3-Stunden-OP im Willibrord-Spital: Das Rückgrat wird stabilisiert

Dr. Martin Theis hat den beschädigten Teil der Wirbelsäule lokalisiert
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Vom langen Flur mit Neonbeleuchtung gehen zahlreiche Türen ab. Schleusen zu den dahinter liegenden sechs Operationssälen, Waschräume, Vorbereitungsräume. Auf den lautlosen Sohlen der knallgrünen OP-Schuhe bewegen sich zahllose Menschen emsig hin und her. Hier herrscht eine merkwürdige Mischung aus Betriebsamkeit und konzentrierter Gelassenheit. Von all dem bekommt die ältere Dame nichts mit, die auf eine Lautsprecherdurchsage hin schon schlafend in die Schleuse zu OP 4 gefahren wird.

72 Jahre ist sie alt und leidet aufgrund von Verschleißerscheinungen, Haltungsschäden und anderer Einflüsse an einer Verkrümmung der Wirbelsäule, die das Gehen nur über kurze Strecken und unter Schmerzen erlaubt. Die Korrektur solcher Wirbelsäulenschäden und die Wiederherstellung von Lebensqualität und Mobilität ist eine der Spezialitäten der Wirbelsäulenchirurgie im Emmericher Willibrordspital. Durch die schiefe Haltung hat die kranke Wirbelsäule im Laufe der Jahre schon selbst durch die Bildung von Knochenmaterial dafür gesorgt, dass sie sich ein bisschen stabilisiert. Dieser Wildwuchs von Knochenmasse aber wächst aber dummerweise Richtung Rückenmark und verursacht heftige Schmerzen in den Beinen. „Um die Wirbelsäule zu entlasten, bleiben diese Menschen häufig stehen, als schauten Sie Auslagen in den Schaufenstern an“, erläutert Dr. Martin Theis die Symptome der so genannten ‚Schaufensterkrankheit’.

Allerdings ist das OP-Team um den Spezialisten und Chefarzt der Wirbeläsulenchirurgie, Dr. Martin Theis, diesmal erweitert: Mit am OP-Tisch stehen die japanischen Ärzte Shigeo Sano und Naohiro Kawamura. Sie sind Teil eines achtköpfigen Teams, das operiert, assistiert, überwacht und beobachtet.

Sie arbeiten an der Sanraku-Klinik in Tokio, wo ebenfalls solche Wirbelsäulenschäden korrigiert werden. Allerdings ist die Technik in Japan eine andere, und so war es für die Kollegen aus Japan interessant zu sehen, wie in Deutschland solche Operationen durchgeführt werden. Der Eingriff, so Dr. Martin Theis, werde im Emmericher Spital laufend erfolgreich durchgeführt. Bei dieser OP-Technik arbeitet man sich durch den Bauchraum von der Vorderseite her an den deformierten Wirbelsäulenbereich heran.
Dabei werden die inneren Organe quasi zur Seite geschoben, um im ersten Schritt die lädierten, teilweise ungleich abgenutzten und zusammengestauchten Bandscheiben zwischen den aus dem Lot geratenen Wirbeln zu entfernen. In die Zwischenräume werden dann Implantate, so genannte ‚Spacer’ eingesetzt, die aber dann mit eigener Knochenmasse als ‚Mörtel’ im vorderen Bereich der Wirbelsäule stabilisiert und an ihrem Platz gehalten werden. Weil die so korrigierte Wirbelsäule nach diesem Eingriff dann aber noch nicht wieder völlig allein die notwendige Stabilität hat und ihre neue ‚gerade’ Position sich erst wieder festigen muss, werden in einem zweiten Schritt von der Rückseite her mit Schrauben die Wirbel in ihrer neuen Position fixiert.

„Solche Eingriffe an der Wirbelsäule machen wir hier laufend. Aber es ist auf jeden Fall Präzisionsarbeit. Die Schrauben müssen auf den Millimeter genau sitzen, weil sonst Nerven oder gar das Rückenmark verletzt werden könnten, was zu Lähmungen führen würde“, skizziert Dr. Martin Theis die Risiken, die auch eine Routine-OP bergen kann. Ob die Schrauben zwingend wieder entfernt werden müssen hänge davon ab, ob sich nach Ablauf eines Jahres ausreichend eigene Stabilisierungsmasse gebildet hätte und ob es Beschwerden gebe, erläutert Dr. Theis den Fortgang der Behandlung. „Jede OP ist eine Belastung und nur dann, wenn es den Patienten wirklich Erleichterung bringt, sollte ein solcher Eingriff vorgenommen werden. Wenn es sich mit den Schrauben prima leben lässt, gibt es keinen Grund, sie zu entfernen.“

Die Kommunikation am OP-Tisch funktioniert reibungslos: Die Mediziner verständigen sich in Englisch, Dr. Theis kommentiert für seine Kollegen die einzelnen Handgriffe. Für ‚alle Fälle’ ist dann da noch Dr. Michael Schwierskott, der als Biochemiker in Japan lebt und für den Hersteller der Implantate arbeitet. Er spricht fließend Japanisch und dolmetscht am OP-Tisch.

Ein heller kleiner Strahler, den Dr. Theis an der Stirn trägt, leuchtet die Stelle, an der operiert wird, exakt aus, und wer jede Menge Blut erwartet hat, der ist enttäuscht. Über Gefäßklemmen wird der Blutzufluss Richtung OP-Stelle so weit reduziert, dass möglichst keine Schäden an Nerven und Gewebe entstehen, dass man aber ‚sauber' arbeiten kann. Schließlich muss der Operateur ja genau sehen, woran er gerade arbeitet. Die Anweisungen an die Assistenten sind präzise und knapp aber dennoch verbindlich. Blickkontakt untereinander, Blickkontakt mit dem Anästhesisten, der an den Monitoren die Vitalfunktionen überwacht.

Auch beim ‚Besteck’ gerät der Laie ins Staunen: Ein bisschen sieht es auf dem sterilen Tuch aus wie in einer Kfz- oder Bildhauerwerstatt. Es sind nicht nur filigrane Instrumente, die da in Reih und Glied liegen, denn jeder Griff muss sitzen. Da liegen schon ordentlich große Beitel, Zangen, Scheren, die dem Operateur wie großes Werkzeug schwer in der Hand liegen, das er mit Präzision sicher führt. Eine Geräuschkulisse aus leisen Kommandos, saugendem Glucksen und Schaben ist zu hören, als die kaputten Bandscheiben zwischen den Wirbelkörpern herausgeschält werden.

Weil dieser Eingriff bis zu drei Stunden dauert, muss das OP-Team nach einem ersten abgeschlossenen OP-Schritt eine kleine Pause machen. Dafür stehen im Aufenthaltsraum im OP-Bereich schon belegte Brötchen und Getränke bereit Nach einer kleinen Verschnaufpause geht es weiter, und am Nachmittag wird es im Rahmen einer Besprechung die Einschätzung des OP-Verlaufs durch das Expertenteam geben. Um 13.30 Uhr steht fest: Der Eingriff ist gut verlaufen. Es hat keinerlei Komplikationen gegeben!

Aber auch auf anderer Ebene wurde Menschliches am Rande des Arbeitsbesuchs der japanischen Ärzte thematisiert: Die Mediziner waren nur wenige Stunden vor dem Erdbeben mit dem folgenden Tsunami und der atomaren Katastrophe in Tokio gestartet. Nein, das Bedürfnis, hier über die Katastrophen zu sprechen, hätten die Kollegen nicht, so Dr. Theis, Lediglich dass keine Verwandten betroffen seien, hätten die Kollegen ihm mitgeteilt.

Autor:

Caroline Büsgen aus Emmerich am Rhein

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