Theaterpreis FAUST an Weltkünstler Achim Freyer
Ein Teil von jener Kraft ...

Die FAUST-Preisträger 2022 auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses. Pressefoto: Markus Nass.
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  • Die FAUST-Preisträger 2022 auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses. Pressefoto: Markus Nass.
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Düsseldorf. Nach drei Jahren erstmals wieder eine richtige Theaterpreis-Verleihung mit allem drum und dran!

Fast alle nominierten Künstler waren persönlich anwesend und das renovierte Schauspielhaus Düsseldorf setzte alles locker flockig mit viel Witz und herrlichem Spirit in Szene. Den wirklich in jeder Hinsicht passenden Rahmen bot die aktuelle „Cabaret“-Produktion mit dem brillanten Conférencier und Haus-Star André Kaczmarczyk. Der auch ohne Kostümwechsel als Mephisto direkt in eine Faust-Inszenierung hätte wechseln können. Auch Gustaf Gründgens als Namensgeber der Theateradresse wäre hellauf begeistert gewesen.

Willkommen! And Bienvenue! Welcome!

Gemeinsam mit den „Girls vom Kit Kat Club“ samt Band mischte André „Joel Gray“ Kaczmarcyk die Preisverleihung herrlich queer auf und verhinderte mit treffsicherer und schlagfertiger „Conférence“ jeden Anflug von Langatmigkeit (vor allem bei den gefürchteten Danksagungen). Bei den leider rund und leider klein rechts oben eingeblendeten Video-Schnipseln zur Vorstellung der Theaterkünstler wäre unbedingt eine qualitativ bessere und größere Projektion erforderlich gewesen. Wenn auch die gezeigte Größe wiederum für das eigens eingespielte und etwas oberflächlich schülerhaft runtergelesene „Grußwort“ der neuen NRW- Ministerin für Kultur und Wissenschaft der richtige Rahmen war. Egal - auch dies konnte die gute Stimmung nicht wirklich trüben, die gefilmte Ministerin sorgte im Gegenteil sogar für einige Lacher bei den Profis.

Wettgemacht hat das der Senator für Kultur und Medien der Freien Hansestadt Hamburg, Dr. Carsten Brosda (in seiner Funktion als Präsident des Deutschen Bühnenvereins) mit seiner in affenartiger Geschwindigkeit bewusst schnell vorgetragenen Pflicht-Danksagung an die Stadt Düsseldorf und den Deutschen Bühnenverein und überhaupt allen, die irgendwie an dieser Verleihung beteiligt waren. (Genauer nachzulesen unter: www.derfaust-theaterpreis.de ). Jedenfalls ließ es sich dann auch noch Düsseldorfs Oberbürgermeister Stefan Keller nicht nehmen diesen Dank persönlich entgegenzunehmen. Und zu Recht stolz auf sein teuer renoviertes Schauspielhaus zu sein. Applaus!

Die schönsten Hammer-Songs aus „Cabaret“ taten ein Übriges! So launig und schnell wie an diesem Abend ist der „Faust“ in all seinen Sparten nach allgemeinem Urteil noch nie verteilt worden.

Höhepunkt war die Verleihung des Lebenswerk-FAUST:

Mit Achim Freyer (Jahrgang 1934) wurde schließlich ein wirklich großer und gesamtdeutscher Welttheater-Künstler von internationalem Rang ausgezeichnet. Rund 70 Jahre kreativ als Bühnenbildner, Kostümbildner, Maler, Regisseur und Filmemacher. Bert Brecht hatte noch kurz vor seinem Tod den jungen Freyer 1955 als Meisterschüler am Berliner Ensemble aufgenommen, riet ihm, Bühnenbildner zu werden. Das tat er: Im Nachhinein kann man sagen, dass die graue DDR wohl einfach zu Tode erschrocken ist vor Freyers poetisch-bunter Ästhetik, die ja Sehnsüchte aller Art hätte wecken können. Seine später poppig „hippie-bunte“ Farbenpracht zu „Clavigo“ stießen dem Politbüro als zu westlich auf. Er sollte rausgeschmissen werden. Doch selbst in der dann von ihm stolz und subtil subversiv in purem Schwarz-Weiss veränderten Ausstattung hat seine „Clavigo“-Interpretation von 1972 unter der Regie von Ruth Berghaus die braun-orange DDR überdauert. Und ist sogar heute noch nach 50 Jahren im Repertoire des Deutschen Theaters ab und an zu sehen. Bei dem sich damals anschließenden Italien-Gastspiel wurde ihm klar, dass „er nicht zurück in die DDR gehen konnte“. Doch erst als seine Frau mit den beiden kleinen Zwillings-Töchtern sicher („seine Familie ließ er durch Fluchthelfer nachholen“ so die wikipedia-Formulierung) im Westen angekommen waren, suchte er sich Arbeit an westdeutschen Theatern.

Nachdenklich und freudig im Saal bei der Lebenswerk-Verleihung:
Weggefährte und sozusagen persönlicher Dramaturg und Mastermind bei vielen und wichtigsten Freyer-Opern Prof. Dr. Peter Kehr. Der langjähriger Chefdramaturg der Staatsoper Stuttgart und zuletzt Opernintendant am Nationaltheater Mannheim erinnert sich noch, wie Achim Freyer zuvor in Köln damals einfach mal bei ihm reingeschaut hat. Und manchmal ist das eben genau der richtige Moment im großen Raum-Zeit-Kontinuum einer Opernproduktion: Jemand hatte - wie auch Peymann - Freyers Clavigo-Ausstattung in Berlin gesehen. Und bei der zu planenden Kölner Cardillac-Produktion gab es noch keinen Ausstatter.

Der Beginn einer bis heute andauernden Künstler-Freundschaft und Kongenialität:

Gemeinsam haben die Beiden, Kehr und Freyer die große Philip-Glass-Trilogie „Satyagraha“(1981), „Akhnaten“ (1984) und „Einstein on the Beach“ (1988) in Stuttgart gestemmt. Unvergesslich der „Große Sonnengesang“ Echnatons seinerzeit gesungen von Counter-Tennor Paul Esswood! Ein Gänsehaut-Erlebnisse für alle, die es erleben konnten oder heute die Aufzeichnung hören. Ebenfalls in Stuttgart liegt auch heute noch Freyers Ausstattung zu Faust I und II in der berühmten 1977er-Inszenierung Claus Peymanns auf der Bühne dort herum, wie man am Theater so schön über unsichtbare Erfolgs-Erinnerungen sagt. Bis dahin nie gesehene unprätenziöse, aber umso wirksamere und klug selbstbewusst dem Stück dienende Ausstattungs-Ästhetik, die schon sehr zum Erfolg der inzwischen legendären Inszenierung beigetragen hat.

Achim Freyer hat sein unverwechselbares Handwerk von Grund auf gelernt und ist in allen kreativen Disziplinen zuhause. Wer ihn beim Arbeiten mit Opern-Chören, Schauspieler:innen oder Solo als Maler (bei der documenta 6 von 1977 und 8 von 1987) erlebt hat, wird angesteckt und bleibt inspiriert. Dieser „Weltenschöpfer bis ins Detail“ hat einen Sparten- FAUST schon mal 2016 in der Ausstattungs-Kategorie Bühne / Kostüm für „Esame di mezzanotte“ / Nationaltheater Mannheim erhalten, Peter Kehr war damals sein Opernintendant.

Zur diesjährigen Verleihung trägt der über 80jährige junggebliebene Meister Freyer einen schwarzen Seiden-Kimono mit einigen Ehren-Orden am Revier, unter diesen auch das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Und er bedankt sich bei vielen Weggefährten im Saal und anderswo in der Theaterwelt, ausdrücklich auch beim eigens angereisten Freund Kehr wie bei seiner Familie. Den Faust-Preis, einst vom Bühnenbildner-Kollegen Wonder gestaltet, hält er beinah wie ein Werkzeug in die Höhe: „Ein Teil von jener Kraft...!“ . Er macht weiter.

Erinnerungen an die „glücklichen Zeiten der vollen Häuser“:

Anschließend an die Preisverleihung im Düsseldorfer Schauspielhaus erstmals wieder Schaulaufen der Theaterprominenz aus ganz Deutschland. Und aus allen Ären vergangener Intendanzen (... aus jenen glücklichen Zeiten der vollen Häuser...) im Schauspielfoyer mit Häppchen und veganem Chili zu Soft- und Alk-Getränken. Der Deutsche Bühnenverein mit seinem Zentralorgan „Die Deutsche Bühne“ versucht auf seine Weise auch eine überfällige „Zeitenwende“: Denn die Theater sind nach dem Corona-Einbruch noch sehr leer - die Zuschauer fremdeln noch immer, fragt sich wie lang oder ob großenteils forever?

„It was a fine affair – but now it´s over…” ?

Das aktuelle Heft "Deutsche Bühne" analysiert - etwas im Walde pfeifend - die Lage der Deutschen Theater, ohne allzu sehr schwarz zu malen. (Weil: Einen solchen Beleg könnten Politiker aller Kultur-Lippenbekenntnisse zum Trotz möglicherweise bald nutzen, um nicht mehr vorhandene weitere Gelder für die kommunalpolitisch „freiwillige Leistung Theater“ zu streichen.)

Unter den unterschiedlichst reagierenden Bühnen hat das Düsseldorfer Schauspielhaus aber die Zeichen der Zeit wohl richtig gedeutet. Und schmeißt sich zu Recht mit vollem Herzen und großartigem Ensemble überzeugend ans Publikum ran. Die „Cabaret“-Stars gaben alles und konnten selbst in dieser Eingeweihten-Spezial-Vorstellung mit FAUST-Verleihung glänzen: „Willkommen! Bienvenue! Welcome!” Fremder, Étranger, Stranger ...fremdgewordener Zuschauer. Bravo! Und - ab ins Theater!  (cd)


Weitere „Faust“-Preisträger 2022 neben dem Lebenswerk-Preis für Freyer:


Inszenierung Theater für junges Publikum: Liesbeth Coltof
mit ihrem Team sowie dem Ensemble für „Miroloi“, Junges DT / Deutsches Theater Berlin
Darsteller:in Theater für junges Publikum: Eidin Jalali als A. für „Die Leiden des jungen Azzlack“, Schauspiel Leipzig (Er nutzte seine Dankesrede zum Solidaritätsaufruf mit den Frauen Irans, die gerade ihr Leben riskieren).
Raum (gemeint Bühnenbild): Katja Haß für „Die Träume der Abwesenden“, Residenztheater München
Kostüm: Adriana Braga Peretzki für „Molière“, Schauspiel Köln (mit sehr berührender Dankesrede! Denn ihr war dieser Lebensweg nicht in die Wiege gelegt worden.)
Inszenierung Musiktheater: Florian Lutz für „Wozzeck“, Staatstheater Kassel
Darsteller:in Musiktheater: Marlis Petersen
als Emilia Marty in „Die Sache Makropulos“, Staatsoper Unter den Linden Berlin (schickte ihre Nachbarin und Freundin zum Preis-Abholen).
Kategorie „Genrespringer“: Bernhard Herbordt und Melanie Mohren
für ,Das Schaudepot‘, eigene Produktion in Kooperation mit Theater Rampe Stuttgart
Ton und Medien: Paul Hankinson und Jonas Holle
für die Musik in „Das neue Leben – where do we go from here?“, Schauspielhaus Bochum
Inszenierung Schauspiel: Jette Steckel für „Das mangelnde Licht“, Thalia Theater Hamburg
Darsteller:in Schauspiel: Lina Beckmann als Richard, Herzog von Gloucester, später Richard III. in „Richard the Kid & the King“, Deutsches SchauSpielHaus Hamburg / Koproduktion mit den Salzburger Festspielen 2021
Inszenierung Tanz: Rafaële Giovanola
für „Sphynx“, Staatstheater Mainz
Darsteller:in Tanz: Beatrice Cordua in „A Divine Comedy“, Ruhrtriennale, Spirit, Something Great und Staatstheater Kassel in Koproduktion mit Tanzquartier Wien, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, deSingel, Theater Freiburg und Julidans
Der Perspektivpreis der Bundesländer ging an die Oper Halle für die Inszenierung „Manru“.

Jury des Deutschen Theaterpreises DER FAUST 2022:
Die diesjährigen Preisträger:innen wurden von einer siebenköpfigen Jury gekürt, die von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste benannt wurde. Zur Jury zählen Tatjana Gürbaca (Regisseurin), Sebastian Hannak (Bühnen- und Kostümbildner), Helgard Haug (Autorin und Regisseurin), Tim Plegge (Choreograf), Nathalie Singer (Prof. für Experimentelles Radio, Bauhaus-Universität Weimar), Marion Tiedtke (Ausbildungsdirektorin der Hochschule für Musik und Darstellende Künste Frankfurt am Main) und Jürgen Zielinski (Regisseur und Intendant a.D. des Theaters der Jungen Welt Leipzig)

Quelle: Pressemeldung Barbarella Entertainment .

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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