PCB Ennepetal: Landrat Olaf Schade zweifelt am Versprechen von BIW
BIW kann „mahnende Worte“ vom Landrat nicht nachvollziehen

Die geschäftsführenden Gesellschafter Ralf und Lutz Stoffels. Foto: Pielorz
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Im Oktober 2018 wurde im Gewerbegebiet Oelkinghausen in Ennepetal ein Niederschlag in Form weißer, schneeähnlicher Flocken festgestellt. Messungen ergaben PCB 47, 51 und 68 als Verursacher dieser Flocken. Die produktionsbedingte Freigabe von PCB 47 wurde in Verbindung mit der Firma BIW Isolierstoffe GmbH mit Sitz in Oelkinghausen nachgewiesen. PCB steht für Polychlorierte Biphenyle, die als umwelt- und gesundheitsschädlich gelten. Unterschieden wird zwischen dioxin-ähnlichen PCBs und nicht-dioxin-ähnlichen PCBs, zu denen auch das PCB 47 gehört, um das es in Ennepetal geht. Seit Mitte 2019 arbeitet man bei BIW Isolierstoffe bereits an dem Einsatz von alternativen chlorfreien Vernetzern. Der Schwesterbetrieb des Unternehmens, die BSP Silikon-Profile GmbH in Iserlohn, verzichtet bereits auf Chlor als Vernetzer. In Ennepetal sicherte das Unternehmen zu, bis Ende 2020 ebenfalls darauf zu verzichten. Ralf Stoffels (58), geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens, gibt an, von rund 160.000 Artikeln inzwischen fast alle umgestellt zu haben auf eine chlorfreie Vernetzung. Wo es nicht möglich sei, habe man die Kunden abgekündigt. Landrat Olaf Schade zweifelt daran. „Die uns vorliegenden Messergebnisse werfen die Frage auf, ob das Ennepetaler Unternehmen biw sein im März in der Bürgerversammlung und in Zeitungsanzeigen gemachtes Versprechen, zum Jahresende 2020 kein PCB 47 mehr zu emittieren, gehalten hat."

Das Familienunternehmen in der dritten Generation und mit 600 Mitarbeitern am Ennepetaler Standort reagierte bereits Anfang 2020 nach Bekanntwerden der Messergebnisse mit umfangreichen Nachrüstungen in der Filtertechnologie. „Wir haben“, so der geschäftsführende Gesellschafter Ralf Stoffels, der auch Präsident der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen und seit Januar diesen Jahres Präsident der IHK NRW ist, „immer ehrlich und mit offenen Karten gearbeitet. Regelmäßig haben wir mit allen Behörden kommuniziert. Das weiß auch der Landrat. Wir haben unsere Versprechen alle eingehalten. Eine Artikel- bzw. Kundengruppe klagt trotz der Abkündigung wegen der langen Validierungs- und Freigabe-Prozesse mit Unterstützung der Bundesregierung auf Vertragseinhaltung. Sporadisch laufen auch noch einzelne Aufträge für medizinische Schläuche zur Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems in der Corona-Pandemie, wie z.B. Dialyse- und Beatmungsschläuche, die (derzeit noch) nur mit dem chlorhaltigen Vernetzer zur Verwendung international zugelassen sind. Bei dieser Produktion wird die neueste verfügbare und permanent weiterentwickelte Filtertechnik zum Einsatz gebracht. Aber wir arbeiten mit Hochdruck an einer Beschleunigung des Freigabe-Verfahrens für Schläuche, die mit einem alternativen chlorfreien System vernetzt werden.“
Im ganzen letzten Jahr 2020 wurden Messungen und Kontrollen durchgeführt. Die vollständigen Berichte liegen der Kreisverwaltung vor. Von Februar bis Mai gab es an beiden Messpunkten Monat für Monat Belastungsrückgänge. Dieser Trend endete laut Kreisverwaltung im Juni. In Zahlen: Während in Firmennähe im Mai 0,75 Nanogramm PCB 47, 51 und 68 pro Kubikmeter Luft gefunden wurden, lautete der Spitzenwert in den Folgemonaten 4,3 (Oktober). Am Büttenberg lag der Mai-Wert bei 0,067. Im Sommer stiegen die Ergebnisse bis auf 0,36, im November und Dezember zu 0,7 und 1,2 Nanogramm. Allerdings: Für PCB Konzentration in der Außenluft gibt es weder Grenzwerte noch allgemein akzeptierte Beurteilungswerte. Der NRW-Jahres-Mittelwert 2019 liegt bei 1,3.

Ralf Stoffels: Haben Versprechen gehalten

Landrat Olaf Schade lässt außerdem erklären, dass der Einsatz des chlorhaltigen Vernetzers nach wie vor nicht verboten sei und das Unternehmen nichts Illegales mache. Erfreulich sei zudem, dass der Austritt von PCB-haltigen Flocken inzwischen nachhaltig unterbunden werden konnte. „Die höheren Werte hängen schlicht mit der Tatsache zusammen, dass wir in der Corona-Pandemie verstärkt Dialyse- und Beatmungsschläuche produziert haben. Die Lieferkette sollte unter keinen Umständen unterbrochen werden. Ein Schreiben der Bundesregierung liegt dazu vor“, so Stoffels im Gespräch mit Funke Medien wap/Lokalkompass. Er könne die mahnenden Worte des Landrates überhaupt nicht nachvollziehen.

Ergebnisse der Grünkohl-Proben liegt vor

Jetzt liegen auch  Ergebnissen der Grünkohl-Beprobungen aus dem Herbst 2020 vor. Die bisher letzte untersuchte Grünkohl - Ernte im Spätsommer 2020 - hatte im Vergleich zur vorletzten Probe eine deutliche Abnahme der Konzentrationen von PCB 47, 51 und 68 aufgewiesen. Jetzt hingegen sind die Werte wieder gestiegen. An zwei Stellen liegen die Werte zudem wieder über dem Orientierungswert der Hintergrundbelastung für PCB in Nordrhein-Westfalen. Im Bereich Oelkinghausen (Messpunkt Pregelstraße) wird dieser Wert um das 3,5 fache überschritten, im südlichen Büttenberg (Messpunkt Ambrosius-Brand-Straße) um das 1,3 fache. Die gefundenen PCB Konzentrationen werden dabei von den Kongeneren 47, 51 und 68 dominiert. Auch wenn die hohen Werte aus den ersten Grünkohlproben, die 2019 genommen worden waren, nicht mehr erreicht werden, sind die jetzigen Ergebnisse aus der Sicht des Kreises gleichbedeutend mit dem Aufrechterhalten von Verzehrhinweisen für Obst und Gemüse in den Bereichen Oelkinghausen und Büttenberg. Seit Januar letzten Jahres gilt ja: Im unmittelbaren Umfeld der Firma biw angebautes Blattgemüse soll nicht gegessen werden. Für das Wohngebiet Büttenberg gilt die Vorgabe, dort angebautes Blattgemüse nicht öfter als ein- oder zweimal pro Woche zu verzehren. Für alles andere Gemüse und Obst gelten bei Beachtung entsprechender Vorgaben - beispielsweise Schälen - keine Einschränkungen. „Dass Messwerte auf dem Weg einer Umstellung schwankend sind, ist erwartbar. Das Landesumweltamt (LANUV) hat dem Kreis schon Ende 2020 empfohlen, die Verzehrempfehlung aufzuheben. Das ist nicht geschehen", hatte Ralf Stoffels vor der Veröffentlichung der neuen Messergebnisse zu den Grünkohlproben gesagt. Der Kreis hingegen sieht sich durch die Ergebnisse in seiner Haltung bestätigt.
"Wir haben die Sorgen der Bevölkerung stets ernst genommen und Testungen auf unsere Kosten angeboten. Dies gilt immer noch für die Bewohner der betroffenen Gebiete. Die Testungen werden durchgeführt am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der Uniklinik der RWTH Aachen. Wir haben mit den Bürgern und Bürgerinnen in den betroffenen Gebieten regelmäßig und ehrlich kommuniziert – wie auch gegenüber Kreisverwaltung und Presse.“
Das sieht die Bürgerinitiative "PCB-Skandal Ennepetal" anders. "Wieso werden die Ergebnisse überhaupt erst jetzt mitgeteilt, wo doch schon Mitte Juni 2020 ein Anstieg bemerkt wurde", fragt sie unter anderem. Zudem wirft man der Politik vor, es gäbe ein "ganz anderes Vorgehen als bei anderen Unternehmen in NRW, bei denen im Zuge weiterer Untersuchungen PCB-Emissionen festgestellt und in den uns bekannten Fällen umgehend abgestellt wurden."

Zu den vom Kreis angekündigten Blutuntersuchungen für die Bürger und Bürgerinnen im zweiten Halbjahr 2020, die jedoch bisher nicht stattgefunden haben, erklärt der Kreis jetzt, man habe eine europaweite Ausschreibung auf den Weg gebracht. Die beiden Anbieter, die sich beworben haben, hätte man aus vergaberechtlichen Gründen nicht werten können. Jetzt sucht der Kreis gemeinsam mit dem Landesumwelt einen passenden Anbieter für die Testung, die man Frauen im gebärfähigen Alter und Kindern ab 6 Jahren, die mindestens fünf Jahre im Gebiet der Verzehrempfehlung Oelkinghausen und Büttenberg leben, anbieten will.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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