Gedicht vom Älterwerden

Gestern besuchte mich eine Bekannte und als wir unter anderem auf das Thema „Geburtstag“ kamen, seufzte sie plötzlich: „Nächstes Jahr werde ich 80, damit kann ich mich nun gar nicht anfreunden!“
Ich sah sie mitfühlend und verständnisvoll an, erschauerte ich doch jedes Jahr, wenn sich wieder eine Zahl unschön verhielt. Mittlerweile geht es so schnell, dass man schon nicht mehr weiß, bei welcher Zahl man gerade ist!

Aber Töchterchen hat mir eine Luftbrücke gebaut: „Mama, du weißt doch, welches Lied der Udo Jürgens gesungen hat!“ Ach ja, war da nicht was mit 66?

Alterungsprozess

Plötzlich kriegt man einen Schreck:
Jugend und Elan sind weg.
Eben war man fit und fleißig,
„traue keinem über dreißig“.

Man hat Bäume ausgerissen,
war behände, wollt nichts missen,
hatte Lieder drauf und pfiff,
Wohnung, alles, war im Griff,

und mit seinem kleinen Kind,
war man schneller, als der Wind.
Eines Tages merkte man:
Zipperleine fangen an!

Oben knackts und unten auch,
immer runder wird der Bauch
und man müht sich ab, im Garten,
Hausarbeit, die muss noch warten.

Immer wieder fragt man „hä?“,
„ich dich nicht so recht versteh!“
Dann, im Kreise der Bekannten,
Freunde und auch der Verwandten,

lichtet sich die große Schar,
viele sind schon nicht mehr da.
Zahnarzt wurde kaum genutzt,
schaut beim Bohren heut verdutzt:

„Ihre unt’ren Zahngebilde,
(und er lächelt dabei milde),
machen nicht mehr lange mit,
die sind sie in Bälde quitt!"

Und mich überkommen Schauer,
denn es bahnt sich an, ne Mauer
von Problemen und von Sachen,
die nun wirklich nicht zum Lachen.

Immer hatt’ ich Augenbrauen,
um die neideten mich Frauen:
wie gemalt und schön gebogen,
heut wie Waigel - ungelogen!

Wenn ich in den Spiegel schau,
seh ich eine alte Frau,
eine unbekannte Dame,
ach, wie war doch gleich ihr Name?

Denn so geht es uns ja allen,
Namen sind so schnell entfallen,
die wir aus dem Ärmel zogen,
heute scheint das Hirn verbogen.

Plötzlich lächelt sie, die Dame,
mir fällt wieder ein, der Name.
Und dann denke ich noch weiter:
aber sie ist dennoch heiter!

Und ich lächle in den Spiegel,
dafür geb ich Brief und Siegel:
wenn man nicht mehr lächeln kann,
dann - fängt erst das Altern an.

Tanja Herbst

Autor:

Edith Schülemann aus Oberhausen

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