ich und treibe die Leute an, weiter zu tanzen, immer weiter, bis das sie durcheinander gewühlt sind in ihren Köpfen und sich lachend um den Hals fallen.

„Hoppa, Hoppa“, denke ich und wähle auf meinem Handy Toms Nummer. „The Number you have called does not exist“ - „Diese Nummer ist uns nicht bekannt“ - unerträgliche Stille, Wiederholung „The Number you have called....“

Das schlotzige Risotto ist aufgegessen. Ich gehe langsam nach Hause...

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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