"Unerhörte" Meisterwerke in Serie

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Arnsberger Vocalisten begeistern in Kulturschmiede mit ihrem bissigen Programm

Mächtig stolz sind die sechs Vocalisten darauf, dass sie mittlerweile „weltberühmt“ sind – also zumindest in Arnsberg und Umgebung. So sagen es ihre Fans, die wieder einmal in der ausverkauften Kulturschmiede Zeuge von hervorragendem Gesang, bissigen, ironischen und nachdenklich stimmenden Texten, verpackt in mitreißende Melodien, wurden. Nur allzu gerne verfiel man dem Charme, dem Witz, der Gesangs- und Darstellungskunst von Jörg Decker, Benjamin Schenk, Fatbardh Bitik, Johann Bauerdick, Sebastian Jaekel und Ulrich Kaupen verfallen.
Es geht los. Der Dialog von der Bühne in den Zuschauerraum ist schnell hergestellt. Johann Bauerdick, einer der Tenöre, erfüllt diesen Part mit einer genialen Nonchalance, als hätte er zeitlebens nichts anderes gemacht. Seine launigen Ansagen, sein Spiel mit dem Publikum, ein Ohrenschmaus. Er, der für die Proben immer aus Aachen anreist, ist zusammen mit dem Musikgenie und musikalischem Kopf der Gruppe, Jörg Decker, mit verantwortlich für die komplett selbst getexteten und z.T. auch komponierten Lieder. Und eines davon wird gleich zu Beginn dem Publikum um die Ohren gehauen. „Da fehln eim echt die Woate“, Lied und Motto des Abends zugleich, erzählt die Geschichte eines Zeitgenossen der alles besser weiß, der einem die Worte umdreht, so einen den ein jeder kennt und wo wir alle sagen, „ey Alter, krass, was bist du für ,ne Sorte“. Toller Auftakt. Eine Art Techno, verpackt mit coolen Rhythmen. Aber schon geht es ins nächste Drama. Auf der Flucht vor einem Menschen, von dem man(n)-Johann- nicht los kommt. „Die Welt ist zu klein“, heißt das wunderbar komponierte und arrangierte Stück. Es bleibt zu hoffen, dass Johann diesen Schmerz mittlerweile verarbeitet hat. Gottlob hat der Zuschauer keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen denn Se“bass“tian Jaekel gibt Aufklärungsunterricht über das altmodische Wort „Maid“. Keinesfalls ist aber die junge, schöne Maid damit gemeint, sondern „Dynamite“. Also hochexplosiv. Deutscher Text (so genial von Jörg Decker) mit einer grandiosen Choreographie bringt die Besucher so richtig zum Kochen und zur ersten la ola Welle. Ein Knaller! Dann wieder Nachdenkliches. „Ich glaube nicht“ erzählt von Gesellschaft, Politik, Sport, Bildung, Ernährung. Viel wird geredet, wenig gehandelt. Jörg Decker bringt es auf den Punkt: „Dieser Weg ist nicht der Weg zum Ziel, woran soll ich noch glauben?“ Recht hat er.

James Bond war auch dabei

Keine Zeit zum Nachdenken, denn mit „Atemnot“, einer Idee von Johann Bauerdick geht es weiter durch die Nacht. Zu Beginn wird das „James Bond Theme“, das Intro eines jeden Bond Filmes, intonisiert. Johann, mit blonder Perücke als Fräulein H. Wischer (wer ist das) brennt ein Feuerwerk aus Choreo und Erotik ab, im Hintergrund das typische Bondstakkato, eingebaute Bond-Zitate und bis zur Unkenntlichkeit veränderte Akkorde machen dieses Stück in jeder Hinsicht zu einem Meisterwerk. Persiflage vom Allerfeinsten. Das Publikum tobt. Da hat es „Fathi“, der Neue bei den Unerhörten, Rhythmusmaschine, Sänger, der Musik so richtig grooven lässt, nicht leicht mit seinem Lied über die Ungerechtigkeit des Lebens. Ein sehr tiefgründiger Text, der noch bei den meisten Besuchern in das nächste Lied nachhallt. „Air“, von Bach, passte jetzt genau. Am Anfang eine, typisch Bach, zutiefst durchseelte Musik die die sechs Musiker auf einmal grooven lassen und in Anlehnung an den Jazz auseinander nehmen und wieder neu zusammen setzen. Eine großartige Leistung, ganz großes Kino. Vor der Pause dann noch „für dich“, die Beschreibung eines leicht bekloppten Typen und grandioser Höhepunkt des ersten Teils „Bässles Song“. Eine Hommage an den Bass, Se“bass“tian Jaekel, ruhig und geerdet wie ein Bergmassiv trägt er „seinen“ Song vor, „was wär Unerhört – ohne Bass. Country Stile, im Hintergrund die anderen fünf als Vocalbegleitung bzw. Steelguitar und Banjo (richtig a-cappella eben), ein unglaublich gelungener Song. Die Besucher sehen das genauso. Mehrfach werden die Akteure von tosendem Applaus unterbrochen bis es dann unter nicht enden wollendem Beifall in die Pause geht.
Der Weihnachtsblock mit „that´s christmas to me“, „der alte Mann“ und eine wunderschöne Bearbeitung von „Stille Nacht“ durch Jörg Decker, wie er sagt „die Mutter aller Weihnachtslieder“, lässt das Publikum kurz innehalten und den wunderschönen Texten und Arrangements lauschen.

Unerhört, dieser Blues

Was haben wir noch nicht gehört – von "Unerhört"? Richtig, eine Blues-Nummer. A-Cappella-Blues. Haben sie noch nie gehört? Und in Deutsch schon gar nicht? Ich auch nicht! Jörg Decker, der Tausendsassa unter den Komponisten, Textern und Arrangeuren hat es hingekriegt. Wer sonst. Und weil es so schön ist, übernimmt er auch gleich die Soli. Verschreckt und entzückt das Publikum gleichermaßen mit seinem „ich hass den Blues“. Riesen Unterhaltungswert. Über den Ohrwurm „Sauerland“ kommt dann „Holz“ an die Reihe. Eine total aberwitzige Idee über ein Stück Holz ein Lied zu machen. Johann hat sich das ausgedacht. Eine Schnapsidee – eben unerhört (gut). Eine nicht erwiderte Liebe sehr viel früherer Jahre (er war 13 und sie 17) brachte Jörg Decker auf die Idee des nächsten Liedes. Wenn Liebe pathologische Züge annimmt – Stalking – „mein Spiel“ war geboren. „Dich zu verfolgen bleibt mein Ziel“ heißt es im Text. Eine ziemlich gruselige Geschichte, aber ein Wahnsinnsknaller. Zum Abschluss dann „meine Lieder“. Ein Song über jeden einzelnen aus der Gruppe. Genial und sehr emotional. Aber die Sahnehäubchen sollten noch kommen. Zugabe war nach Standing Ovation angesagt. Und die hatten es noch einmal so richtig in sich. „Ornitophobie“ heißt die erste Zugabe. Eine musikalische Komposition in Form einer klassischen Fuge mit dem Thema „alle Vögel sind schon da“. Vorne Fugenmischmasch und hinten raus Rammstein. Weltklasse. Irrwitzige Wortspiele bekommt der Besucher in einem harmonischen Moll zu hören. Ein ganz großes Kompliment an Jörg Decker. Das ist absolute Weltklasse. Und ein unvergleichlicher Benny, der ein ebenso starkes Solo abliefert (alle Vögel sind mir ein Graus), dazu die Choreographie, einfach umwerfend.
Dann noch einmal a-cappella-comedy von „Unerhört“. Gibt’s wahrscheinlich sonst auch nicht. Ihr „Flamingo-Flamenco“ riss noch einmal das Publikum von den Sitzen. Es wurde geklatscht, gesungen, gelacht und sowohl bei den Besuchern als auch bei den Akteuren auf der Bühne blieb kein Auge trocken.
Fazit: der Abend war einfach UNERHO̤RT  



Autor:

Ingo Ramminger aus Arnsberg

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