Vom Wissen, wie wichtig Liebe ist. Sina fand über die DKMS einen Spender

Großes Engagement bei der Typisierungsaktion: Nicole Donath (2.v.li.), Sabine Schulz (3.v.li.), Andrea Hofmann (2.v.re.) und Tim Hoffmann (1.v.re.) freuen sich gemeinsam mit den Mitarbeiter der DKMS über die große Anteilnahme bei den Kamp-Lintfortern. Ganze vier Wochen dauerte die Vorbereitungszeit dieser Aktion.
  • Großes Engagement bei der Typisierungsaktion: Nicole Donath (2.v.li.), Sabine Schulz (3.v.li.), Andrea Hofmann (2.v.re.) und Tim Hoffmann (1.v.re.) freuen sich gemeinsam mit den Mitarbeiter der DKMS über die große Anteilnahme bei den Kamp-Lintfortern. Ganze vier Wochen dauerte die Vorbereitungszeit dieser Aktion.
  • hochgeladen von Regina Katharina Schmitz

„Mama, mach, dass das ein Ende nimmt. Mama, lass mich sterben.“ Als Daniela Grundmann diese Worte ihrer Tochter wiedergibt, sieht man den ganzen Schmerz, die ganze Liebe und die ganze Anstrengung des vergangenen Jahres in ihrem Gesicht.
Es war der 8. April 2014, als die kleine Sina aus Kamp-Lintfort die niederschmetternde Diagnose MDS bekam.

Was ist MDS, fragen sich viele Menschen, da diese Erkrankung, was Präsenz und Wahrnehmung angeht, bei vielen Menschen noch ein unbeschriebenes Blatt ist. Man spricht oft von einer Erkrankung der blutbildenden Systeme, was übersetzt so viel heißt, dass das Knochenmark versagt. Es hört auf, neue Stammzellen zu bilden, der Haemoglobinwert (Anteil der roten Blutkörperchen) sinkt, die Blutmenge schwindet. Langfristig kann der Körper die Organe nicht mehr mit ausreichend Blut und Sauerstoff versorgen, der Mensch stirbt.

„Ich wollte schreien, einfach zu Boden sinken, aber ich konnte nicht“, erzählt Daniela Grundmann und durchläuft die Erinnerungen Schritt für Schritt. „Man kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn das eigene Kind so schlimm erkrankt, aber man weiß, ,du kannst nicht aufgeben‘.“ Sinas Eltern arbeiten selbst im Medizinsektor. Daniela ist MTRA, Andreas arbeitet im Bereich der medizinischen Erstversorgung. „Hilft es, wenn man den Klinikalltag, den Umgang mit Patienten gewohnt ist?“ will ich wissen. Daniela schüttelt den Kopf. „Im Gegenteil, man kennt sich aus und weiß ganz genau, was da auf einen zukommt.“
„Als man mir den Anfangsverdacht auf Leukämie mitteilte, saßen Andreas und Sina gerade auf dem Sofa. Wie in Trance lief ich in die Küche und schrieb nur einen Zettel.“ Auf dem Zettel stand: Koffer - Kinderklinik - Onkologie - sofort.
Was danach folgte, war eine lange Zeit der Anstrengung, Kraft, eines sich Aufrichtens und Hoffens.

Es gab keine Anzeichen der Krankheit

„Wie haben Sie denn überhaupt gemerkt, dass Sina so schwer erkrankt war?“ „Überhaupt nicht,“ erklärt mir Andreas. „Es gab keine Anzeichen für eine solche Erkrankung. Nur ein blauer Fleck am Bauch sorgte für Irritation bei der U11 Untersuchung, so dass wenige Tage später ein Blutbild gemacht wurde. Dieses wies dann Auffälligkeiten auf, so dass der Verdacht auf Leukämie bestand.“

Am selben Tag geht es in die Krefelder Kinderklinik. Und dann das: Angehörige einer Bettnachbarin sprechen von der Krebsstation. „Können Sie sich vorstellen wie das war? Mein Kind schaut mich mit großen Augen an, erwartet ein ,Nein, das stimmt doch nicht‘ und ich kann nicht sprechen, will Nein sagen und kann es nicht. Ich wusste einfach nicht, wie ich ihr das erklären soll.“ Eine unvorstellbare Situation, obgleich noch in keinster Weise klar war, woran Sina litt.

Erste diagnostische Maßnahme in der Klinik: Punktion, also Entnahme von Knochenmark aus dem Beckenkamm. Die entnommenen Proben werden nach Freiburg geschickt. 24 Stunden später gibt es es erste Ergebnisse: keine Leukämie, aber es handele sich um irgendetwas anderes sehr Gefährliches. Danach hieß es sechs unerträglich lange Wochen warten, bis eine weitere Knochenmarkspunktion durchgeführt wurde. Weitere zwei Wochen des unerträglichen Wartens schließen sich an, in der Sina schon Bluttransfusionen bekommt, bis die Diagnose klar war: MDS.
Sina war betroffen und mit ihr ihre Familie, ihre Freunde, ihre Schule, eine ganze Stadt. „Oft denkt man, die Menschen sind so kalt und hart geworden, jeder denkt nur an sich. Aber das stimmt nicht. Diese Anteilnahme, das ganze Engagement, der absolute Rückhalt von allen Lehrern der Ernst-Reuter-Schule hat mich so wahnsinnig beeindruckt“, erklärt Andreas Grundmann. Die Hilfe ging so weit, das eigens für Sina eine Typisierungsaktion gestartet wurde. Tim und Andrea Hoffmann, befreundete Nachbarn der Grundmanns hatten dies initiiert und viele Helfer dafür gefunden. Am 18. Mai 2014 kamen 2.068 Menschen, die Sinas Schicksal nicht unberührt ließ, und ließen sich als Spender registrieren. „Trotz der Traurigkeit hatte all das fast den Charakter eines Festes“, so Andreas Grundmann weiter, allein 150 Kuchen wurden gestiftet und Schulleiterin Christine Buyken konnte sehr stolz auf ihre Schule sein.

Im August wurde über die DKMS ein Spender gefunden

Mitte August war es dann so weit: Über die Zentrale der DKMS hatte man einen Spender für die kleine Sina gefunden. Acht Tage bekam die Zehnjährige eine Chemotherapie, damit ihr eigenes disfunktionales Knochenmark abstarb. Acht Tage vor Tag null, dem Tag, an dem die lebensrettende Infusion der neuen Stammzellen dem Körper zugeführt wurde. Zwei Beutel Leben, könnte man sagen, zwei Beutel rot-orangefarbene Stammzellen flossen innerhalb von sechs Stunden in den kleinen Körper. Nach den ganzen Bluttransfusionen zuvor, die über den Zentralen-Venen-Katheter (ZVK) in den Körper gelangt waren, war es vom Prozedere nichts Beeindruckendes. Aber das Wissen, dass genau darin die Zukunft eines ganzen Kindes steckte, machte auch die Eltern von Sina für eine Zeit ehrfurchtsvoll.
Drei Wochen ,schläft‘ das Knochenmark nach der Transfusion, siedelt sich an, bevor es wieder anfängt zu arbeiten. In diesen drei Wochen liegt das Immunsystem fast brach, die Infektionsgefahr ist so gefährlich hoch trotz vorab verabreichtem Profilaktikum. Jeden Tag wurde ein großes Blutbild gemacht. Während des Aufenthaltes in Freiburg konnten die Grundmanns im angegliederten Elternhaus wohnen. „Ich war von morgens acht Uhr bis abends um 24 Uhr bei meiner Tochter. Mittags bin ich ins Haus gelaufen, habe ihre Sachen gewaschen, sterilisiert, gekocht - denn Sina wollte am liebsten Mamas Essen essen - das Essen eingepackt und wieder zu ihr gefahren,“ erzählt sie und beschreibt, wie lang die Tage auf der Isolierstation waren. „Wir haben gebastelt, gespielt, alles getan, damit sie das alles durchsteht.“ Und auch Andreas tat, was er nur konnte. Die ersten sechs Wochen war er komplett vor Ort, Dannach kam er trotz Berufstätigkeit so oft es ging nach Freiburg und kümmerte sich rührend um seine Tochter.

Ein Wechselbad der Gefühle

Und alles lief nach Plan, bis sich der Zustand zunehmend verschlechterte. Bis zu zehn Mal am Tag habe sie sich übergeben müssen, konnte nicht mehr schlucken, klagte über Knochenschmerzen. Die erste Vermutung der Ärzte, dass es sich um eine psychologische Reaktion handle, sollte sich nicht bestätigen, doch bis die Ärzte herausfanden, was wirklich los war, war Sina kurz vor der Aufgabe. „Mama, mach, dass das aufhört, gib mir ein Messer, damit ich mich aufschneiden kann“, Worte, die einem kalt den Rücken hinunterlaufen. Sina litt unter einer akuten Sinusitis, unter einer Hirnhautentzündung, unter Pfeifferschem Drüsenfieber, geschwollenen Lymphen und geschwollenen Sehnerven. Der Druck im Kopf stieg, Gehirnwasser musste entnommen werden, ein Martyrium ohnegleichen. Grund für die Vielzahl der Erkrankung war ein nicht erkannter EBV-Virus. Die daraufhin eingeleitete Virustherapie schlug an.

In dieser Zeit durchlebte die dreiköpfige Familie sämtliche Gefühlslagen, die man erleben kann. Aber auch den anderen vier Familien der Kinder, die auf der Station lagen, erging es nicht anders. „Wir haben zusammen gebangt, geweint, gehofft und uns gefreut“, erzählt Daniela, „wir sind zu einer richtigen Familie zusammen gewachsen.“

Wer nun denkt, dass Sina nach der Entlassung wieder ein normales Leben führen konnte, der irrt. Denn alle infektionsvermeidenden Maßnahmen, spezielle Kost, kein Besuch von Freunden, Weihnachten ohne Kirchbesuch und Verwandte waren Pflicht, um die Zehnjährige zu schützen.

Sina hat sich verändert

Und auch Sinas Äußeres hat sich verändert. Ihre dunkelblonden glatten Haare sind nun zu einer dunkelbraunen Lockenmähne gewachsen und auch der Ausdruck in ihrem Gesicht hat sich verändert. Als ich frage, was sich sonst noch verändert hat, lächelt Daniela Grundmann. „Sina war immer schon sehr selbstständig, ,ich bin dann mal weg‘, hab ich häufig gehört, wenn sich sich mit Freundinnen verabredet hat. Heute sitzt Sina neben mir im Auto, dann nimmt sie meine Hand und drückt sie ganz fest. Und auch abends, geht sie nicht ohne eine Umarmung schlafen. Sie wusste, dass sie sterben könnte und sie weiß heute um so mehr, wie wichtig Liebe ist.“ Sina ist ein ganz beeindruckendes Mädchen, dass den schweren Kampf gegen MDS gewonnen hat, sie war stark und mutig, eine echte Heldin. Ihren Stammzellenspender kennt sie nicht. Erst zwei Jahre nach Tag null, kann eine erste Kontaktaufnahme seitens der Empfänger erfolgen, was aber nichts an dem unendlichen Dank der ganzen Familie ändert. Denn das größte Geschenk im Leben ist das Leben selbst und manchmal bekommt man es sogar ein zweites Mal geschenkt.

Mehr zum Thema:
>>Facebook Gruppe
>>Endlich Spender gefunden

Autor:

Regina Katharina Schmitz aus Dinslaken

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