Sexuelle Handlungen in der Psychotherapie – Gerichtsbeschluss als Aufreger

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Es war wieder einer dieser Gerichtsbeschlüsse,
der zu starken Emotionen führte,
weil er für den Laien ohne Möglichkeit des Wissens um die Hintergründe, die zur Gerichtentscheidung führten,
nicht wirklich als im Namen des Volkes gesprochen verstanden werden kann.

Der Pressespiegel des Land- und Amtsgerichts wies in der vergangenen Woche aus, einem 50 jährigen Angeklagten aus Bochum werde zur Last gelegt,
über einen Zeitraum von 18 Monaten hinweg
in 30 Fällen sexuelle Handlungen an einer ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertrauten Person vorgenommen zu haben bzw. an sich habe vornehmen lassen.

Bereits die Ankündigung der Verhandlung eines derartigen Falles schockierte, berührte die Anklage doch einen ganz speziellen und sehr sensiblen medizinisch-psychologischen Behandlungsrahmen.
Sollte der Vorwurf nachgewiesen werden können, schien eine Verurteilung aus Sicht des Bürgers sicher,
denn das hier ging nun gar nicht.
Es wäre dann in jedem Fall ein schlimmes Vergehen an einer in der Abhängigkeit einer psychologischen Behandlung befindlichen und unter deren psychologischem Einfluss stehenden Patientin.

Umso mehr machte sich dann die Empörung breit, als das Ergebnis der Verhandlung in der Zeitung nachgelesen werden konnte.
Zwar war der Beklagte unter der Maßgabe mit einer Verfahrenseinstellung einverstanden, 5.000 € an gemeinnützige Zwecke zu zahlen, insofern wirkte er nicht frei von Schuld und trug Konsequenzen.
Empörend aber blieb die weitere Ausführung, „die Beweislage sei völlig offen gewesen. Und selbst wenn sexuelle Handlungen bewiesen worden wären, sei es aufgrund besonderer Umstände unter anderem im Verhältnis zwischen dem Therapeuten und der Patientin unklar gewesen, ob diese überhaupt strafbar seien. Und selbst für diesen Fall sei eine Schuld wohl nur gering gewesen.“

Die tief empfundene Ungerechtigkeit schrie angesichts der Kenntnis der Berufsordnung der Psychotherapeuten sofort auf: Hier hat wohl das Gericht in keiner Weise die Besonderheiten und speziellen Regelungen einer psychotherapeutischen Behandlung herangezogen, war der erste, der zweite und der dritte Gedanke – und alle weiteren, die noch auf das Gelesene folgten.

Die Ausführungen stimmten mehr als wütend, erfolgten sie doch offenbar unter recht abstruser Verdrehung genau der Vorschriften der Berufsordnung, die zum Schutz des Patienten vor Ausnutzung und Missbrauch erlassenen worden sind.
Von einer Unklarheit hinsichtlich einer Strafbarkeit sexueller Handlungen in einer Psychotherapie zu sprechen würde dann bedeuten, dass unter dem „Schutz“ der Berufsordnung erfolgte Handlungen strafrechtlich nicht verfolgbar wären.

Psychotherapie als rechtsfreier Raum? Hoppla.

Die Psychotherapeutenkammer sieht Patientenrechte als besonders schutzbedürftig an. Gerade deshalb sei ein besonders klarer und strikter Patientenschutz notwendig, weist die Kammer NRW auf ihrer Homepage aus.
Verstöße gegen die verbindlichen Regeln der Berufsordnung und insbesondere gegen das Abstinenzgebot können berufsrechtliche Verfahren bis hin zum Entzug der Approbation nach sich ziehen.

Das Gebot der Abstinenz ist in § 6 der Berufsordnung ausreichend deutlich geregelt, die dem Therapeuten zudem die alleinige Verantwortung für die therapeutische Beziehung und für ein berufsethisch einwandfreies Vorgehen überträgt.
Danach hat der Psychotherapeut die Pflicht, seine Beziehung zu Patienten professionell zu gestalten und dabei jederzeit die besondere Verantwortung ihnen gegenüber zu berücksichtigen.
Er darf die Vertrauensbeziehung nicht zur Befriedigung eigener Bedürfnisse missbrauchen.
Außertherapeutische Kontakte zu Patienten sind auf das Nötige zu beschränken und so zu gestalten,
dass eine therapeutische Beziehung möglichst wenig beeinträchtigt wird.
Insbesondere aber ist jeglicher sexueller Kontakt von Psychotherapeuten zu ihren Patienten unzulässig.
Das Gebot gilt selbst für die Zeit nach Beendigung der Psychotherapie, solange noch eine Behandlungs-notwendigkeit oder eine Abhängigkeitsbeziehung der Patienten zum Psychotherapeuten gegeben ist.

"Unklar“ ist in der Beziehung zwischen Patient und Therapeut also gar nichts. Sie ist klar geregelt.
Angesichts dieser Verordnung von „nur geringer Schuld“ zu sprechen,
sollten sexuelle Vorfälle bewiesen werden können, ist ein heftiger Schlag ins Gesicht derer,
die sich vertrauensvoll an einen Psychotherapeuten wenden wollen oder müssen.

Gerade in der Psychotherapie ist das Potential der Schädigung aufgrund der Vorerkrankungen
und der daraus resultierenden, weitaus höheren Verletzbarkeit seelischen Erlebens nicht zu vernachlässigen.
Die hier vertretene Ansicht spricht Patienten hingegen den dringend benötigten Schutz vor schädigendem seelischen und körperlichen Einwirken ab.

Übertragen auf andere Behandlungen würde diese öffentliche Äußerung schließlich fast auch bedeuten können, den Gynäkologen vom Vorwurf der Vergewaltigung freizusprechen, da durch die Besonderheit der gynäkologischen Behandlungsposition nicht zweifelsfrei bewiesen werden könne, dass die zu untersuchende Frau nicht ihr Einverständnis zu sexuellen Handlungen gegeben habe.

Wenn also Vertrauen in eine Psychotherapie nicht ganz verloren gehen soll, wäre Transparenz in einem solchen Beschluss mehr als wichtig.
Solange aber bliebe ja fast nur zu raten:
Hände weg von Psychotherapie,
deren Potential der Schädigung allein schon durch die aktive Gestaltung einer Scheinbeziehung durch den Therapeuten nicht zu unterschätzen ist.

Angesichts des eindeutigen und schweren Verstoßes sexueller Handlungen gegen die Berufsordnung bleibt als Besänftigung nur anzunehmen, dass die Anklage vielleicht nicht ganz zutreffend formuliert war und sich nicht auf die Besonderheit der Psychotherapie gestützt hat, sondern allein auf sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, so dass vor diesem Hintergrund die Behandlungssituation nicht ausreichend gewürdigt worden ist.
Der Zeitungsleser und der Laie bleiben hier tatsächlich ziemlich hilflos. Trotz bekannt gegebenen Aktenzeichens konnte bislang nicht weiter recherchiert werden.

Dennoch aber bleibt die Zahlung der 5.000 € des Beklagten an gemeinnützige Zwecke, die der betroffenen Patientin ein ausreichender Trost sein muss.
Ein solcher Vorfall kommt ja schließlich nur zur Anzeige, wenn es auch zu einer ausreichend schwer und nachhaltig empfundenen Schädigung gekommen ist, deren Verarbeitung dem Opfer nicht möglich ist.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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