"Offene Kirche" in Hattingen: „Eine Schicht ist immer ein bisschen Wundertüte“

Pfarrer Udo Polenske, Eva Nüfer, Gisela Niemke (v.l.) und ein Team von fast 50 Ehrenamtlichen freuen sich über jeden Besucher in Offenen Kirche. Im vergangenen Jahr kamen 50.000 Menschen in das Gotteshaus im Herzen von Hattingen. Fotos (3): Schneidmüller-Gaiser
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  • Pfarrer Udo Polenske, Eva Nüfer, Gisela Niemke (v.l.) und ein Team von fast 50 Ehrenamtlichen freuen sich über jeden Besucher in Offenen Kirche. Im vergangenen Jahr kamen 50.000 Menschen in das Gotteshaus im Herzen von Hattingen. Fotos (3): Schneidmüller-Gaiser
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(von Nicole Schneidmüller-Gaiser)

Wer im Urlaub an einer Kirche vorbeikommt, erwartet ganz selbstverständlich, dass er das Gotteshaus besichtigen kann. Doch wer hierzulande eine der etwa 20.000 Kirchen und Kapellen von innen betrachten möchte, muss sich in der Regel auf die „Nacht der offenen Kirchen“ oder auf den Sonntag beschränken. Außerhalb der Gottesdienstzeiten steht man sonst meist vor verschlossenen Türen. Anders in Hattingen: Die St.-Georgs-Kirche im Herzen der Altstadt ist eine „verlässlich offene Kirche“ – und das seit nunmehr zehn Jahren. Am Sonntag, 1. Februar, gibt es deshalb ab 10 Uhr einen Festgottesdienst.

Eine „Schicht“ in der offenen Kirche ist immer ein bisschen Wundertüte: Man weiß nie, was passiert. Wenn Eva Nüfer und Gisela Niemke, zwei der insgesamt fast 50 Ehrenamtlichen der Offenen Kirche in Hattingen, ihren Dienst antreten, müssen sie flexibel sein. Die Schicht beginnt gegenüber in Annelies Café; dort holen sie den Schlüssel für die dicke Eichentür ab. „Wenn wir dann aufschließen, stehen oft schon Menschen vor der Tür und warten“, berichten die beiden engagierten Frauen. Licht an, Kerze an, Namenschild anheften – doch damit endet dann auch schon die Routine.
Menschen aus der Gemeinde, aber auch Fremde, Radtouristen und andere Besucher der Stadt kommen immer wieder in die St.-Georgs-Kirche und bringen Neugierde, Interesse an Architektur oder auch den Wunsch nach Ruhe oder nach einem Gespräch mit. Wie stellt man sich darauf ein? Für Giesela Niemke, die von ersten Tag an zum Team gehört, ist das ganz einfach: „Ich hab ja Zeit, ich warte einfach, was passiert…“ Oft beginnen die Gespräche damit, dass eine Frage zum Kirchraum gestellt wird. „Darum bilden wir unser Team aus und befähigen die Ehrenamtlichen, solche Fragen zu beantworten“, erklärt Gemeindepfarrer Udo Polenske. Ein Flyer hilft, sich auch allein in der Kirche zurecht zu finden; zudem haben die Ehrenamtlichen alternierende Themen, über die sie mit den Besuchern ins Gespräch kommen können. „Mal erklären wir ein Fenster, mal erzählen wir etwas über die Geschichte der Orgel“, erzählt Frau Niemke.

55.000 Besucher kamen im letzten Jahr

Doch sehr oft sind diese vordergründigen Themen nur Türöffner – und dann stehen Niemke, Nüfer und ihre Kollegen auch für tiefergehende Gespräche bereit. Sie erreichten zuletzt 55.000 Besucher im Jahr – das sind viel mehr Menschen, als die Gemeinde an Gottesdienst-Besuchern verzeichnen kann, weiß Pfarrer Polenske. Sorge bereitet ihm das nicht, ganz im Gegenteil: „Diese Form der Seelsorge ist eine wichtige Ergänzung; und für manchen ist es wahrscheinlich auch die einzige Form, mit Kirche in Kontakt zu kommen.“ Als „ein Modell für die Zukunft“ begreift er darum die offene Kirchenarbeit – und unterstützt die Ehrenamtlichen nach Kräften.
„Am Anfang hatten wir ja nichts außer einer Idee. Mit der Zeit konnten wir von den Spenden, die wir bekommen, immer mehr anschaffen: Kerzen, Bücher für Gebetsanliegen, einen Flyer über die Kirche. Mittlerweile finanziert sich unsere Arbeit komplett selbst“, sagt Gisela Niemke nicht ohne Stolz.

Kerzen als Trost anzünden

Die Sache mit den Kerzen – manchem Protestanten mag das aufstoßen, gilt es doch als eher katholische Geste. Doch Eva Nüfer, Gisela Niemke und auch die Gemeindepfarrer wissen, dass gerade Menschen in schweren Lebenssituationen Trost in dieser kleinen Handlung finden. „Darum haben wir den Bereich auch richtig schön von einem Künstler gestalten lassen“, so Udo Polenske. Und auch das Anliegenbuch, das neben den Kerzen ausliegt, ist nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch ansprechend.
Um als „verlässlich offene Kirche“ anerkannt zu werden, muss ein Gotteshaus an mindestens vier Tagen pro Woche geöffnet sein – St. Georg hat es von Anfang an geschafft, an sieben Tagen zu öffnen. Da jede Schicht mit zwei Personen besetzt ist, braucht die Gemeinde ein großes Team und vor allem das Organisationstalent von Eva Nüfer und Giesela Niemke, die bei der Erstellung des Dienstplanes nicht nur die Zeiten, sondern auch die persönlichen Vorlieben der Ehrenamtlichen im Blick haben. „Man braucht jede Woche 26 Ehrenamtliche für jeweils zwei Stunden. Wir haben 20 regelmäßige Helfer und 20 Springer“, zählt Eva Nüfer auf, die den Dienstplan jeweils für sechs Wochen plant, damit alle Wünsche berücksichtigt werden können. „Unter den Ehrenamtlichen haben sich im Laufe der Zeit auch schon Freundschaften gebildet, wir sind ein richtig gutes Team und wir kümmern uns auch umeinander“, betonen die Frauen. Zwischen 60 und 80 Jahren sind die meisten von ihnen, der älteste Mitarbeiter ist stolze 90, und einige jüngere Menschen bereichern das Team ebenfalls.

Der Advent als Herausforderung

Eine besondere Herausforderung ist immer der Advent – denn dann öffnet die St.-Georgs-Kirche durchgehend an jedem Tag zwischen 12 und 18 Uhr und wird zudem durch eine tägliche Meditation ergänzt. Mit großem Erfolg: Wenn um 18 Uhr die Kirchenglocke ertönt, kommen oft mehr als 40 Menschen, um sich mitten im vorweihnachtlichen Treiben jenseits von Glühwein oder Shopping einen kleinen Moment der Ruhe zu gönnen. Kirchenmusikerin Maria Cristina Witte organisiert für jeden einzelnen Tag Livemusik – eine stimmungsvolle Art, sich auf Weihnachten einstimmen zu lassen.
Udo Polenske nutzt den runden Geburtstag, um allen Ehrenamtlichen für ihr Engagement zu danken: „Das ist ein starkes Stück Kirche.“

Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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