Weckt Kindheitserinnerungen - Zirkus in Burgaltendorf

Cowgirls mit Ponys
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Freitagmittag, fünfter Juli 2014: Die Sonne scheint, es riecht nach Popcorn, Zuckerwatte - und Tieren! Der Zirkus hat sein Zelt auf dem Sportplatz der Grundschule aufgeschlagen.
Es ist schwülwarm, 30 Grad, schwitzend stehe ich in der Warteschlange, warte auf Einlass. Kaum erreiche ich das ersehnte Zelt, steigt die Temperatur weiter: Saunagefühl, die Luft scheint zum Schneiden. Und mit jeder Stufe, die ich erklimme, klettert das Thermometer mit, gefühlte 50-60 Grad in der obersten Sitzreihe. Ich erinnere mich an den eher frostig anmutenden Zeltaufbau, nur ein paar Tage vorher in strömendem Regen, die Helfer schlammgebadet, triefend, kalt.
Das Zelt füllt sich schnell, die Erwartungshaltung im Publikum steigt. Die Kinder haben eine Woche lang geprobt, geturnt, getanzt, gelacht, fotografiert und gefilmt, Ponys gestriegelt, Ziegen und Lamas gefüttert ... , um uns eine tolle Vorführung zu ermöglichen.
350 Personen richten ihre Blicke genau wie ich auf den Vorhang, als endlich der Zirkusdirektor die Stimme erhebt: "Herzlich Willkommen im Zirkus Jonny Casselly ... Foto- und Videokameras dürfen aus urheberrechtlichen Gründen ... eingeschaltet bleiben. Das Rauchen ist erlaubt, aber nicht im Zelt ... Wir haben ein tolles Programm mit Ihren Kindern zusammengestellt, aber wo sind sie denn?" Suchend schaut er in die Menge, fragt: "Artisten und Artistinnen, seid ihr bereit?" - Ein gellendes, aufgeregtes und gleichzeitig erleichtertes "Ja" von fast hundert hinter dem Vorhang versteckten Kindern weckt eventuell Eingeschlafene zum Glück wieder auf. Die Vorstellung beginnt.

Überraschende Traumwelten

Die Kinder marschieren ein, singen "Zirkuszelt in Action" und die erste Clownnummer mit Clowns als vermeintlichen Zirkusdirektoren bringt alle zum Lachen.
Anschließend zeigt eine ganze Fußballmannschaft actionreiche Trampolinsprünge, ganz im Zeichen der zeitgleichen Fußballweltmeisterschaft überspringen die Kinder die Deutschlandfahne, hüpfen durch Ringe, präsentieren Flugrollen und Salti.
Nun strömt Pferdeduft durchs Zelt, laut erklingt "Cotton Eye Joe" in unseren Ohren: als Cowgirls verkleidete Mädchen tanzen zuerst allein und später im Trab mit schwarzweißen Shetlandponys durch die Manege und drehen Pirouetten.
Danach sucht ein Fotoclown Opfer in der Menge, die Menschen in der Loge blicken verzweifelt auf den Boden oder an die Decke, aber der Clown findet seine unfreiwillig Freiwilligen. Erleichtert stelle ich fest, dass das Sitzen in hinterer Reihe auch Vorteile birgt. Die jungen Clowns erheitern das Publikum mit weiteren Gags. Wie schön, mal wieder herzlich zu lachen! Ein Blick in die Menge bestätigt mein Gefühl: Die Menschen sehen jetzt und hier glücklicher aus als sonst, auf der Straße.

Jetzt kommen die Jongleure: in ihren bunten Kostümen werfen und fangen sie gekonnt Tücher, Bälle und Ringe, jonglieren Teller - dann wird es plötzlich dunkel. Leuchtende Kugeln an Schnüren, von den Künstler gehalten, schleudern Lichteffekte durchs Zelt. Teilweise auf dem Boden liegend präsentieren die Kinder während des Kugelschleuderns sportliche Übungen. Der anhaltende Applaus belohnt die strahlenden Artisten, meine Hände schmerzen, aber wie nach jeder Gruppe klatsche ich überwältigt weiter, ignoriere den Schmerz.
Die Bodenakrobaten steigern die bisherige Show durch Pyramiden, Handstand, Rad, Spagat und Überschlägen sowie weiteren turnerischen Höchstleistungen. Nein, ich hätte nicht gedacht, wie schnell Grundschüler derartige Kunststücke lernen. Die heutige Darstellung in der Zirkusmanege übertrifft meine Erwartungen mit jedem Programmpunkt aufs Neue.
Nun wird es orientalisch: Glitzernd geschminkte Bauchtänzerinnen begeistern mit ästhetischen Tänzen, dazu marschieren ein wenig später mutige Fakire über Scherben und Nägel, ertragen ihr eigenes Körpergewicht auf Nagelbrettern liegend und sogar das Gewicht einer Bauchtänzerin, die sich dem Stärksten auf den Rücken setzt.

Feuerspucker und historischer Turnvater Jahn

Ein weiterer Höhepunkt folgt: das Spiel mit dem Feuer, an Fackeln ... die Fakire führen unerschrocken ihre Hände durch die Flammen - und zuletzt, einigen Mütter neben mir steht der Schreck deutlich ins Gesicht geschrieben, spucken die Jungen zum ersten Mal in ihrem Leben Feuer. Der Schweiß tropft von unserer Haut, nicht nur vor Angst. Gut, dass jetzt eine Pause ansteht. Raus aus dem Zelt, Abkühlung ist alles, was ich gerade brauche.

Auf dem Gelände draußen verkauft der Förderverein der Schule knusprige Bratwurst, dampfende Brühwürstchen und eiskalte Getränke, wobei vor allem die Flüssigkeiten reißenden Absatz finden.

Zurück in der Manege zeigen die Seiltänzerinnen ihren Mut auf dem gespannten Silberseil, sie klettern durch Ringe, tragen einander oder jonglieren Tücher. Ein Mädchen balanciert auf einem auf dem dem Seil rollenden Reifen, ein anderes fährt auf einem speziellen Fahrrad am Drahtseil entlang. Eine weitere Steigerung erfährt die Darbietung, als einige Kinder auf dem Hochseil eine Pyramide aus Körpern bauen.
Was kommen denn nun für Gestalten? Alte Kameraden nennt die Zirkuschefin die Turnerriege, die im Streifenlook aufläuft, wie Turnvater Jahn im Jahre 1900. Die Bodenartisten zeigen Pyramiden und lustige Turn-Einlagen. Aufgemalte Schnurrbärte zaubern den Jungen einen besonderen Ausdruck in die angespannten Gesichter. Der kleinste der Gesellen präsentiert sogar einen Salto, er startet auf den Schultern des Größten und wird von ihm auch wieder aufgefangen. Ein doppelter Salto-Mortale wird angepriesen, doch im entscheidenden Moment geht leider das Licht aus. Als wir wieder sehen können, liegt der Kamerad bereits in den Armen seiner Kollegen, die ihn "aufgefangen haben" / auffangen sollten.
Jetzt kommen wieder Tiere: zur Musik von "Anton aus Tirol" zeigen Knaben in Lederhosen und Dirndlmädchen eine tolle Tierdressur mit galoppierenden Lamas, kletternden Ziegen und trabenden Ponys. Am Ende springen Kinder, Ponys und Lamas sogar gemeinsam über eine Stange...

Atemberaubender Höhepunkt: fliegende Kinder am Trapez

Und dann wird es wieder dunkel: das Trapez hoch oben unter der Decke wird hinuntergelassen.
Die Trapezturnerinnen zeigen ihr Können in höchster Körperspannung. Alle halten den Atem an, als die Kinder ungesichert unter dem Zirkusdach Akrobatik an der Stange präsentieren.
Manche Eltern, so wie meine Sitznachbarin, wagen nicht einmal hinzuschauen, als der Trainer mit den unerschrockensten Kindern durch die Manege schaukelt, über den Köpfen der Zuschauer von einem Zeltende bis zum anderen. Am Scheitelpunkt des Schwunges - ein Raunen geht durch die Menge - lässt der kopfüber hängende Turner die Hände des Mädchens los, es hält sich nur noch mit den Beinen an ihm fest. Ohne Seil und ohne Sicherung ... Das kann doch nicht wahr sein! Ob ich das meinem Kind erlaubt hätte? Ich glaube, manch Elternteil ahnte genauso wenig wie ich ...

Als alle Kinder wieder Boden unter den Füßen haben, atmet die Menge auf - tosender Applaus bestätigt allen Artisten, die nun beschwingt in die Manege tänzeln, was für einen wunderbaren Tag sie uns bereitet haben. Kindheitsträume, Zauber, Erinnerungen, all das wurde wiedererlebt, unser Herz berührt, ich fühle immer noch ein Stück weit Gänsehaut. Der Zirkusdirektor beendet die Vorstellung mit den Worten: "... denn Zirkus kann man nur im Zirkus sehen... Wir freuen uns auf ein Wiedersehen!"

Mirjam Bauer

Autor:

Mirjam Bauer aus Essen-Ruhr

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