"Hagar" in den Kammerspielen wirft einen ungewohnten Blick auf die Zusammenhänge zwischen den Religionen

"Hagar" erzählt eine Geschichte voller intensiver Emotionen. | Foto: Küster
  • "Hagar" erzählt eine Geschichte voller intensiver Emotionen.
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Die Rolle der Hagar hat das kainkollektiv in seiner gleichnamigen Performance, die in den Kammerspielen des Schauspielhauses uraufgeführt worden ist, gleich mit vier Schauspielerinnen besetzt – und das ist kein Zufall.

Hagar, das ist die Nebenfrau Abrahams, die als Gebärerin gerade recht kommt, weil Abrahams „Hauptfrau“ Sara nicht schwanger wird. So kommt Ismael zur Welt. Als Sara dann mit stolzen 88 Jahren doch noch einen Sohn, nämlich Isaak, zur Welt bringt, verstößt Abraham Hagar und Ismael, die beinahe verhungern. - Diese Geschichte spielt sowohl in der jüdisch-christlichen als auch in der muslimischen Tradition eine wichtige Rolle, ist aber – zumindest in der christlich geprägten Welt – nicht besonders bekannt. Immerhin ist Isaak eine zentrale Bezugsfigur der christlich-jüdischen Tradition. Ismael dagegen wird im Islam als Prophet verehrt und gilt als Stammvater der Araber. -Die drei großen monotheistischen Weltreligionen sind also Brüder und dass enge verwandtschaftliche Beziehungen oft alles andere als konfliktfrei verlaufen, hat wohl jeder schon leidvoll erfahren. Nichts Neues unter der Sonne also?

Blick auf das, was oft verdrängt wird

So berechtigt die geschilderte Sicht der Dinge ist, so verkürzt ist sie auch. Im Grunde ist sie ein Beleg dafür, wie schnell man in Eurozentrismus verfällt. Die vier Hagar-Figuren verweisen darauf, dass es noch eine vierte Tradition gibt – die afrikanische. Auf dem Kontinent, der bis heute von den Folgen des Kolonialismus gezeichnet ist, haben sich die ursprünglichen religiösen Praktiken mit dem Christentum verschränkt, so dass etwas Eigenes entstanden ist.
Chor- und Sologesang macht die verschiedenen Traditionen sinnlich erfahrbar. Schon im Foyer singt ein jüdischer Chor und stimmt das Publikum ein. Mit dem Bochumer Kinderchor ist auch ein säkulares Gesangsensemble vertreten. Schließlich kann sich niemand der Macht der Religionen entziehen, ganz gleich welche Gewissensentscheidung er fällt. Die Schauspieler treten immer wieder aus ihren Rollen heraus und reflektieren die Bedeutung, die Religion in ihrem eigenen Leben hat.
„Hagar“ ist eine gemeinschaftliche Arbeit des kainkollektivs, das seit 2004 die Grenzen des Theaters immer neu vermisst, und des Bochumer Schauspielhauses. Die Schauspielerinnen Kristina Peters und Simin Soraya, die an der Königsallee in den verschiedensten Stücken mitgewirkt haben und auch in der Spielzeit 2017/2018 hier arbeiten werden, sind beide als Hagar zu sehen. Vor allem Peters weiß zu überzeugen.

Zuschauer wird reich beschenkt

So entsteht ein Gebilde zwischen durchgeformtem Theaterstück und Performance mit Anleihen an die Oper. Der innige Zusammenhang zwischen jüdisch-christlicher Tradition und Islam wird deutlich und ganz unangestrengt wird eine Zeitspanne von 3.500 Jahren überbrückt, was oft durchaus komisch ist – ein Spiel mit Nähe und Distanz. Gerade am Ende wird der Blick auf die eher mündlich tradierten afrikanischen religiösen Praktiken gerichtet. Polytheistische und stärker auf Frauen ausgerichtete Erzählstränge werden angedeutet. - Wer sich auf das Spiel einlässt, wird reich beschenkt.

Info
„Hagar“ wird auch in der kommenden Spielzeit in den Kammerspielen des Schauspielhauses zu sehen sein.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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