Rudi Assauer und seiner Tochter Bettina: Immer nur im Doppelpack

Mit ihrem Buch macht Bettina Michel Betroffenen und Angehörigen Mut und das auf unterhaltsame und zu Herzen gehende Art und Weise. Das Buch gi9bt es im Buchhandel unter der ISBN 978-3-86882-528-2 für 17.99 Euro. Foto: Cover
  • Mit ihrem Buch macht Bettina Michel Betroffenen und Angehörigen Mut und das auf unterhaltsame und zu Herzen gehende Art und Weise. Das Buch gi9bt es im Buchhandel unter der ISBN 978-3-86882-528-2 für 17.99 Euro. Foto: Cover
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Rudi Assauer war der erste Prominente, der mit seiner Alzheimer-Erkrankung an die Öffentlichkeit ging. Mit seinem Buch „Wie ausgewechselt“ sorgte er für großes Aufsehen und heiße Diskussionen. Nun legt seine Tochter Bettina Michel nach und liefert mit ihrem Buch „Papa, ich bin für dich da“ nicht nur die berührende Geschichte, wie Vater und Tochter zusammen fanden, sondern auch wie die Erkrankung sie zusammenschweißte und zu einem gemischten Doppel machte.

Einblicke in das Leben einer pflegenden Angehörigen

Der Stadtspiegel sprach mit Bettina Michel über ihr Buch, das gestern, 12. September, ganz offiziell in die Buchhandlungen kam, und über ihr Leben an der Seite ihres Vaters, dem sie nun als 24-Stunden-Betreuerin zur Seite steht, erzählt. Doch das Buch ist mehr als nur eine Lebensgeschichte, die sich mit dem Einzug des dementen Vaters von Grund auf änderte. Es ist ein hilfreicher Leitfaden für Betroffene und Angehörige mit einem unfangreichen Anhang, der viel Service bietet, wie eine Checkliste der Alzheimer Angehörigen-Initiative, Hilfestellungen zu Themen wie Pflegefall, Haftpflicht oder auch finanzieller Unterstützung.

Das Interview mit Bettina Michel

Stadtspiegel: Sie sind von Beruf Hotelfachfrau. Jetzt haben Sie ein Buch geschrieben, noch dazu über ein sensibles, schwieriges und durchaus intimes Thema. Wie kam es dazu?
Bettina Michel: „Ich war sehr stolz, als mein Vater Anfang 2012 mit seinem Buch und dem TV-Film seine Krankheit öffentlich gemacht hat. Wir haben dazu sehr viel Resonanz erfahren, die zumeist auch sehr positiv war. Und manchmal erhielt auch ich Post, in der mich Angehörige um Rat fragten oder einfach Hilfe erbaten. Im Scherz hatte ich schon öfter gesagt: Irgendwann schreibe ich ein Buch. Aber mir fehlte immer das Thema. Schließlich war es der Verlag (Münchner Verlagsgruppe GmbH), der die Idee hatte und mit meiner Freundin Eva Mohr hatte ich gleich die passende Co-Autorin. Wir haben dann die einzelnen Kapitel oder in unserem Fall auch Zeitschienen immer zusammen durchgesprochen und auch Sabine Söldner, die seit über 30 Jahren Papas rechte Hand als Sekretärin ist, mit einbezogen. Dabei haben wir auch beschlossen, dass Sabine ihre Erlebnisse mit den ersten Anzeichen der Erkrankung selbst erzählen sollte, weil ich ja nicht dabei war. Letztendlich fiel es mir nicht schwer, weil ich ja von uns und unseren Erfahrungen erzähle. Ich bin ja kein Mediziner und hatte auch kein Handbuch, das mir Tipps gegeben hat. Aber ich glaube, dass ich damit zeigen kann, dass man mit viel Liebe, Geduld und vor allem auch Humor mit der Krankheit umgehen und leben kann. Meine tiefe Überzeugung ist, dass man der Krankheit mit Humor einiges von ihrem Schrecken nehmen kann.“

Es gibt auch zahlreiche medizinische Erläuterungen in dem Buch, die helfen, die Krankheit oder ihre Anzeichen besser verstehen zu lernen. Haben Sie diese in den Gesprächen mit Dr. Stefan Spittler, Chefarzt der psychiatrischen Institutsambulanz im Krefelder Alexianer-Krankenhaus, erfahren?
„Dr.Spittler war der Arzt, der 2006 die erste und auch 2007 die zweite Diagnose gestellt hat. Und ich kann nur sagen: Danke für Alles! Er hat mich stark gemacht und immer wieder gesagt: „Denk nicht zu viel, Du machst das intuitiv Richtige.“ Auf Papas 70. Geburtstag hat er vor seiner Frau zu mir gesagt: „Sollte mich die Krankheit ereilen, möchte ich von Dir gepflegt werden.“ Er verdient einen dicken Kuss, denn er ist ein wahres Gottesgeschenk für uns.“

Sie sind in dem Buch sehr mutig. Denn sie geben intime Details über sich und das Zusammenleben mit Ihrem Vater in dem Buch bekannt, etwa dass sie nackt durch die Wohnung laufen. Haben Sie keine Angst vor Reaktionen?
„Dass ich ein uneheliches Kind bin, ist keine Neuigkeit, das ist dokumentiert. Und dass wir auch mal nackt durch die Wohnung laufen, vom Bad zum Schlafzimmer und so, das ist doch wohl in den meisten Familien so. Bei meiner Mutter und meinem Stiefvater war das so und auch mein Vater war da nie verklemmt. Er war ja immer Saunagänger und hat sogar mal nackt in der Sauna mit der Bildzeitung fürs Foto posiert. Für uns ist es jetzt gut, dass wir beide keine Scham vor der Nacktheit haben, denn so fällt es mir leichter, meinem Vater Hilfestellungen zu geben, beim Waschen oder Anziehen.“

Papa Rudi ist nicht der einzige Alzheimer-Fall in der Familie

Ihre Oma Frieda und auch andere Familienmitglieder haben ebenfalls an Alzheimer gelitten. Sie haben Ihre Oma versorgt, bis sie zum Pflegefall wurde. Danach haben Sie sich zurückgezogen, schreiben Sie in dem Buch. Tun Sie nun Buße dafür, indem Sie ihren Vater betreuen?
„Nein, überhaupt nicht. Ich habe meine Oma noch im Heim besucht, aber als sie bettlägerig wurde, habe ich mich wirklich zurück gezogen. Da bin ich Papas Kind und genauso feige wie er.“

Was wird denn, wenn Ihr Vater mit Fortschreiten der Krankheit bettlägerig wird?

„Das ist heute kein Thema mehr. Ich bin ja jetzt über 20 Jahre älter und auch reifer als zu Oma Friedas Zeit. Damals war ich noch egoistischer. Ich habe meinem Papa versprochen, dass ich bei ihm bleibe und dabei bleibt es auch. Und ich habe die Gewissheit, wenn die Gefahr besteht, dass ich dabei zum Wrack werde, dann zieht Sabine die Reißleine, denn damit wäre keinem geholfen, auch nicht Papa.“

Das Leben im "Doppelpack" mit dem Vater


Sie haben Ihr Leben wie es vor dem Einzug Ihres Vaters in ihr Haus und Ihr Leben war weitestgehend aufgegeben. Sie sagen selbst, dass es Sie beide nur noch im Doppelpack gibt. Aber was ist mit Männerbekanntschaften oder Ihren Freundinnen?

„Uns gibt es eben nur im Doppelpack, auch dann wenn plötzlich mein Traummann käme. Ich werde ja immer mal wieder gefragt, wie ich das schaffe, 24 Stunden am Tag für Papa da zu sein. Dann stelle ich die Gegenfrage: Wie schaffen das denn Alleinerziehende? Die müssen organisieren und ihr Leben um das Kind aufbauen und genauso ist es auch bei mir. Und eine Mutter und ihr Kind gibt es auch nur im Doppelpack. Wenn ich mich mit meinen Mädels treffen will, muss ich auch jemanden organisieren, der sich um Papa kümmert, so wie die Alleinerziehende einen Babysitter braucht. Aber die Mädels kommen auch gern her, weil man dann ganz anders reden kann, als in der Öffentlichkeit. In Restaurants und so hat doch immer mal einer ein Ohr auf unserem Tisch. Oder die Leute gucken mir doch tatsächlich beim Einkaufen in den Einkaufswagen und kommentieren: „Da kriegt Rudi aber leckere Sachen.“ Dann frag ich mich: Was soll das? Und wenn wir uns hier treffen, dann sitzt Papa mittendrin und hat Spaß oder geht schlafen, wenn er keine Lust auf unsere Gespräche hat. Was Männer betrifft, kann ich nur sagen, dass mir mein Papa tausend Mal mehr wert ist als jeder Mann der Welt!“

Mit Humor wird die Krankheit erträglicher

Wer Ihr Buch liest, stellt fest, dass Sie nie Ihren Humor verloren haben. Sie berichten darin über ihren Vater als „Elster-Assauer“, die gern Dinge verschwinden lässt, oder sie können einer Szene, bei der Sie Ihrem Vater einen Hering aus dem Hals ziehen müssen, noch einen Scherz abgewinnen. Woher nehmen Sie diese Kraft?
„Kraft? Das ist mein Naturell. Ich habe immer gern geholfen, kann aber schlecht Hilfe annehmen oder auch Komplimente. Wenn man seine Eltern lieb hat und dazu das passende Naturell, dann bilden diese beiden Eigenschaften eine Symbiose. Das gleiche, was ich für meinen Vater tue, würde ich auch für meine Mutter oder ihren Lebensgefährten tun, mit dem sie seit mehr als 25 Jahren liiert ist.“

Zukunftsängste

Haben Sie manchmal Angst vor der Zukunft? Also vor einer eigenen Erkrankung an Alzheimer, dem Fortschreiten der Erkrankung ihres Vaters und der Zeit nach dem Leben mit ihrem Vater?
„Die Angst vor der Erkrankung ist aufgrund der Häufigkeit der Fälle in meiner Familie immer da. Ich wollte mich schon testen lassen, aber die Veranlagung zu Alzheimer bedeutet noch nicht, dass man es auch bekommt. Früher war ich wie mein Papa ein Meister des Verdrängens, aber jetzt habe ich mich entwickelt und gehe die Dinge konsequent an. Manchmal sage ich auch zu Sabine: „Ich habe auch schon Löcher im Kopf“, wenn ich irgendwas vergesse. Aber Sabine beruhigt mich dann, dass das jedem mal passiert. Ich kann aber allen, die sich Sorgen machen, einen Tipp geben: Sensibilisieren Sie Ihr Umfeld und lassen Sie bei den ersten Anzeichen von Alzheimer einen Test machen! Wir machen das so. Und wenn ich die Krankheit bekomme, ist es eh nicht mehr zu ändern.
Angst in Bezug auf Veränderungen bei meinem Vater habe ich nicht. Dr. Spittler sagt, dass das Schlimmste hinter uns liegt.
Und was die Zeit danach betrifft, habe ich gar keine Zeit darüber nachzudenken. Vielleicht mache ich ja eine Weltreise, aber allein ist das bestimmt kein Spaß. Ich würde gerne noch ein paar Jahre arbeiten gehen. Und vielleicht würde ich ja auch mein Wissen weitergeben und mich mehr in der „Rudi Assauer-Initiative - Demenz und Gesellschaft“ engagieren. Vielleicht will ich aber auch nichts mehr mit der Krankheit zu tun haben oder bin bereits selbst erkrankt. Wer weiß das schon?
Sicher ist, dass jeder, der einen lieben Menschen verliert, in ein Loch fällt, weil ein Vakuum entsteht. Aber weil mein Papa prominent ist, habe ich einen Vorteil: Es gibt unglaublich viel Film- und Fotomaterial über ihn. Und wenn ich seine Stimme hören möchte, dann lege ich die CD mit dem Hörbuch zu seinem Buch ein und höre mir seine Danksagung an, denn die hat er selbst gesprochen.
Fakt ist, dass Rudi Assauer nicht nur auf Schalke eine Legende ist. Kürzlich hat mir ein Dortmunder gesagt, dass zu seiner Beerdigung sicher ebenso 50.000 Schalker wie auch 50.000 Dortmunder kommen würden. Aber das hat ja noch Zeit.“

Angst ist ein schlechter Berater


GIbt es etwas, das Sie anderen Betroffenen oder deren Angehörigen auf den Weg geben möchten?

„Angst zu haben vor der Krankheit, das ist normal. Aber man darf sich von der Angst nicht vereinnahmen lassen. Angst ist ein schlechter Berater im Leben. Wer sich von der Angst zerfressen lässt, verliert den Blick auf die schönen Dinge des Lebens. Viel wichtiger wäre, dass man versucht seinen Humor zu behalten und die Erkrankten nicht wegschließt. Sie müssen nicht vor der Welt geschützt werden und die Welt nicht vor ihnen. Vielmehr sollten sie teilhaben am sozialen Leben. Mein Papa stand immer voll im Leben und er hat auch jetzt noch riesigen Spaß daran. Und wenn das nicht so wäre, würden ihn keine zehn Pferde zu etwas bewegen. Da ist und bleibt er ein Sturkopf und das soll auch so sein!“

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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