Sie sprechen kaum Deutsch und sind auf dem Gymnasium

In ihrem Heimatland waren die Schüler gut, hier verstehen sie nichts vom Schulalltag und müssen wieder von vorne beginnen. Fotomontage: Pielorz
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Ausländische Schüler gehen seltener auf Realschulen oder Gymnasien als deutsche, dafür aber deutlich häufiger auf Hauptschulen und auf Förderschulen. So steht es im Integrationsreport des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Ganz schwierig wird es für weiterführende Schulen, wenn die Kinder kein Deutsch sprechen, im Herkunftsland aber gut in der Schule waren. Das gibt es auch an Hattinger Schulen.

Allein der Gedanke verwundert: Ein Kind sitzt hier in einer Klasse einer weiterführenden Schule und versteht kein Deutsch. Gibt es das? Ja, das gibt es.
Zum Beispiel am Gymnasium Waldstraße. „Wir haben zur Zeit drei Kinder, zwei aus Afghanistan und ein Kind aus dem Iran. Sie besuchen die 9. Klasse“, erzählt Schulleiter Dr. Heinz Niggemann. „Die Kinder sind seit etwa einem Jahr in Deutschland und es wurde ein Asylantrag gestellt, über den aber noch nicht entschieden wurde. Ich habe mich bei der Bezirksregierung erkundigt, wie wir als Schule verfahren sollen. Ein richtiges Förderkonzept für ältere Schüler ohne Sprachkenntnisse gibt es offensichtlich nicht. Es gibt an verschiedenen Orten einzelne Schulen, die Deutsch für Anfänger unterrichten. Unsere Kinder haben das Heinrich-von-Kleist-Gymnasium in Bochum besucht. Allerdings ist nach einem dreiviertel Jahr dann auch Schluss. Die Kinder können dann etwas Deutsch, aber zu wenig, um dem Unterricht folgen zu können. Seit den Sommerferien besuchen sie nun die altersgerechte 9. Klasse. Wir können ihnen aber zum Halbjahr kein Zeugnis ausstellen. Das wäre ungerecht, denn sie sind sprachlich nicht in der Lage, eine gute Leistung zu erbringen. Es gab in den Herbstferien einen Intensivkurs der VHS und wir wollen einen solchen Kurs in Zukunft installieren. Die Kosten dafür trägt für diese Kinder der Förderverein, weil die Kinder gar nicht die finanziellen Mittel hätten. Aber irgendwie muss man ihnen doch helfen.“
Allein gelassen fühlen sich auch die Verantwortlichen anderer Schulen, die alle solche Fälle immer einmal wieder erlebt haben.
Jürgen Ernst, Leiter der Marie-Curie-Realschule, erklärt: „Es fehlt ein grundsätzliches Förderkonzept. Im Zeitalter der Globalisierung ist es doch nicht ungewöhnlich, wenn Eltern auch aus beruflichen Gründen die Sprachbarrieren überschreiten. Sie selbst können sich dann verständigen, ihre Kinder aber nicht. Wir hatten solche Fälle auch schon. Manchmal konnten wir die Kinder in einem Förderprogramm der Hauptschulen unterbringen. Doch hier zeigte sich, dass die Kinder, sobald sie Deutsch konnten, auch intellektuell oft unterfordert waren. In der Regel waren sie in ihrem Heimatland nämlich sehr gut in der Schule. Wir haben individuelle Lösungen mit den Eltern gefunden und manchmal haben sich die Kinder schon nach drei Monaten gut verständigen können.“
Auch Dr. Elke Neumann von der Gesamtschule in Welper kennt diese Fälle. „Einzelfälle gibt es auf jeden Fall. Aktuell haben wir zwei Kinder aus Russland, die durch eine Lehrerin, die auch Russisch spricht, zusätzlich quasi privat unterrichtet wird. Das sind Überstunden. Es gibt regionale Unterschiede. Ich habe lange in Dortmund gearbeitet, wo das Problem deutlicher wird. Hier gibt es Institutionen, die Deutschkurse für Anfänger anbieten. Einfach ist das in keinem Fall.“
Auch das Gymnasium in Holthausen beschäftigt sich derzeit mit der Frage, wie man Schülern möglichst schnell Deutsch beibringen kann, die ohne Sprachkenntnisse im Unterricht sitzen. Konkret geht es hier um Kinder aus Georgien und der Türkei. Die Eltern sind aus beruflichen Gründen in Deutschland, ihre Kinder können die Sprache nicht, müssen aber wegen der Schulpflicht zur Schule gehen. Auch diese Kinder sollen durch die VHS jetzt zusätzlich in Deutsch unterrichtet werden, damit sie möglichst schnell dem Unterrichtsgeschehen folgen können.
Die stellvertretende Schulleiterin Ursula Zimmer erklärt: „Es hat schnell eine gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Gymnasien, der Caritas, der VHS und dem Jugendamt in Person von Conny Bludau gegeben. Wir sind zuversichtlich, dass wir schnell ein gutes Ergebnis erzielen und den Kindern helfen können.“
Grundsätzlich müssen die Schulen sich selbst in die Pflicht nehmen und Lösungen erarbeiten.
Schuldezernentin Beate Schiffer dazu: „Für Kita-Kinder und Grundschulen gibt es umfangreiche Förderprogramme. Das Verstehen der Sprache ist Grundvoraussetzung für die Teilnahme am Leben. Die Stadt Hattingen bietet für ausländische Kinder, die nach Hattingen kommen, aber keine Sprachkenntnisse haben, über die Volkshochschule die Möglichkeit, Deutsch zu lernen, um möglichst schnell auch in der Schule alles verstehen zu können. Wenn die Eltern diese Kurse zahlen können, müssen sie dieses auch tun. In anderen Fällen suchen die Schulen individuell nach Lösungen, zum Beispiel über den Förderverein. Wichtig ist, dass diese Kinder möglichst schnell integriert werden. Auch das ist ein Beispiel für Inklusion, die ich nicht nur auf das Thema behinderte oder nicht-behinderte Kinder beziehe. Wenn es um verbindliche Förderprogramme geht, so ist dies eine Aufgabe des Landes und nicht der Kommune. Man muss allerdings sehen, ob die Zahl der betroffenen Kinder wirklich hoch ist oder ob es sich um Einzelfälle handelt.“
Schwierig ist das Thema auch für Berit H‘Loch von der VHS, die Leiterin der Bereiche Sprache und Grundbildung/Schulabschlüsse. „Ich bin jetzt das erste Mal von den Schulen angesprochen worden. Das Problem ist mir allerdings bekannt. Der Kurs soll zweimal in der Woche stattfinden. Möglicherweise werden wir den Kurs auch teilen, das müssen wir sehen. Ich bin der Meinung, dass wir hier den Kindern möglichst schnell helfen müssen.“

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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