Die Erhabene und ihr Weinschränkchen - neues von der Hedwig

Hedwig hatte eine Trennung zu verkraften von einem weniger Erhabenen als sie eine war. Nach drei Jahren intensivster Geselligkeit mit fast allen Facetten der Erotik hatte er sich von ihr abgewandt, um den Weg mit einer zwanzig Jahre älteren Metzgersfrau fortzusetzen.

Hedwig, die Erhabene, schmerzte es mehr, als es der Verlust des schnöden Liebhabers wert gewesen wäre. Sie weinte drei Monate nach der Trennung immer noch Tag und Nacht, während sich draussen in der Auenlandschaft des Rheines die rostfarbenen trockenen Herbstblätter im Wind austobten.

Sie hörte wie beiläufig aus dem Radio, das Tag und Nacht lief, daß in Düsseldorf Holz verschenkt werde. Holz von den vom Sturm "ela" zerstörten bäumen. Weinend machte sie sich auf zu der Abholstelle und schaffte genug Holz nach Hause, um sich daraus einen Weinschrank zu bauen.

Der Weinschrank bekam drei nebeneinander liegende Fächer und sollte auf vier stämmigen kleinen Füssen stehen. Ein sogenanntes Sidebord müssen Sie sich darunter vorstellen. Ein Sideboard aus Pappelholz von den Rheinauen. In die beiden Fächer links und rechts packte Hedwig nun paketeweise Tempotaschentücher.
Das mittlere Fach hingegen erhielt eine Papier-Taschentücher-Schluckvorrichtung. Hier warf sie die nass geweinten Taschentücher hinein.

Mit dem neuen Weinschrank machte ihr das Weinen viel mehr Spass. Sie fing an, wieder Freude am Leben zu entwickeln und freute sich vor allen Dingen darüber, das sie nicht - so wie andere im Seelenschmerz - Wein saufen musste um zu vergessen.
Wenn jene verdammten Schwachmaten zum Weinschrank schreiten, bäumt sich beim Hingang oft schon die verzweifelte Leber auf.

Hedwig, die Erhabene, hatte nun ihren eigenen individuellen Weinschrank, in dem sie liebevoll ein weiteres Tempotaschentuch versenkte. Sie war so beseelt von ihrem selbst gebauten Weinschränkchen aus Düsseldorfer Holz, das sie ihrem schnöden Lover fast dankbar dafür war, das er sie verlassen hatte.

Stolz auf sich und ihre Künste, griff sie halb weinend, halb lachend zu einem trockenen Weintuch und ließ den Tag an sich vorbeiziehen mit Musik von Jethro Tull und bunten Herbstblättern, die auf den Rheinauen ein buntes, bewegtes Schauspiel boten.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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