Der Kettwiger Musiker Cole May nutzt die Zwangspause kreativ
Luftiger Pop aus der Sauna

Kleine Bühnen sind Cole Mays bevorzugte Aufenthaltsorte. Im Moment muss er sich mit seinem Heimstudio begnügen.
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"Touring, touring, it's never boring...", nölte Joey Ramone zeitlebens. Cole May könnte voller Überzeugung mitgrölen. Dabei hat er mit Garage-Rock und Punk nichts am Hut. Der junge Musiker ersinnt, spielt und produziert eingängig-raffinierten Pop. Wie alle seine Kollegen freilich zurzeit ziemlich einsam.

Wenn uns dieses vermaledeite Virus nicht ins Leben pfuschen würde, wäre Cole May jetzt unterwegs; quer durch Deutschland mit Abstechern nach Dänemark und in die Niederlande. Nun rollt er mit seinem Tourbus immerhin von Auf der Höhe zum Interview nach Kettwig-Mitte.

Pub-Tournee unterbrochen

"Corona hat mich mitten in meiner Pub-Tour erwischt", erzählt er in einer eigentümlichen Mischung aus zwei Akzenten. In die Mundart seiner hessischen Heimat, wo harte und weiche Konsonanten vertauscht werden, mischt sich ein lässiger westaustralischer Slang. Zwischen Schwerin und Cuxhaven wurde deutlich, dass es nicht weitergehen kann. Im März war das. "Ich habe auf der Tour so gut wie keine Nachrichten gehört. Dann riefen die ersten Veranstalter an. Als mir bewusst war, wie ernst die Lage ist, habe ich Termine von mir aus abgesagt", erinnert sich der 23-Jährige. "Ich hatte einfach Angst, dass sich Leute bei meinen Konzerten anstecken." Es geht eng zu in Musikkneipen. Soweit er weiß, sind alle gesund geblieben. Er übrigens auch.
Die akribisch vorbereitete Konzertreise mit dem Repertoire seines ersten, vollständig selbst eingespielten Albums "Neverland" war im Eimer, die eingeplanten Honorare lösten sich in Wohlgefallen auf. Cole, der eigentlich Colin heißt und seinen Nickname in Perth verpasst bekam, konnte sich nicht einfach hinsetzen und abwarten. Dafür war er zu aufgekratzt. "Kurz bevor das öffentliche Leben zum Erliegen kam, habe ich versucht, noch ein paar Straßenmusik-Gigs zu spielen. Aber mir wurde schnell klar, dass das keinen Sinn hatte." They Might Be Giants singen "even when you're out of work, you still have a job to do." Wie wahr!
May, der sich zusammen mit seiner Frau vor gut einem halben Jahr für Kettwig als Wohnort entschieden hat, setzte sich in sein Heimstudio, dass er sich in einer ehemaligen, freilich gut durchgelüfteten Sauna eingerichtet hat, und arbeitete weiter. Die bestens eingestellte Ein-Mann-Band versuchte, in wöchentlichen Konzerten auf Instagram Live-Erlebnisse zu erzeugen. Aber vor atmenden Menschen oder einer Kamera zu spielen, sind zwei Paar Schuhe. "Du sendest ins Leere", weiß er jetzt, "und hast keine Ahnung, wer dir zuhört." Immerhin hinterlässt ein Teil des Publikums schriftliche Kommentare, immer freundlich, oft begeistert. Dank sozialer Medien und Video-Plattformen war es noch nie so einfach, sein Publikum zu erreichen. Es war aber auch noch nie so schwer, überhaupt gefunden und wahrgenommen zu werden. Und Geld verdienen lässt sich so auch nicht. Eine schwarzhumorige Analyse.
Cole May kommt finanziell über die Runden. Die Zwangspause hat er als Chance begriffen, sich künstlerisch weiterzuentwickeln. War sein bisheriges Material (der Song "San Francisco" mit seinem Pfiff-Riff ist dafür ein schönes Beispiel) noch eindeutig der Folk-Musik verpflichtet, lotet der Mulitiinstrumentalist (Gitarre, Bass, Piano und Schlagzeug aller Art) nun andere Genres und Klangfarben aus. Ihm gefällt es ebenso wenig wie wohl der Mehrzahl seiner Musiker-Kollegen in eine Schublade gestopft zu werden, aus der man sich nur schwer befreien kann. An einer Erfolgsmasche bis zum Ermüdungsbruch der Ohrknöchelchen weiterzuhäkeln, liegt außerhalb seines Vorstellungshorizonts. "Ich habe mir in den Kopf gesetzt, mehr ,dancy' zu klingen!" Ob ihm das mit seiner ersten Shutdown-Single gelungen ist, kann jeder selbst herausfinden. Der Song "Cut to black" ist fertig komponiert, getextet, eingespielt und abgemischt auf Youtube zu finden. Das Video zum Song folgt im Juli.

Kein Song über Corona-Depression

Der Titel bedeutet so viel wie "Schwarzblende", ein Begriff aus dem Filmhandwerk. Das kommt nicht von ungefähr, denn Kino steht in der Reihe der Inspirationsquellen ganz weit vorn. Der Eindruck, den die Comicverfilung "Joker" mit Joaquin Phoenix als Außenseiter, der zum Monster wird, bei Cole May hinterlassen hat, schlägt sich im Text nieder. "Es geht um Zurücksetzungen und Depression", erklärt der Singer/Songwriter. "Aber es ist kein Corona-Song!" Und auch wer meint, die Black-Lives-Matter-Bewegung sei Thema, befindet sich eigentlich auf dem Holzweg. Cole May möchte sich aber nicht über Fehlinterpretationen mokieren. "Die Menschen, die in den USA für ihre Rechte demonstrieren, haben meine volle Sympathie. Aber das Lied beschäftigt sich mit anderen Dingen." May meint allerdings auch: "Das ist das Großartige an Kunst: Jeder hat das Recht auf seine eigene Sicht." Eine erstaunlich reife Haltung. Aber natürlich ist er gespannt, wie sein jüngstes Werk ankommt. Es klingt übrigens ziemlich lebensbejahend, hat durchaus Ohrwurmqualität und erinnert Leute aus der Generation um die 50 an New Romantic.
So sehr ihm seine neue Heimatstadt auch gefällt, Cole May war zu lange Backpacker, der sich auch in Galway, der heimlichen Hauptstadt der Straßenmusik behauptete, als dass er nicht fürchtet, bald einen Rappel zu kriegen. Die abgebrochene Tour will er auf jeden Fall fortsetzen und möglichst bald in der näheren Umgebung auftreten. "Ich frage mich dann aber, ob es die Läden, die mich gebucht haben, überhaupt noch gibt. Wenn man sich überlegt, welche existenziellen Sorgen die Veranstalter und Kneipenwirte haben, relativiert das die eigenen Probleme."
Cole May frickelt derweil im Studio weiter, fuchst sich in Aufnahmetechnik, Produktion und Abmischen ein, gniedelt wie damals, als er mit 13 die Klampfe wieder aus der Ecke holte, stundenlang, bevorzugt auf einer E-Gitarre, die er sich wie sein Namensvetter Brian von Queen als Teenager selbst gebaut hat. Wenn er Radio hört, dann Wortprogramme, von Algorithmen formatierte Abspielstationen sind ihm ein Graus. Auf derlei Sendern wird man seine Musik wohl nie hören, dafür gibt es geeignetere Stationen. Bis es soweit ist, denken wir uns mit Al Stewart: "You're on my mind like a Song on the Radio" und hören Cole May bestimmt bald wieder live.

Hier gibt's was auf die Ohren:

  • Mehr über den Musiker gibt es auf seiner Homepage colemay.com.
  • Hier finden sich auch Links zu seinen Facebook- und Instagram-Seiten.
  • Die Singles "Cut to black"

    und "San Francisco"

    kann man sich ganz einfach auf Youtube anhören.

Autor:

Lokalkompass Essen-Kettwig aus Essen-Kettwig

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