725 Jahre Stadt Haltern (5): Die bleichen Finger des Krieges

725 Jahre Haltern, 25 Jahre Stadtspiegel Haltern: Unter diesem Logo finden Sie unsere Sonderseiten in den aktuellen Ausgaben des Stadtspiegels. Grafik: Borgwardt
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In diesem Jahr feiert Haltern ein kleines Jubiläum: Vor 725 Jahren verlieh der Bischof von Münster, Everhard von Diest, der kleinen westfälischen Gemeinde die niederen Stadtrechte und die Erlaubnis, eine Mauer zu bauen. Im Sommer wird Haltern an diese Erhebung mit einer großen Feier erinnern. Wir tun dies schon jetzt: Eine Sonderserie im Stadtspiegel wird einige der wichtigsten Stationen in der langen Geschichte der Stadt beleuchten. In dieser Episode geht es um die lange Schreckenszeit des Dreißigjährigen Krieges.

Ein Rabe zieht seine Kreise über dem öden Land. Er blinzelt, als sein schwarzes Auge von scharfem Rauch gereizt wird. Es gibt viele Brände in letzter Zeit, und die dunklen Rauchsäulen, die sich wie fette Finger in den Himmel bohren, lassen die Luft brennen. Den Raben stört es nicht, denn für ihn zeigen die dunklen Wolken Futter an. Es gibt viel zu fressen in diesen Tagen, und der Vogel liegt schwer in der Luft, als er über die Lippe langsam hinabgleitet, in die Trümmer Halterns.

Der Tod ist ein regelmäßiger Gast in diesen Jahren in der dritten und vierten Dekade des 17. Jahrhunderts. Dabei lag der Auslöser im fernen Prag: Als sich im Mai 1618 böhmische Protestanten gegen ihre katholischen Landesherren auflehnten und drei ihrer Vertreter aus einem Prager Fenster warfen, da sie sich von ihnen religiös diskrimiert fühlten, entzündete sich ein Glaubenskrieg, dessen Folgen so weitreichend, dessen Opfer so viele und dessen Dauer so unfassbar war, dass er in seinem Schrecken erst von den Weltkriegen übertroffen wurde. An der Lippe konnte man das nicht ahnen.

Zwist der Religionen

Denn in Haltern passierte zunächst einmal nichts, was auf einen baldiges Übergreifen des Krieges schließen ließ. Allerdings war auch hier der Konflikt zwischen dem alten katholischen Glauben und der neuen, protestantischen Lehre spürbar.

Der Konflikt, der woanders in Europa zwischen den beiden verfeindeten Blöcken, der katholischen Liga und der protestantischen Union, schon mit dem Schwert ausgefochten wurde, wurde in Haltern allerdings noch mit dem Gebetbuch geführt. Die Waage schien sich den Lutheranern zuzuneigen: Um die Jahrhundertwende waren die Halterner, deren Alltag durch den Handel mit protestantischen Kaufleuten aus den nahen Niederlanden und dem Weseler Raum bestimmt war, in Scharen zum neuen Glauben übergetreten.

Selbst die heimischen Katholiken nahmen die Sache eher sportlich: Der Halterner Kaplan Heinrich Sebbel war dafür bekannt, dass er das Abendmahl und andere Elemente des Gottesdienstes in der Sixtuskirche mal auf katholische, mal auf evangelische Weise durchführte - oder einfach auch mal mischte. So viel Ökumene war den Kirchenherren in Münster ein Graus, und so wurde der pragmatische Sebbel 1604 gefeuert.

Die Bayern kommen

Denn in Münster verfolgte man eigene Ziele. Die prächtige Bischofsstadt unterstützte zwar die Katholische Liga, hielt sich aber zunächst noch einigermaßen bedeckt.

Das ändert sich schlagartig in den 1620er Jahren, als die protestantische Sache im Reich nach vielen Niederlagen der Union verloren schien. Bayerische Truppen zogen ins Münsterland, und die evangelischen Halterner wurden aufgefordert, ihre Heimatstadt zu verlassen. Als sich Haltern weigerte, die bayerischen Soldaten in die Stadt zu lassen, kam es zum Eklat: Im Februar 1623 verschafften sich die fremden Musketiere mit Gewalt den Einlass in die Stadt.

Jetzt hatten die Menschen an der Lippe keine freundlichen Worte mehr zu erwarten: Die Halterner wurden entwaffnet, sämtliche Handelsprivilegien und Selbstbestimmungsrechte gestrichen und der Bürgermeister Wösthaus abgesetzt. Und die Leidenszeit sollte erst beginnen.

Der Schwarze Tod

Das Jahr ist 1630. Inzwischen haben sich die Halterner mehr schlecht als recht mit der Besatzung abgefunden. Viele Bewohner sind fortgegangen, da die wirtschaftliche Situation in der einst so blühenden Handelsstadt immer schlechter wird. Wie soll man auch Handel treiben, ohne Geld, ohne Marktrecht? Zudem benehmen sich die fremden Soldaten wie rücksichtslose Herren und schikanieren die Bürger. Die Halterner sind resigniert.

Kann es noch schlimmer kommen? Ja, kann es.

Die Krankheit ist da, und sie verbreitet sich so schnell wie ihre Kunde. Wer sie mitbrachte, wird man wohl nie wissen, aber nun geht die Pest um in Haltern, und reisst Alt und Jung gleichermaßen in den Tod. Die Sitution ist so schrecklich, dass sich der heimische Pfarrer Ewaldus Stevermüer nicht anders zu helfen weiß, als in der Augusthitze mit einer Bittprozession um himmlischen Beistand zu flehen. Damit gründet er zwar eine fast 350jährige Tradition in Haltern, aber der Griff des Sensenmanns lässt Haltern in dieser Zeit nicht los. Von fremden Mächten besetzt, wirtschaftlich am Boden, mit teilweise zerstörter Stadtmauer und von der Pest dezimiert, müssen die Halterner noch viel ertragen in diesem Jahrzehnt. Denn der Krieg ist noch nicht vorbei. In diesem Sommer, als der Tod in Haltern wütet, kommen die Schweden der protestantischen Union im deutschen Reich zur Hilfe. Der Konflikt lodert wieder auf, und in seinem Kielwasser folgen neue Besatzer.

Die Hessenzeit

Die Schweden sind ein Segen für die fast geschlagene Union. Sie bringen frische Truppen gegen die katholische Liga ins Feld, und erobern schnell fast ganz Nord- und Mitteldeutschland. Im Schatten dieses Erfolges verfolgen auch andere protestantische Herren ihre politischen Ziele: 1633 rücken Truppen des hessischen Grafen ins Münsterland ein. Die Besatzer sind neu, aber das Elend für die Halterner bleibt fast unverändert.

Acht Jahre lang pressen die Hessen den Halternern so viel Geld und Waren ab, dass sich diese immer mehr verschulden müssen. Zudem kommt auch die Pest zurück, die auf noch schrecklichere Art ihren Tribut fordert. Zudem wechseln die Besatzer immer wieder für kurze Zeit, und bei jedem Wechsel brennen Häuser und Tore, werden Mauern eingerissen und die Bewohner gequält.

Das Ende des Krieges ist noch nicht die Erlösung

Der Rabe ist gelandet. Mit einem letzten Flattern setzt er sich auf die rußgeschwärzten Steine eines ehemaligen Mauerwerkes. Was die katholischen Truppen nach dem Abzug der Hessen 1641 nicht zerstört hatten, haben die Hessen selbst bei ihrer Rückkehr vier Jahre später niedergerissen. Der einst prächtige Wall liegt fast ganz in Trümmern, viele Häuser sind abgebrannt, das Pfarrhaus gleicht einer Ruine.

Der Krieg, 1618 begonnen, ging nun in sein dreißigstes Jahr. Die Verwüstungen von Haltern glichen denen von unzähligen Orten im ganzen Reich, und in manchen Regionen des heutigen Mitteldeutschlands hatte der Krieg die Hälfte, manchmal sogar sieben Zehntel der Bevölkerung umgebracht. Das Ende des Krieges kam nur zwei Tagesreisen von Haltern entfernt zustande: In Münster und Osnabrück wurde der Westfälische Friede ausgerufen, und der protestantische und der katholische Glaube wurden als gleichberechtigt anerkannt.

Doch das ist für die Halterner in diesen Tagen kein Trost. Die evangelischen Einwohner waren fast alle vertrieben, konvertiert oder getötet worden, und noch immer besetzen fremde Truppen die geschundene Lippestadt - hessische Truppen, die vor ihrem Rückmarsch für den Winter in Haltern Station machen. Was an Lebensmitteln nicht an die Soldaten abgegeben werden muss, wird selten und teuer. Bald kann man sich kaum noch ein Stück Brot leisten, und der Winter schwächt die vom Krieg geplagten Menschen.

Mit einer Hungersnot und vielen Toten endet das schreckliche Kapitel des Dreißigjährigen Krieges für Haltern erst 1649. Die einst so stolze Stadt ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.

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725 Jahre Haltern
Die große Sonderserie im Stadtspiegel

Episode 1: Der zerschlagene Traum vom kleinen Rom
Episode 2: Ein Dokument der Freiheit
Episode 3: Von Haltern an den Rand der Welt
Episode 4: Ein stiller Wächter
Episode 5: Die bleichen Finger des Krieges
Episode 6: Mit Volldampf in die Zukunft
Episode 7: Eine Zeit der Schande

Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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