Die "vaterlandslosen Gesellen" und der 4. August 1914

"Der Schneider" von Erich Fuchs, 6. Ätzung 1920
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Das Recht auf nationale Selbstverteidigung ist immer wieder als Vorwand für Angriffskriege missbraucht worden, unter anderem von Hitler und Wilhelm II. Für beide Weltkriege gab es große Zustimmung vor allem vom deutschen Bürgertum. Den ersten Weltkrieg glorifizierten Professoren, Dichter und Künstler als Purgatorium, als Fegefeuer, als Reinigungsbad im Kugelhagel. Väter schenkten schon im 19. Jahrhundert ihren kleinen Söhnen Bleisoldaten, von denen ich eine ganze Kompanie besaß und kommandierte.

Kriegsbegeisterung auch bei Kleinbürgern und Kleinbauern. Sie waren sich ihrer prekären Lage bewusst und glaubten, unter der kaiserlichen Pickelhaube Not und Geringschätzung vergessen zu können. Auf vielen Fotos posierten sie als Helden. „Mester, `s muss Krieg wer`n!“ und Ähnliches sagten Kunden zum Vater meines Schwiegervaters; er saß als Kind oft stundenlang unter dem Tisch des schlesischen Schneidermeisters und hörte zu.

Die reichen Bauern waren gegen den Krieg, nicht wegen pazifistischer Gesinnung, sondern weil die Ernte bevorstand und weil sie wussten, dass die Bauernsöhne samt aller Pferde zum Militär eingezogen werden.

Die Kirchen segneten das Militär und seine Waffen. Feldgeistliche kümmerten sich um die Soldatenseelen und sorgten für die „Moral der Truppe“. Priester beteten für den Sieg und trösteten Kriegerwitwen. Auf dem Koppelschloss der Soldaten stand „GOTT MIT UNS“.

Juden „erhofften sich vom Nachweis ihrer patriotischen Gesinnung im Kriegsdienst die völlige Gleichbehandlung in der deutschen Gesellschaft“. [Werner Bergmann: Geschichte des Antisemitismus, Verlag C. H. Beck 1995-2004]

International und pazifistisch orientiert war die (sozialdemokratische) Arbeiterschaft. Sie lehnte den Krieg ab − bis zum 4. August 1914. Da wollten die deutschen Sozialdemokraten keine „vaterlandslosen Gesellen“ mehr sein. Und so bewilligten an diesem Tag ihre Abgeordneten im Reichstag unter dem Vorsitzenden Friedrich Ebert die vom Kaiser geforderten Kriegskredite und entschieden sich damit für den Krieg.

Nicht allein in Deutschland −, in Großbritannien und in Frankreich herrschte ebenfalls eine militaristisch-bellizistische Stimmung, angeheizt von nationalistischen Politikern und ihrer Presse. Krieg und Polizeigewalt galten seit jeher als „Ultima Ratio“ bei festgefahrener Politik. Hat sich daran etwas geändert?

"Der Schneider" von Erich Fuchs, 6. Ätzung 1920
Autor:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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