Dinslaken: Hintergrund-Infos für unsere NACHRICHTEN-COMUNITY zur Spielzeiteröffnung

Faust (Frederike Bellstedt) und Mephisto (Tilmann Rose). Foto: BHB Martin Büttner.
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Die Angst des Intendanten vorm Regie-Vergleich belegte Goethes Wort von der „Welt voll armer Teufel“:

Im „Faust“ der Spielzeiteröffung 2014 standen Staatstheater- und Landesbühnen-Schauspieler im direkten Vergleich erstmals in Dinslaken gemeinsam in einer Aufführung auf einer Bühne – Sind die großen Gagen-Unterschiede der billigsten und der teuersten deutschen Theaterform gerechtfertig? Konkreter: Sind die Niedrig-Gagen an der Landesbühne gerechtfertigt?

Mit deutscher Theatertradition brach am letzten Freitag der zum neuen Intendanten der Landesbühne (Kreis Wesel) bestellte Mirko Schombert, zuvor Kindertheater-Leiter am Mainzer Staatstheater.

Statt wie üblich seine Ära mit eigener Regie vorzustellen, bat er seinen in Mainz samt Mitarbeitern ausgeschiedenen Intendanten Fontheim praktisch um ein Gastspiel am Niederrhein, mit hauptsächlich mitgebrachten Ex-Staatstheater-Schauspielern seines aufgelösten Ensembles. Stellen wir dazu ein paar allgemein zugängliche Fakten zusammen.

Goethes „Faust“ gehört zu den Stücken, die man als „scheidenwollender“ Theaterleiter gern in der voraussichtlich letzten eigenen Spielzeit auf den Plan setzt, um sich mit guten Zahlen zu verabschieden. Dinslakens voriger Landesbühnen-Leiter wurde jedoch relativ kurzfristig bereits mit Beginn dieser Spielzeit Leiter eine anderen.

Wie bei dieser vorwiegend gastierenden Theaterform üblich befindet sich also der lange angekündigte Spielplan schon im Gastspielort-Verkauf, wenn der Neue antritt: Dieser „zeigt dann Flagge“, beweist die Richtigkeit seiner Wahl vorwiegend mit der am Theater (gegenüber der Stückwahl) als wichtiger angesehenen künstlerischen Ausgestaltung der Werke. Mit eigener Regie resp. mit der Regievergabe bei anderen Stücken im Saison-Verlauf, bei Auswahl der zu engagierenden Schauspieler, der Kostüm- und Bühnenbildner in Intendanten-Verantwortung.

Dies gilt umso mehr im Zeitalter des sogenannten Regietheaters, in dem die Wahl eines Klassiker-Stücks für den Spielplan weniger über den Abend aussagt als die Regisseur-Wahl, so auch hier.

Erneut war zuvor diese Intendantenwahl des Entscheidungs-Gremiums deutlich weniger sachlich als vom persönlichen Gefühl eines Miteinander-Könnens im Gremium bestimmt: Schomberts letzte Regie-Arbeit im Kinder- und Jugendtheater in der Ära Fontheim am Mainzer Staatstheater war bereits abgespielt und nicht mehr zu überprüfen, als er in Dinslaken gewählt wurde.

Nach der, vom nicht theaterkundigen Gremium akzeptierten „Entscheidung“, ganze sieben Monate Gehalt und Subventionen erst einmal interimistisch entgegenzunehmen, werden sich die Steuerzahler erstmals im März 2015 ein künstlerisches Bild vom möglichen Profil des neu Verantwortlichen machen können:

Erst dann, schon mitten in den Vorbereitungen der bald darauf zu verkündenden übernächsten Spielpläne (der auch unter Berücksichtigung der noch späteren Vertrags-Jahre zu gestalten ist), will der vor der langen Urlaubs-Theaterpause gewählte Schombert sich dann als Regisseur zeigen. Wie berichtet mit der Dramatisierung von George Orwells „1984“, Schulstoff und „sichere Bank“ bei Schülerbesuchen wie eben Goethes „Faust“. Jetzt steht als nächstes Projekt der neuen Künstlerischen Leitung erst einmal „Alle seine Entchen“ auf dem Angebot der Landesbühne.

Beide jungen Mitarbeiterinnen des Intendanten, ebenfalls zuvor Mainz, haben lange Monate vor ihrem Vorgesetzten Flagge in der Regie-Rolle zu zeigen und die Publikums-Erfahrungen fürs Haus einzufahren.

Schomberts Mainzer Ex-Chef Matthias Fontheim trägt einen am Niederrhein nicht ganz unbekannten Namen: Als Kind und Jugendlicher sah er in den 70ern die Inszenierungen seines Vaters, des jahrzehntelangen Generalintendanten am Krefeld-Mönchengladbacher Theaters, die heute gern als „bemüht modern“ eingeschätzt werden: Bemüht dann und wann um ein wenig Provokation und „Einschüchterung durch Klassizität“. Etwa Kafkas „Amerika“-Dramatisierung oder Shakespeares „Sturm“ blieben manchem in Erinnerung.

Ebenfalls jugendlicher Theaterbesucher und Sohn eines CDU-Politikers dort in diesen Jahren übrigens: Der im Kreis Wesel gerade wiedergewählte SPD-Landrat Ansgar Müller, qua Amtes heute massgeblicher „Gesellschafter“ des Rechtsträgers Landestheater Burghofbühne im Kreis Wesel e.V.. Der die Intendanz-Bewerber - wie einer davon berichtet hat - fragte: „Was tun Sie, wenn ich Ihnen den Etat kürze?“.

Um genau dieses Thema war es übrigens schon am Staatstheater Mainz im Vorjahr gegangen: Das liebe Geld!. Das ehemalige Stadttheater der Karnevals-Hochburg, zweite größere Spielstätte neben der Rheingoldhalle mit „Mainz, wie es singt und lacht“, war erst vor einigen Jahren zum Staatstheater geworden - eine in NRW nicht vorhandene Theaterform, wenn auch das Düsseldorfer Schauspielhaus eine entsprechende Struktur hat:

Land Rheinland-Pfalz und Stadt teilen sich häufig uneins die Verantwortung, Streit ums Geld ist programmiert. Fontheims Entscheidung, Politiker-Kürzungen nicht mitverantworten zu wollen, beendete seinen künstlerischen Chef-Job, er ging.

Wie beim Theater üblich kann der nächstgewählte Intendant die nur per Zeitvertrag angestellten künstlerischen Mitarbeiter „nichtverlängern“. Zu gut deutsch: Sie werden gekündigt, mitgefangen mitgehangen. Der neue braucht die Stellenpläne für sein eigenes Profil. Anders als beim Wechsel in eine neue Leitungsverantwortung kann der ausscheidende Chef dann ja niemand mitnehmen, was ohne ein jeweils neues „Anschluss-Engagement“ praktisch für diese Arbeitslosigkeit bedeutet.

Dies als Background für die Wirkung der geschilderten Frage nach der Etatkürzung. Angst aber gilt im künstlerischen Tun als der allerschlechteste Ratgeber für gutes Theater. Von einem gewisser Staatsmann und Klassiker-Autor ist bekanntlich die Weisheit überliefert: „Die ganze Welt ist voll armer Teufel, denen mehr oder weniger angst ist.“ Sprach Goethe.

Matthias Fontheim „konnte also gewonnen“ werden, nach Mainz den auf Dinslakens Spielplan als Spielzeiteröffnung stehenden „Faust“ des Dichters routiniert abzuinszenieren. Nach all seinen Inszenierungen am Mainzer und anderen Staatstheatern sowie renommierten internationalen Bühnen.

Fünf Mitglieder seines nicht mehr bestehenden Mainzer Schauspiel-Ensembles (darunter die als Amateurin vom Mainzer Theater-Jugendclub kommende Gretchen-Darstellerin) kamen mit für die tragenden fünf Rollen seiner Acht-Personen-Fassung, in der nur Faust (Hosenrolle), Mephisto, Gretchen sich, die anderen viele Rollen spielen.

Es war kein Spötter, der feststellte, die Produktion wäre wohl für Theater und Mitwirkende billiger in einer gemieteten Mainzer Probebühne gleich vor Ort entstanden. Die drei Dinslakener Mitwirkenden wären dort billiger angereist und unterzubringen gewesen als die zwei Drittel Mainzer samt Vorständen hier.

Die dem Ex-Chef vertrauten Fontheim-Darsteller hatten die größeren Textmengen, die Landesbühnen-Kollegen insgesamt häufigere Umbauverpflichtung. Gedreht wurde ein weißes 10 Quadratmeter- Praktikabel auf Rollen, das für Studierstube, Auerbachs Keller, Gretchens oder Marthes Zimmer etc. herzuhalten hat. Ein Godot-Bäumchen rechts und Saallicht an.

Es war auch kein Spötter, der im Kreis angereister Kritiker und Theaterleute einvernehmlich konstatierte, trotz Nacktauftritten und Mephisto als knallerbsenwerfendem Liedermacher sei dies eine ganz normale deutsche Stadttheater-Inszenierung der 90er. Ein Mainzer Gastspiel in Dinslaken, das auch anderswo gastiert, wo es bereits vorab risikofrei verkauft wurde. Dem Premieren-Publikum gefiel es, wie fast immer beim „Faust“.

Der verbliebene Text der über drei Stunden Spieldauer enthielt auch nahezu alle der berühmten Stück-Zitate. Die Dinslaken vertraute Staatliche Bühnenvermittlung fand es vor Ort ein „weites Feld“ zu diskutieren, dass die Qualitäts-Unterschiede der Darsteller keineswegs den drastischen Unterschied im Gagen-Niveau an Landesbühnen und Staatstheatern widerspiegelt, eher im Gegenteil:

Es sind ja auf deutschen Bühnen sonst nie Landesbühnen-Kollege neben drastisch höher bezahlten Staatstheater-Stars und gar einem Mädchen vom Amateur- Jugendclub im Spiel zu vergleichen.

Das also war des Pudels Kern: Der Abend mit seinem historischen Zusammentreffen warf diese grundsätzliche Frage auf.

Ist es moralisch erlaubt, ihren Beruf liebende Schauspieler zu solchen Gagen wie an der kleinsten NRW-Landesbühne zu beschäftigen? Unabhängig davon, ob man wenigstens inzwischen froh darüber ist, dass die nun Mindestgagen aufgrund Empfehlung des deutschen Bühnenvereins resp. tariflicher Einigung entsprechen.

Dass dies bei den wegen des ungewöhnlichen Vorgangs („Fontheims Faust mit Mainzern in Dinslaken“) angereisten Theaterleuten und Rezensenten diese ganz andere Frage aufwarf, war sicher nicht der Vater des Gedankens zur Einladung des Ex-Staatstheater-Intendanten an die Landesbühne. So wurde dies aber bundesweit beachtet. (Text: Caro Dai)

Leserbrief:

Zur Spielzeit-Eröffnungs-Premiere Faust (Niederrhein Anzeiger, 17. 9.14 und lokalkompass.de/471964).

Guten Morgen Frau Dai,
die letzte Ausgabe des Niederrheinanzeigers liegt zwar schon einige Zeit zurück, aber dennoch möchte ich Ihnen gerne eine Rückmeldung geben zu Ihrem Artikel „Das also war des Pudels Kern“!
Kurz und bündig: Treffend, auf den Punkt gebracht, mir aus der Seele gesprochen. Beim Lesen dachte ich: Endlich mal jemand, der/die sich traut, Tatsachen kritisch zu hinterfragen und sich nicht mit allgemeinen Phrasen vor Kritik drückt! Danke, und behalten Sie Ihren Mut zur Wahrhaftigkeit.
Freundliche Grüße,
Jutta Ulrich

Autor:

Lokalkompass Dinslaken-Voerde-Hünxe aus Dinslaken

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