8 Jahre Hartz IV: Lassen Kommunen Langzeitarbeitslose im Stich? Interview mit Michael Müller, Leiter Jobcenter Kreis Wesel

Michael Müller Foto: privat
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Michael Müller ist der neue Leiter des Jobcenter Kreis Wesel. Er wird diese Aufgabe für die kommenden fünf Jahre wahrnehmen. Mit 470 Mitarbeitern kümmert er sich um rund 35.000 Menschen in 18.000 Bedarfsgemeinschaften.

Der 46-Jährige ist Nachfolger von Ellen Burhans, die diese Aufgabe seit 2005 wahrgenommen hatte.

Frage: Wie viele Leistungsempfänger verzeichnet das Jobcenter Kreis Wesel jeweils in Wesel, Hamminkeln, Hünxe-Drevenack, Xanten, Alpen und Sonsbeck?

Michael Müller: „Bei mindestens einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten spricht man von Bedarfsgemeinschaften (BGs). In Wesel gibt es 3.465 solcher Gemeinschaften mit 6.750 Personen, in Hamminkeln 660 BGs mit 950 Personen, in Hünxe 191 BGs mit 309 Personen, in Xanten 499 BGs mit 966 Personen, in Sonsbeck 181 BGs mit 325 Personen und in Alpen 167 BGs mit 302 Personen,

Frage: Wie viele Personen in Langzeitbezug befinden sich darunter?

Michael Müller: „66 Prozent aller Leistungsberechtigen im Kreis Wesel. Als konkrete Zahl: 16.500 Personen beziehen seit mehr als zwei Jahren Leistungen zum Lebensunterhalt, die sogenannte Grundsicherung“

Frage: Was sind die häufigsten Gründe für Langszeitarbeitslosigkeit?

Michael Müller:„Das ist unterschiedlich. Das können gesundheitliche Einschränkungen, fehlende berufliche Qualifikation oder eine Schuldenproblematik sein. In vielen Fällen sind alleinerziehende Frauen betroffen. Insgesamt sind es oftmals die kompletten Lebensumstände, die zu einem Langzeitbezug von Grundsicherungs-Leistungen führen können.“

Frage: Welche Maßnahmen gibt es, um Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren?

Michael Müller:„Es gibt zum einen die Möglichkeit der Arbeitgeberförderung in Form von Einstellungshilfen und Lohnkostenzuschüssen. Dann gibt es auf der anderen Seite die Kundenförderung, etwa durch berufliche Fort- oder Weiterbildung, weiterhin öffentlichen Arbeitsgelegenheiten, landläufig auch Ein-Euro-Jobs genannt. Hierdurch werden Personen an den Arbeitsmarkt herangeführt und die soziale Integration gefördert, aber auch die Beschäftigungsfähigkeit wird aufrechterhalten, um die Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Alleinerziehende erhalten Hilfe bei einem beruflichen Wiedereinstieg, bei der Kinderbetreuung sowie Verschuldungs- und Scheidungs- und Trennungsproblemen. Markt- oder arbeitsferne Arbeitssuchende können auch über Projekte, wie etwa Bürgerarbeit in Arbeit gebracht werden. “

Frage: Wie viele Personen konnten im Kreis Wesel im Jahre 2013 in ins Arbeitsleben integriert werden?

Michael Müller:„Das waren 6.000.“

Frage: Um wie viel ist es schwieriger, einen Langzeitarbeitslosen in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu integrieren als einen Kurzzeitarbeitslosen?

Michael Müller:„Das hängt ganz vom Arbeitsmarkt, der jeweiligen Arbeitsbranche und der Konkurrenz-Situation ab. Eines der großen Probleme ist, dass viele unserer Kunden nicht qualifiziert sind und nur im Helferbereich vermittelt werden können. “

Frage: Welche Beschäftigungsfelder sind derzeit am aussichtsreichsten im Hinblick auf eine Anstellung nach einer erfolgreichen Fort-, Weiterbildung oder Umschulung?

Michael Müller:„Im Pflegebereich. “

Frage: Wie hoch ist die Erfolgsquote bei der Integration von Langzeitarbeitslosen in die Arbeitswelt, etwa durch Umschulungen?

Michael Müller:„Im September 2013 sind insgesamt 5.847 Integrationen - seit Oktober 2012 - gezählt worden. Im Allgemeinen hängt der Erfolg grundsätzlich vom Einzelnen selber ab. Außerdem fördern wir eine Integration nicht einfach ins Blaue hinein. Beispiel: Wenn jemand aus dem Bereich Lager/Logistik kommt, macht es Sinn, den Erwerb eines Staplerscheines zu fördern.“

Frage: Wie hoch ist das Budget für Integrations-Maßnahmen von Langzeitarbeitslosen?

Michael Müller:„Im Kreis Wesel liegt es derzeit bei 17.000 Euro. “

Frage:Wie wird die Erfolgsquote bei der Integration Langzeitarbeitsloser ins Arbeitsleben gemessen?

Michael Müller:„Nach sechs Monaten und dann nach weiteren sechs Monaten.“

Frager: Wäre es nicht sinnvoller, die Ressourcen die für Maßnahmen aufgewendet werden, um unqualifizierte Langzeitarbeitslose ins Arbeitsleben zu integrieren, für die Integration „normaler“ Arbeitsloser“, sprich Kurzzeitarbeitsloser oder Qualifizierter, einzusetzen?

Michael Müller:„Nein. Wenn man den demografischen Wandel zugrundelegt, wird die Gesellschaft auf Langzeitarbeitslose angewiesen sein.“

Frage: Sie nannten als einen der Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit fehlende Qualifikation. Vor dem Hintergrund, dass etwa 50 Prozent der Arbeitslosen nur für eine unqualifizierte Helfertätigkeit in Frage kommen, jedoch nur ein Siebtel der Beschäftigen eine solche Tätigkeit ausübt, stellt sich die Frage, inwieweit die Einführung eines Mindestlohnes diese Problematik beinflußen könnte?

Michael Müller: „Die Einführung des Mindestlohnes könnte ein zweischneidiges Schwert werden. Die Zahl der Kunden, insbesondere auch der sogenannten Aufstocker, das heißt Kunden, die ergänzend Leistungen nach dem SGB II erhalten, könnte sich verringern. Gravierendere Auswirkungen sind vermutlich aber eher in den östlichen Bundesländern zu erwarten. Dort könnte die Einführung eines Mindestlohnes Arbeitsplätze gefährden.

Frage: Laut einer jüngsten, im Auftrag des DGB in Auftrag gegebenen Studie lassen Kommunen Langzeitarbeitslose „im „Stich“ und nur etwa ein Viertel erhält tatsächlich Hilfe in Form von Eingliederungs-Leistungen bei Problemen, wie Schulden, Sucht, psychosozialen Problemen und fehlender Kinderbetreuung. Zitat: „Acht Jahre nach Hartz IV wurde der ganzheitliche Unterstützungsansatz nicht eingelöst“. Was sagen Sie dazu?

Michael Müller: Die Betreuung Langzeitarbeitsloser mit den genannten Problemen ist bei uns gut organisiert, es gibt auch keine langen Wartezeiten. Wir haben seit Einführung von Hartz IV Verträge mit verschiedenen Trägern in allen Bereichen, unter anderem Jugendämtern und Schuldner-Beratungsstellen, die Hilfsangebote möglich machen. Kunden erhalten Beratungsgutscheine. Zur Optimierung ist eine Schuldnerberatung als Sprechstunde anvisiert. Aber letztendlich sind diese Angebote eine freiwillige Sache. Es nutzt nichts, wenn jemand nicht will.

Michael Müller/Berufliche Stationen:

- 1986 bis 1994 Arbeitsagentur Solingen, davon Ausbildung im gehobenen Dienst (Inspektorenlaufbahn), drei Jahre Sachbearbeiter, fünf Jahre Ausbildungsleiter
- 1997 Umzug zur Arbeitsagentur Wesel, bis 2004 Leistungsbereich
- 2005 Bereichsleitung ARGE
- 212/11 Bereichsleiter Kreis Wesel
- lebt seit 16 Jahren im Kreis Wesel, derzeit in Wesel-Blumenkamp
- verheiratet, zwe Kinder

Michael Müller Foto: privat
Das Jobcenter Kreis Wesel Foto: Archiv
Autor:

Marjana Križnik aus Düsseldorf

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