Buchkompass: Rezension "Frau Malenki liebt Heinz Maegerlein"

Anregend, anrührend und spannend auch ohne Spannungsbogen

“Die Wiederauferstehung der 60er Jahre einmal anders” verspricht der Klappentext… und das zurecht. Da sowohl mein Geburtsjahr und auch der Geburtsort mit der Autorin Karin Böhm übereinstimmen, hat das Lesen des Buches mir zu nicht nur einem Deja-Vu-Erlebnis verholfen.

Dem Anspruch, ein Roman zu sein, wird der Titel allerdings nicht gerecht. Dazu fehlt ein durchgängiger Handlungsstrang und ein Spannungsbogen. Vorrangig erleben wir einen Aneinanderreihung von einzelnen Episoden, die die Zeit von 1963 bis zum Beginn der 70er Jahre mit Schlaglichtern in Szene setzen. In den ersten zwei Dritteln des Buches sind zudem die handelnden Figuren noch etwas eindimensional. Mir fehlte zu Beginn die Tiefe, die Facetten, die die Hauptfiguren erlebbar und emotional machen. Im letzten Drittel ändert sich das spürbar. Hier bekommen Vater Kurt, Mutter Marlies und Schwester Hanne allmählich eine erkennbare Kontur und werden für mich als Leser in der Persönlichkeit greifbar.

Die Stärken des Buches finden sich in den kleinen Details und liebevollen Beschreibungen der Alltagskultur einer Gelsenkirchener Bergmannsfamilie in dieser auch für mich spannenden Zeit. Ich erwische mich dabei, wie ich förmlich den “Wind der Emscher” am Freibad Grimberg riechen kann und vor meinem geistigen Augen und Ohren spielt das Salon-Orchester im Restaurant des WEKA bei der Beschreibung des Einkaufsbummels “in der Stadt”. Beim Lesen durchlebe ich immer wieder die Parallelen meiner eigenen Kindheit in Gelsenkirchen-Horst. Der erste Fernseher, das erste Telefon, das erste Auto, welches als Familienkutsche für die erste Ferienreise nach Österreich sorgt. Alleine für diese wieder auftauchenden Erinnerungen lohnte sich das Lesen, machten diese das Buch doch spannend und anrührend.

Vermisst habe ich in einigen Episoden einen etwas tieferen Einstieg. Viele Themen, die dabei nur mit Schlaglichter beleuchtet werden, hätten eine intensivere Beschreibung verdient. Die Kaffeetafeldiskussion beim Familiengeburtstag “unter Hitler war auch nicht alles schlecht”, der erste Kontakt mit der türkischen Familie der Schulfreundin oder das sich abzeichnende Familiendrama beim Streit ums liebe Geld. Der Klappentext verweist natürlich ausdrücklich darauf, das es nicht um einen Blickwinkel aus der intellektuellen Perspektive geht. Doch gerade diese Themen hätten es verdient, intensiver einzusteigen. Die Themen, die Ereignisse in dieser Zeit, also das von der Autorin mit viel Liebe und wunderbar anschaulich zusammengetragene Material und die vielen Details aus der Erinnerung der Autorin vertragen mühelos den doppelten Umfang an Text.

Fazit: Für Leser, die eine Reise in die eigene Vergangenheit im Ruhrgebiet erleben wollen, ein absolutes “empfehlenswert”. Für Leser, die einen spannenden “historischen” Roman erwarten, nur eingeschränkt zu empfehlen.

Peter Gesser, Marl

Autor:

Peter Gesser aus Marl

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