Wichtige archäologische Fundstätte
Blätterhöhle ist Klima- und Umweltarchiv

v.l.: Wolfgang Heuschen (Grabungsleiter), Erik Höhne (Vorstandssprecher ENERVIE Gruppe) und Prof. Dr. Michael Baales (LWL-Archäologie), freuen sich über die neuesten Erkenntnisse aus der Hagener Blätterhöhle. Foto: Carolina Freihoff/Stadt Hagen
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  • v.l.: Wolfgang Heuschen (Grabungsleiter), Erik Höhne (Vorstandssprecher ENERVIE Gruppe) und Prof. Dr. Michael Baales (LWL-Archäologie), freuen sich über die neuesten Erkenntnisse aus der Hagener Blätterhöhle. Foto: Carolina Freihoff/Stadt Hagen
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Die Blätterhöhle in Hagen zählt zu den wichtigen archäologischen Fundstätten in Nordrhein-Westfalen, Deutschland und mittlerweile auch in Europa. Die Höhle und ihr Vorplatz erweisen sich als eine Art Klima- und Umweltarchiv, das von der Eiszeit bis zur Gegenwart reicht. Neue Untersuchungen von Sedimenten und Mollusken (Weichtieren)  geben wertvolle Hinweise auf die Einordnung und Datierung der Grabungsfunde sowie zu den damaligen Klima- und Umweltbedingungen.

Bei einem gemeinsamen Termin präsentierten Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Hagen, der Mark-E sowie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) am  Mittwoch, 22. November, die neuesten Forschungsergebnisse sowie Neufunde aus der Blätterhöhle.

Mollusken ermöglichen Datierung

Im Rahmen des laufenden Projektes findet bereits seit einigen Jahren die Analyse von Schneckenresten – sogenannten Mollusken – aus den Sedimenten der Fundhorizonte auf dem Vorplatz der Blätterhöhle statt. „Es ist uns ein wichtiges Anliegen, die Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit einer so bedeutenden Fundstelle, welche sich zudem auch noch im unmittelbaren Umfeld unserer Unternehmenszentrale befindet, zu unterstützen", so Erik Höhne, Vorstandssprecher der ENERVIE Gruppe sowie der Mark-E Aktiengesellschaft, im Rahmen des Termins. Das Projekt wird neben der Unterstützung durch Mark-E außerdem durch Mittel der Stadt Hagen sowie des Archiv- und Museumsvereins Geschichtsfreunde Hagen  finanziert. Neben der Analyse der größeren Tierarten, die aufgrund der zur Markgewinnung klein geschlagenen Knochen nur selten näher bestimmt werden konnten, ist diese erste Untersuchung der Schneckenreste durch Dr. Holger Rittweger, einem ausgewiesenen Mollusken-Experten aus Waldbrunn in Hessen, erfolgt.

Die Untersuchung bezog sich vor allem auf die unteren Schichten des Vorplatzes. Im Fokus der Begutachtung stand die Frage, ob die kurzlebigen Schneckenarten in ihrer Zusammensetzung solch klare Veränderungen zeigen, dass sie den an der Blätterhöhle erwarteten Übergang von der letzten Eiszeit zur heutigen frühen Nacheiszeit nachzeichnen und untermauern können. In umfangreichen Arbeitsschritten schlämmten die Forscherinnen und Forscher aus vielen Sedimentproben die Schneckenreste aus, wobei auch zahlreiche Kleinsäugerreste sowie einige Schalen von Muschelkrebsen und kleinen Muscheln sowie Fischreste, die bislang nicht weiter untersucht werden konnten, ausgelesen wurden.

Leider war die Zahl der Mollusken in den untersuchten Proben, anders als zum Beispiel in Feuchtbodenablagerungen, nicht sehr hoch. Es lässt sich jedoch festhalten, dass die Analyse die bisherige Einschätzung der Schichtenfolge auf dem Vorplatz untermauern. Denn in den Schichten über jener mit den altsteinzeitlichen Siedlungsfunden ist nach den vorhandenen Molluskenarten eine deutliche Zunahme der Bewaldung zu verzeichnen. Hier kommen zum Beispiel anspruchsvollere Arten wie die Rötliche Laubschnecke (Perforatella incarnata) und die Braune Schüsselschnecke (Discus ruderatus) vor. Letztere ist eine typische Leitart für den Beginn der Nacheiszeit.

Zudem charakterisieren einige Mollusken bestimmte Lebensräume wie kalkreiche Trockenareale sowie trockene Rasen- und Felsflächen, die zu dieser Zeit existierten. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Nachweis der in der Gegenwart vornehmlich nordisch-alpin verbreiteten und in Deutschland aktuell vom Aussterben bedrohten Alpen-Windelschnecke (Vertigo alpestris), die in der Übergangsschicht zur letzten Eiszeit bestimmt werden konnte. Sie lebt vor allem auf Geröllhalden sowie in trockenen und lichten Waldbeständen an Kalkfelsen. In der liegenden Fundschicht findet sich dann eine typische späteiszeitliche Art, die Löss-Puppenschnecke (Pupilla loessica). Diese unterstreicht nachdrücklich, dass die unterste Siedlungsschicht tatsächlich aus der späten Eiszeit um 10.000 v. Chr. stammt.

Neue Grabungsergebnisse

Nach einer notwendigen Erweiterung der Grabungsfläche entdeckten die Forscherinnen und Forscher in diesem Jahr erneut Funde aus der Mittelsteinzeit unter denen sich auch einige menschliche Überreste – vor allem in der Form von Zähnen – befanden. Unerwarteter Weise stießen die Forschenden erneut auf einen spätaltsteinzeitlichen Fundhorizont, der nach der bisherigen Rekonstruktion erst tiefer erreichbar gewesen wäre. Neben einer weiteren typischen Pfeilspitze aus Feuerstein ist bemerkenswert, dass nun auch eine sogenannte Befundsituation angetroffen wurde. In einem schwärzlichen Fundsediment, das für die große Nähe zu einer Feuerstelle spricht, lagen drei größere aufgespaltene Geröllfragmente zusammen mit Knochenfragmenten versetzt übereinander, die offensichtlich auf eine bestimmte Arbeitsplatzsituation verweisen. Dieser spannende Bereich soll im kommenden Jahr näher untersucht werden.

Über die Blätterhöhle

Die Hagener Blätterhöhle wurde bereits in den 1980er Jahren durch Höhlenforscher des Arbeitskreises Kluterthöhleaus Ennepetal entdeckt. 2004 kamen erstmalig archäologische Funde und menschliche Überreste zutage. Seit 2006 werden in der Höhle und auf ihrem Vorplatz wissenschaftliche Grabungen und Untersuchungen am Fundmaterial durchgeführt, für die neben der Stadt Hagen und der LWL-Archäologie für Westfalen (Außenstelle Olpe) aktuell auch die Universität zu Köln sowie PD Dr. Jörg Orschiedt aus Halle an der Saale federführend sind.

Die archäologischen Untersuchungen des Innenraumes der Blätterhöhle und auf dem Vorplatz geben Anhaltspunkte zum früheren Aussehen der Höhle und ihres Umfeldes. Der Höhleneingang befand sich im Bereich eines Felsüberhanges – eines sogenannten Abris – da sich über dem Vorplatz ein überragendes Felsdach befand, das zum Ende des Mittelsteinzeit vor rund 7.000 Jahren einstürzte. Dadurch wurden nicht nur der Zugang zur Höhle teilweise verschüttet, sondern auch der Vorplatz unter Felstrümmern und Schutt begraben. Unter diesen vor der Höhle bis zu sieben Meter hoch aufgetürmten Sedimenten liegen Nutzungsspuren mit Fundschichten, die nach den bisherigen Grabungen bis in die späte Altsteinzeit vor rund 12.000 Jahren erschlossen werden konnten.

Im Innenraum der Blätterhöhle fanden sich zunächst zwei Bestattungs- und Deponierungsphasen aus der frühen Mittelsteinzeit vor rund 10.000 bis 11.000 Jahren sowie aus der späten Jungsteinzeit zwischen 5.800 bis 4.900 Jahren. Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen wie auch die Radiokarbon-Datierungen (14C-Methode) gaben Hinweise darauf, dass während dieser Phasen wiederholt Verstorbene in der Höhle deponiert beziehungsweise bestattet wurden. Analysen ihrer DNA ergaben im Fall der jungsteinzeitlichen Menschen, die in der Blätterhöhle bestattet worden waren, dass es sich sowohl um Ackerbauern und Viehzüchter handelte, als auch um Menschen, die sich wie in der Alt- und Mittelsteinzeit vorwiegend von der Jagd und dem Fischfang ernährten. Diese 2013 veröffentlichten Erkenntnisse aus den Funden der Hagener Blätterhöhle, die mittlerweile auch in anderen Regionen und Ländern bestätigt werden konnten, haben neue Fragen zum Ablauf der „Jungsteinzeitlichen Revolution“ in Mitteleuropa aufgeworfen.

Überreste eines Kleinkindes

Die Grabungskampagnen der vergangenen Jahre lieferten schließlich auch in den bisher erschlossenen tieferen Fundschichten auf dem Vorplatz der Blätterhöhle sowie in ihrem Innenraum bislang einzigartige Befunde, darunter auch Überreste eines Kleinkindes aus der späten Altsteinzeit, das vor rund 12.000 Jahren am Ende der Eiszeit starb. Besondere Waffenprojektile – sogenannte Rückenspitzen – und andere Gerätschaften aus Feuerstein belegen dabei überraschenderweise Einflüsse aus dem südlichen oder westlichen Europa, während die in dieser Zeit eigentlich üblichen Überreste der letzten Rentierjäger fehlen. Offensichtlich kam es am Ende der letzten Eiszeit zu raschen Wechseln von Warmphasen und Kälteeinbrüchen, auf die sowohl die Umwelt als auch die verschiedenen hochmobilen Jäger- und Sammlergruppen rasch reagierten.

v.l.: Wolfgang Heuschen (Grabungsleiter), Erik Höhne (Vorstandssprecher ENERVIE Gruppe) und Prof. Dr. Michael Baales (LWL-Archäologie), freuen sich über die neuesten Erkenntnisse aus der Hagener Blätterhöhle. Foto: Carolina Freihoff/Stadt Hagen
Anhand der untersuchten Mollusken lassen sich unterschiedliche Sedimentschichten an der Höhle genauer datieren.  Foto: Carolina Freihoff/Stadt Hagen
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Lokalkompass Hagen aus Hagen

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