Weiltorschule in Hattingen und "Mitschüler Flüchtlingskind"

Flüchtlingskinder der Weiltorschule St. Franziskus gemeinsam mit ihren Mitschülern auf dem Spielplatz hinter ihrer Schule gemeinsam mit Schulleiter Bruno Lück (mitte) sowie den beiden Lehrern Ina Böckenhüser und Gerold Berg.  Foto: Römer
  • Flüchtlingskinder der Weiltorschule St. Franziskus gemeinsam mit ihren Mitschülern auf dem Spielplatz hinter ihrer Schule gemeinsam mit Schulleiter Bruno Lück (mitte) sowie den beiden Lehrern Ina Böckenhüser und Gerold Berg. Foto: Römer
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Bomben, Terror, Folter, Mord. Menschen auf der Flucht. Selbst für Erwachsene ist es schwer, Eindrücke und Erlebnisse dieser Art zu verarbeiten. Wie schwer aber mag dies erst für Kinder sein?

Schulen stehen mit als Erste in der Pflicht, wenn es um Flüchtlingskinder geht, müssen ihnen helfen, Vergangenes zumindest vorübergehend zu verdrängen, oft auch die Rolle von Mutter und Vater übernehmen, auf jeden Fall Bezugsperson sein. Wie und ob ihnen das im Alltag überhaupt glückt, darüber sprach der STADTSPIEGEL mit Schulleiter Bruno Lück und Lehrerin Ina Böckenhüser, beide von der Städt. Kath. Weiltorschule St. Franziskus.
Hier schallt einem Besucher schon von fern lauter, aber fröhlicher Kinderlärm entgegen. Es ist Pause an der Bahnhofstraße. Flüchtlingskinder, die sich scheu und verängstigt in die Ecke drücken, sind nicht zu sehen.
Wie aber auch sollte ein Beobachter Flüchtlingskinder ausgerechnet hier überhaupt entdecken? 223 Schüler besuchen nämlich diese Grundschule und leben in sage und schreibe momentan 20 hier vertretenen Nationen vor, wie einfach doch Integration sein kann. Iraker, Syrer, Afghanen, Kosovo-Albaner, Rumänen lachen und spielen ganz selbstverständlich mit Serben, Vietnamesen, Angolanern und natürlich Deutschen, um nur einige zu nennen.
„Kinder gehen viel ungezwungener miteinander um“, hat Bruno Lück beobachtet. „Es gibt keine Ausgrenzung – bei Jungs sowieso nicht, denn Fußball klappt immer“, lacht er.
Dennoch ist im Unterricht nicht alles so ganz einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint.
Bruno Lück: „Kinder, wie manche der 13 Deutschanfänger, die wir gerade haben, können anfangs nicht so lange bei uns in der Schule bleiben. Sie verspüren Verlust­ängste ohne Mama und Papa, weil sie schlimme Erlebnisse unterwegs auf der Flucht hatten. Teilweise haben sie miterleben müssen, wie ihre Eltern selbst von Ordnungskräften etwa an einer Grenze verprügelt wurden. Die Kinder müssen oft auch überdurchschnittlich häufig zum Klo. Und sie melden sich regelmäßig zwei-, dreimal am Vormittag bei ihren Eltern per Telefon. Sie wollen sicher sein, dass sie noch da sind. Viele sind einfach nur total verängstigt, regelrecht traumatisiert. Daher müssen manchmal auch ihre Mütter – oder der Papa, wenn die Mama tot ist – mit in die Schule kommen und im Unterricht neben ihnen sitzen, sonst weinen die Kinder die ganze Zeit.“

Das schönste Weihnachtsgeschenk der Welt

Zwei Weiltorschüler sind sogar ohne Eltern unterwegs gewesen. Bis sie in Hattingen angekommen sind, haben sie einen ganzen Monat lang weite Strecken allein in einer Gruppe wandern müssen, wie der Päda­goge über Dolmetscher erfahren hat. Diese Kinder leiden natürlich ganz besonders unter Trennungsschmerz.
Nicht sehr wahrscheinlich ist, dass sie genau so viel Glück haben wie ein kleiner Junge ausgerechnet am Heiligen Abend. Er lebte in Hattingen zwar bei einem Verwandten, doch eben ohne Papa und Mama. Wie Bruno Lück erzählt, sei dessen sehnlichster und einziger Wunsch vom Christkind gewesen, dass seine Eltern ihre Flucht ebenfalls unbeschadet überstehen. Kaum einer kann sich vermutlich vorstellen, wie sich das Kind gefühlt hat, als es aus der Schule kam und plötzlich standen Mama und Papa leibhaftig vor ihm! Ein schöneres Weihnachtsgeschenk gibt es nicht.
Nicht verhehlen möchte allerdings Ina Böckenhüser: „Jungs sind auch in diesem Alter oft schon echte Machos und weigern sich zunächst, neben einem Mädchen zu sitzen. Denen müssen wir erst beibringen, dass auch Mädchen etwas zählen und oft sogar die Chefs in den Klassen sind.“
Manche Zeitgenossen diskutieren ja immer den „Unsinn“, Flüchtlingskinder in eine deutsche Schule zu schicken, die verstünden ja sowieso nichts. Dem widersprechen Ina Böckenhüser und Bruno Lück energisch: „Schule stellt in ihrem Leben ein Stück Normalität dar. Sie sind beschäftigt und können ihr erlittenes Trauma aufarbeiten, mit anderen Kindern spielen, einfach Kind sein. Daher möchten auch viele ihrer älteren Geschwister eine Schule besuchen. Das scheitert aber daran, dass immer noch Asylanträge so lange zur Bearbeitung benötigen. Schade, dass das noch nicht besser geregelt ist.“

Junge Schüler lernen schnell Deutsch

Neidisch, schmunzelt Schulleiter Lück, sei er auf die Schnelligkeit, mit der seine jungen Schüler die für sie „Fremdsprache Deutsch“ lernten, von der sie noch kurz vorher kein Wort verstanden hätten.
Daher werden an der Weiltorschule die Sprachanfänger auch in Gruppen in die Klassen gegeben. Das soll ihnen Mut machen, auch untereinander Deutsch zu reden und Spaß dabei zu haben. Acht bis zehn Stunden erhalten sie separat Deutsch-Unterricht, den Rest der Schulzeit verbringen sie ganz normal im Klassenverband, wo sie ihre neu gelernten Sprachkenntnisse gleich ausprobieren können.
Ina Böckenhüser: „Manche der Flüchtlingskinder haben in ihrem ganzen Leben noch nie eine Stift in der Hand gehalten. Die Scheu vor ihrem Schreibwerkzeug verlieren sie aber ganz schnell. Und wer bereits in seinem Herkunftsland eine Schule besucht und Arabisch von rechts nach links geschrieben hat, davon ist bereits nach einiger Zeit nichts mehr zu merken. Ihnen geht unsere lateinische Schrift schnell buchstäblich in Leib und Seele über.“
Bis die Kinder sich in der fremden Sprache verständigen können, helfen im Gespräch schon einmal Hände und Füße weiter, verraten die beiden Lehrer lachend: „Und im Gespräch mit den Eltern können wir unsere teilweise eingerosteten englischen und französischen Sprachkenntnisse wieder etwas auffrischen.“

Deutsche Kinder lernen das Zählen in anderen Sprachen

Die deutschen Schüler haben ebenfalls viel vom Umgang mit ihren neuen Mitschülern, weiß Ina Böckenhüser aus Erfahrung: „Wir haben ein Zahlen-Lied, das wir immer singen. Dadurch lernen auch die deutschen Kinder das Zählen in anderen Sprachen, denn die bauen wir natürlich mit ein.“
Dankbar ist das gesamte Kollegium der Weiltorschule St. Franziskus für die große Unterstützung aus der Elternschaft, wie Bruno Lück unterstreicht: „Da gibt es Kinder, die sagen ihren Eltern, wenn wir doch sowieso dort vorbeifahren, dann können wir beispielsweise von der Bismarckstraße ja auch den oder die X oder Y mitnehmen. Manche der Eltern nehmen für dieses Mitnehmen sogar Umwege in Kauf. Das finden wir genauso toll wie die große Unterstützung durch den Verein ,Merlin‘, der uns durch Patenschaften und Förderungen in jeder Hinsicht hilft. Oder auch Ortho-Mobile an der August-Bebel-Straße, wo wir nach dem Wegfall der Turnhallen Talstraße und Bismarckstraße genauso Schulsport betreiben dürfen wie im Schulzentrum Holthausen oder beim Schwimmunterricht im Rauendahl. Und selbstverständlich unterstützt uns auch die Pfarrei St. Peter und Paul nach Kräften, ermöglicht uns beispielsweise Freizeiten. Dabei haben wir erlebt, dass manche Kinder nur im Hellen schlafen wollen und selbst ,große‘ Kinder immer noch ihr Kuscheltier haben müssen.“
Trotz der sichtbaren Erfolge an der Weiltorschule stößt das engagierte Team aber allmählich an seine Grenzen. Für den Bereich der Ganztagsschule hat Schulleiter einen Betrieb mit 65 Schülern als problemlos eingestuft. Inzwischen sind es jedoch schon über 70 – Tendenz weiter steigend.

Kontakt

Weil Sprachkenntnisse das A und O sind, sucht die Weiltorschule für die feste Vormittagslesestunde an den Donnerstagen noch Lesepaten und überhaupt Zeitpaten, die mit den Kindern Unternehmungen machen. Interessenten können sich melden unter Tel.: 02324-950680.

Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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