Kunstmuseum zeigt Ausstellung über Kunst der sechziger bis achtziger Jahre im polnischen Wroclaw

Auch Selbstverletzung war in der polnischen Kunst Thema, hier in einer Arbeit von Krzysztof Zarebski. | Foto: Kunstmuseum
  • Auch Selbstverletzung war in der polnischen Kunst Thema, hier in einer Arbeit von Krzysztof Zarebski.
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„´Wild West´ist ein merkwürdiger Titel für eine Kunstausstellung“, weiß Dorota Monkiewicz, Direktorin des Zeitgenössischen Museums Wroclaw. Wer aber den Titel der Schau, die vom 5. März bis zum 8. Mai im Bochumer Kunstmuseum gezeigt wird, vollständig liest, weiß, worum es geht: „The Wild West – Wilder Westen. Die Geschichte der Avantgarde in Wroclaw“. Diese westpolnische Stadt hieß bis 1945 Breslau. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten 1.000.000 Menschen in dieser deutschen Stadt. Monkiewicz erläutert: „Nach Kriegsende, als die Stadt polnisch wurde, fand ein Bevölkerungsaustausch statt. Die bisherigen Einwohner wurden vertrieben. Dafür kamen Menschen aus Ostpolen nach Wroclaw. Das bedingte auch einen starken kulturellen Wandel.“ Durch die Nähe zu Deutschland und damit zu Westeuropa trafen in der Stadt unterschiedliche Kulturen aufeinander, wodurch ein eigener künstlerischer Mikrokosmos entstand. „Der Eiserne Vorhang“, weiß Monkiewicz, „funktionierte nicht richtig.“ Dr. Hans Günter Golinski, Direktor des Kunstmuseums Bochum, ergänzt: „Es gab internationale Verflechtungen. Die Zeichensprache der feministischen Kunst etwa ähnelt der im Westen.“

Das Zeitgenössische Museum Wroclaw trägt mit „Wild West“ zum Programm des Kulturhauptstadtjahres bei, das 2016 im ehemaligen Breslau begangen wird. Es geht dabei um avantgardistische Tendenzen in der polnischen Kunst von Mitte der sechziger bis in die achtziger Jahre. Dabei kommt der Stadt eine Sonderrolle zu, wie Monkiewicz erläutert: „Hier gab es mehr Experimente als irgendwo sonst in Polen.“ Die umfangreiche Ausstellung macht nicht nur in Bochum, sondern auch in Warschau, Kosice, Zagreb und Budapest Station.

Das Bochumer Kunstmuseum setzt mit „Wild West“ eine jahrzehntelange Tradition des Austausches mit polnischen Künstlern und Kunstinstitutionen fort. „Auch schon vor 1989“, betont Golinski, „haben wir der mittel- und osteuropäischen Kunst breiten Raum gegeben.“ Er ergänzt: „In Westeuropa wurde oft behauptet, in Polen existiere keine freie Kunst. Das stimmte natürlich nicht. In Spanien und Griechenland herrschten schließlich auch Diktaturen und niemand kam auf die Idee, es entstehe dort keine relevante Kunst.“

Zwei Visionäre, die nach Wroclaw kamen und von dort aus das polnische Kunstleben veränderten, lernen auch die Ausstellungsbesucher kennen: Jerzy Grotowski ist vor allem als Begründer des Teatr Laboratorium bekannt; Jerzy Ludwinski schuf Modelle für Institutionen wie das Museum der Gegenwartskunst und gilt als Begründer der „Mona Lisa Galerie“. Dabei ist Dorota Monkiewicz jedoch eines wichtig: „Die reiche Kunstszene der Stadt soll hier nicht auf wenige prominente Künstler reduziert werden.“ Dieser Reichtum manifestiert sich nicht zuletzt in der Vielfalt der Objekte, die es auf drei Etagen zu sehen gibt: Malerei, Skulptur und Fotografie sind ebenso vertreten wie Filme und Dokumentationen von Performancekunst. Der Stellenwert der Performance weist auch auf einen Unterschied zum heutigen Kunstbetrieb hin, auf den Hans Günter Golinski verweist: „Kunst wurde damals in Polen eben gerade nicht in erster Linie für Galerien gemacht. Adressat war die Öffentlichkeit, nicht der Sammler. Kunst mit Happening-Charakter eroberte den öffentlichen Raum.“

Besonders deutlich wird dies, wenn man den Teil der Ausstellung betrachtet, der sich der Straßenkunst der achtziger Jahre widmet. „In diesem Bereich“, so Monkiewicz, „fand eine totale Neuorientierung statt.“ Aufsehen erregten die situativen Arbeiten der Gruppe „Luxus“. „Sie nannten sich ´Luxus´, dabei gab es in Polen zu dieser Zeit oft nicht einmal Toilettenpapier“, erinnert sich Monkiewicz. Das Kollektiv „Orange Alternative“ war seiner Zeit weit voraus. „Was sie gemacht haben“, sagt die Museumsdirektorin, „würde man heute als Flashmob bezeichnen.“ Sie denkt gern an diese Zeit voller Subversion und Witz zurück. Ihr Blick ist dabei ein durchaus soziologischer: „Wir wollen nicht die Kunstgeschichte Wroclaws, sondern die Stadt durch die Kunst erzählen.“ Auch ein Bogen zur aktuellen Kunstszene der Stadt soll geschlagen werden.

„Kunst ist wichtig für den Freiheitsbegriff“, macht Golinski deutlich, „dem Stalinismus setze die Kunst einen Freiraum entgegen. Heute gibt es in Polen wieder Zensur. Diese Bedeutung unserer Ausstellung war bei der Planung noch gar nicht absehbar.“

Rahmenprogramm
Am Donnerstag, 7. April, zeigt das Kunstmuseum um 19.30 Uhr Andrzej Wajdas Film „Asche und Diamant“ aus dem Jahr 1958 als Originalfassung mit deutschen Untertiteln.
Einen weiteren Filmabend gibt es am Donnerstag, 14. April. Um 19.30 Uhr läuft dann der Streifen „80 Millionen“ von Waldemar Krystek aus dem Jahr 2011. Auch hier wird die Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt.
Bärbel Kasperek und Studierende der Evangelischen Fachhochschule Bochum laden am Samstag, 16. April, um 19.30 Uhr unter dem Titel „Kontaktzonen“ zu einem Vortrag mit Performance ein.
Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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