Es menschelt: Hinterfragen Sie das nicht!

Wie gewöhnlich reihte ich mich am Freitag entspannt in den üblichen Feierabendverkehr ein. Zusammen mit den anderen Kraftfahrern schlich ich von eine Mülheimer Baustelle in die nächste, im Radio lief gute Musik, vom Himmel schiffte es beschaulich – was will man mehr.

Doch plötzlich wurde der Song von einer wohlklingenden Moderatorenstimme unterbrochen: Unsere Frau Kanzler hätte Stralsunder Grundschülern gestanden, dass sie im Deutschunterricht in der Schule geschummelt hätte. Wer mehr darüber wissen wolle, sollte dran bleiben.

Ich sofort hellwach und drehte das Radio lauter!

Genau in dem Moment, als die im Radio die Anekdote einspielten, kriegten sich aber vor mir zwei Autofahrer in die Haare. Sie waren sich wegen des Reißverschlussverfahrens uneinig. Nun konnte mir das eigentlich Brause sein, doch sie trugen ihren Hahnenkampf per Dauerhupen aus. Kurz überlegte ich, ob ich mitmischen und denen den Marsch blasen sollte, unterließ das aber. Stattdessen drehte ich die Lautstärke bis zum Anschlag.

So kam es, dass die Einleitung, in welcher es vermutlich um die Häufigkeit des reginalen Schulschwindels ging, an mir vorbeisauste und ich erst ab der Kanzlerin Beichte folgte:

„Als wir früher dicke Bücher lesen mussten, haben wir uns auch mal eins geteilt. Der Eine hat die erste Hälfte gelesen, der Andere die zweite. Dann haben wir, wenn uns unser Lehrer später gefragt hat, was drinnen stand, unser Wissen zusammengetragen. - Aber ihr lest ja aus Freude."

Mit Verlaub: Wie soll denn das funktioniert haben?
Wenn der Lehrer im Unterricht die kleine Frau Kanzler fragte: „Was hat denn die Mutter gesagt, als Konrad mit dem Waschmachinenschlauch den brennenden Toaster löschte?“
Da kann die kleine Frau Kanzler doch nicht geantwortet haben: „Einen Moment, da muss ich mich erst mit dem Franz besprechen!“

Nun gehe ich ja so weit mit, dass es möglich ist, dass die Wissensabfrage nicht im Frontalunterricht, sondern schriftlich erfolgte: Doch da soll die kleine Frau Kanzler sich mal nicht bei erwischen lassen haben, wenn sie beim Franzl spickte! So ein Lehrer ist ja auch nicht blöd.

Kann auch sein, dass der uckermarksche Lehrer gar nicht herausfinden wollte, welches seiner Schäfchen lediglich zwei Wochen mit dem Buch Blümchen gepresst hatte. Kann ja sein, dass er seine inhaltlichen Fragen nur an die richtete, die sich meldeten. Dann wäre sie damit durchgekommen (Das widerspricht allerdings meiner Erfahrung als Schüler und Schülermutter).
Doch betrachtet man diese Leseteilung unter dem sozialen Aspekt, ist die ganz und gar nicht korrekt! Für die kleine Frau Kanzler mag das angegangen sein: Die hat mit dem Schinken einfach in der Mitte aufgehört - aber jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie sind der arme Franz!
Der wusste beim Start seiner Lektüre nicht mal, dass Konrads Mutter einen Sohn gebar, dass sie einen verdammten Toaster nebst Waschmaschine besitzt und wieso es überhaupt einen interessiert, was es mit dem Bengel und der Alten auf sich hat. Ganz im Gegenteil, der hätte da ein Lehrbeispiel zur Volksweisheit erhalten: Den Letzten beißen die Hunde. Und das gehört sich ja wohl nicht, dass der arme Junge in der Schule in den Schrank gesperrt wird!

Ich war ja auch mal Schüler und außerdem bin ich Mutter zweier grundverschiedener Schüler. Ich las damals tatsächlich aus Freude. Noch vor jedem ersten Schultag hatte ich das Deutschbuch ausgelesen. Mein Geflügel liest brav, was man ihm in der Schule aufträgt – und mein Pubertikel macht eher nichts, der vergisst lieber seine Hausaufgaben. Wir drei bilden einen guten Querschnitt durch die Schulgesellschaft.

Ich bin dem Schummeln in der Schule ja auch nicht abgeneigt, aber wer sich solidarisiert, der soll sich das so wohl überlegen, dass mir nicht aus dem Stand die Argumente einfallen, warum das nicht zusammenpasst.

Habe ich eigentlich eine Möglichkeit übersehen, wie die Sache mit der Buchleseteilung gelaufen sein könnte? Ich grübele da jetzt seit Freitag daran herum ...

Autor:

Anke Müller aus Mülheim an der Ruhr

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