Gedenkort Nordbahnhof: Geschichte neu entdecken

Am Nordbahnhof starteten in der NS-Zeit die Transporte in Vernichtungslager - daher soll hier ein Gedenkort entstehen. Dafür macht sich eine Initiative unter Federführung von Dr. Hubert Schneider, Prof. Bernd Faulenbach und Dr. Manfred Keller (v.l.) stark.
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  • Am Nordbahnhof starteten in der NS-Zeit die Transporte in Vernichtungslager - daher soll hier ein Gedenkort entstehen. Dafür macht sich eine Initiative unter Federführung von Dr. Hubert Schneider, Prof. Bernd Faulenbach und Dr. Manfred Keller (v.l.) stark.
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Pläne für einen Gedenkort für die Opfer der NS-Verfolgung am Nordbahnhof werden konkret

Ziemlich genau 75 Jahre ist es her, dass vom Nordbahnhof die ersten Massendeportationen jüdischer Bürger nach Riga starteten. Das Gebäude des Nordbahnhofs zu erhalten, um hier einen zentralen Gedenk- und Erinnerungsort einzurichten - das ist das Ziel der "Initiative Nordbahnhof Bochum". Mit einer neuen Broschüre ist nun eine weitere Etappe auf dem Weg dorthin erreicht.

"Der authentische Ort ist unabdingbar", stellt Dr. Manfred Keller, ehemaliger Leiter der Ev. Stadtakademie und einer der Mitbegründer der Initiative, klar. "Wir haben kein Interesse daran, in irgendeiner aufgegebenen Schule, die die Stadt uns zur Verfügung stellt, ein Museum einzurichten." Der Nordbahnhof biete gerade jungen Menschen die Möglichkeit zum Erleben am unmittelbaren Ort.
Seit 2013 verfolgt die Initiative Nordbahnhof, die aus dem Dunstkreis der RUB heraus gegründet wurde, dieses Projekt, um die "Shoah in Bochum sichtbar zu machen", wie der Historiker Dr. Hubert Schneider formuliert. Hinter den Kulissen laufen die Gespräche auf Hochtouren - sowohl mit dem neuen Eigentümer des Nordbahnhofs als auch mit der Stadt, der Ruhr-Uni und potentiellen Geldgebern.
"Der Besitzer des Nordbahnhofs ist unserem Anliegen wohlgesonnen und bereit, uns Räumlichkeiten zu vermieten", berichtet Bernd Faulenbach, Vorstandsmitglied der Initiative. Denkbar wären verschiedene Modelle - sowohl eine "kleine Lösung", bei der ein reiner Gedenkort in einem Raum im Obergeschoss eingerichtet wird, bis hin zu einer "großen Lösung", bei der rund ein Viertel der zur Verfügung stehenden Gebäudefläche genutzt werden könnte und die zusätzliche Räume für Veranstaltungen, Seminare oder Bildungsangebote mit sich brächte. "Dann könnten wir den gesamten rechten Flügel nutzen, der hinten heraus direkt auf die Bahngleise führt", erläutert Keller.
Abhängig ist diese Entscheidung nicht nur von Geldgebern, sondern auch von den letztlichen Trägern der Gedenkstätte. "Eine Angliederung an die Ruhr-Uni wäre denkbar und wünschenswert", so Faulenbach.
Hinter den Kulissen laufen die Gespräche daher mit allen Beteiligten auf Hochtouren - ein Ergebnis indes steht noch aus. Doch die Zeit drängt. "Der Besitzer hat bereits Mietverträge für einen großen Teil des Gebäudes abgeschlossen und die Renovierungsarbeiten sollen noch in diesem Jahr beginnen", berichtet Faulenbach.
Warum dieser Erinnerungsort mitten in der Stadt so wichtig ist, weiß der Historiker Faulenbach: "Der millionenfache Mord an Juden, an Sinti und Roma und an anderen Gruppen während der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs fand zwar weit im Osten Europas statt, scheinbar weit weg von uns. Aber die Segregation, die wurde genau hier durchgeführt, mitten unter uns." Der Nordbahnhof bietet die Möglichkeit zum Erleben der Geschichte am unmittelbaren Ort. Ähnliche Gedenkorte im Osten - etwa in Riga - gebe es bereits, eine Entsprechung hier allerdings fehle.
Auf 72 Seiten stellt die aktuelle Publikation, die ab sofort im Buchhandel und in den Bürgerbüros im Rathaus Bochum und Wattenscheid erhältlich ist, den Stand der Diskussion vor und gibt erste Überlegungen zu einem möglichen Ausstellungskonzept. "Dies ist eine Handskizze, noch keine konkrete Darstellung", betont Keller. "Es lässt sich erkennen, dass wir weiter daran arbeiten müssen."
Und genau dafür sucht die "Initiative Nordbahnhof", deren Eintragung als Verein unmittelbar bevorsteht, weitere Mitstreiter: Menschen, die sich für den Gedenkort Nordbahnhof stark machen wollen - nicht nur als Geld-, sondern vor allem auch als Ideengeber. "Wir hoffen auf weitere Kompetenz."

Bürgerschaftliche Solidarität

Der Gedenkort soll von einem möglichst breiten Bürgerbündnis getragen werden - gerade weil, so Faulenbach, durch die Shoah die selbstverständlichen Fundamente der bürgerschaftlichen Solidarität auf so elementare Weise verletzt wurden.
Ein Seminar der Ruhr-Uni im Sommersemester 2016 hat bereits einen Entwurf für ein Ausstellungskonzept mit möglichen Themen erarbeitet, das nun als Blaupause für die weitere Planung dienen soll. "Möglich wäre nicht nur ein reiner Gedenkort, sondern auch etwas wie ein 'Haus der Erinnerung und Toleranz'."
"Unser Wunsch wäre", so Manfred Keller, "dass die Menschen, wenn sie diesen Ort besucht haben, ihre Stadt anders wahrnehmen."

Ort mit wechselvoller Geschichte

Der heute am Ostring gelegene ehemalige Nordbahnhof ist eines der wenigen heute noch erhaltenen historischen Bahnhofsgebäude im Stadtgebiet - dennoch war eine Abrissgenehmigung für das 1874 errichtete Gebäude bereits beantragt.
Im Sommer 2016 hatten die letzten Besitzer, die Bochumer Familie Fiege, den Bahnhof an die Bochumer Brüder Ergün und Ertan Ilce, Geschäftsführer der Immobilienfirma Immobilien-Gallery GmbH, verkauft. Zuvor war das Gebäude rund 16 Jahre lang im Besitz der Brauerei-Familie, wurde jedoch nicht genutzt. Im Sommer 2015 schließlich hatten die Brüder Fiege eine Abrissgenehmigung dafür beantragt. Erst massive Bürgerproteste und eine Unterdenkmalstellung des Gebäudes hatten den Abriss verhindert.
Der neue Eigentümer, die Immobilien-Gallery GmbH, will das zweigeschossige Gebäude als Geschäftsimmobilie, vorwiegend für Praxen und Büros, nutzen.
Der Bahnhof war 1874 als damaliger "Rheinischer Bahnhof" an der Strecke Bochum-Wattenscheid der Rheinischen Eisenbahn eröffnet worden.
Ab Ende Januar 1942 gingen vom Bahnhof-Nord die Transporte Bochumer Juden über die rheinische Strecke via Dortmund-Süd in die Arbeits- und Vernichtungslager ab.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das repräsentative Empfangsgebäude stark beschädigt, war aber bis zur Eröffnung des neuen Bochumer Hauptbahnhofs 1957 der einzig intakte Gleisanschluss. Das stark zerstörte dritte Geschoss wurde nach dem Krieg nicht mehr wieder mitaufgebaut. 1979 wurde der Personenverkehr am Nordbahnhof endgültig eingestellt.

Autor:

Petra Vesper aus Bochum

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