Der Krebs ließ die Menschen um Marie zusammen rücken

Marie Plötzner (M.) besuchen ihre beiden gleichaltrigen Freundinnen Helene Kastner (l.) und Maja Wagener (r.) in der Kinderklinik. | Foto: Klinikum Dortmund
  • Marie Plötzner (M.) besuchen ihre beiden gleichaltrigen Freundinnen Helene Kastner (l.) und Maja Wagener (r.) in der Kinderklinik.
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Heute, am Tag des krebskranken Kindes wollen wir von Marie erzählen. Sie ist 11 und hat Leukämie. Ihr Halbjahreszeugnis wollte Marie in der Schule persönlich abholen. Doch schon auf dem Gang zum Klassenzimmer erlebte sie, was es heißen kann, wenn man anders aussieht. „Boah, hat die Ebola?“, hörte sie jemanden hinter sich rufen. Sie drehte sich um, ihre Augen suchten in der Menge. Es ist ein dummer Satz, einfach so daher gesagt. Kinder können grausam sein.

Die 11-Jährige traf der Satz hart. Sie, die sich für ihren knappen Besuch in der Schule für eine Perücke entschieden hat, damit sich andere nicht vor ihrem kahlen Kopf erschrecken. Sie trägt wegen ihres schwachen Immunsystems einen Mundschutz. Marie Plötzner hat Blutkrebs. Da ist von jetzt auf gleich vieles anders. Doch was bleibt? Wieviel Verständnis? Wieviel Freundschaft?

Club der roten Bänder

Der Fernsehsender VOX hatte im Jahr 2015 die Serie „Club der roten Bänder“ nach Deutschland geholt und ausgestrahlt – die Geschichte einer Clique auf einer Kinderkrebsstation, die Abenteuer erlebt und zwischen Chemo und Krankenbett
Freundschaft für sich zum Teil neu definieren muss. Die Serie war im Herkunftsland
Spanien ein Renner, auch in Deutschland schlug sie ein.

Hat die TV-Serie den Blick verändert?

Es heißt, sie würde den Blick auf krebskranke Kinder verändern. Zum Positiven.
Dr. Benedikt Bernbeck, Oberarzt der Kinderkrebsstation K 41 im Westfälischen
Kinderzentrum des Klinikums Dortmund, erlebt es nicht selten anders. „Viele Kinder,
die an Krebs erkranken, machen die Erfahrung, dass sich ihr Freundeskreis
zunehmend zurückzieht“, sagt der Mediziner.

Freunde oft verunsichert

Entweder seien die Freunde verunsichert, weil sie nicht wissen, inwiefern sie noch bei all der monatelangen Therapie den Kontakt halten können. Oder sie scheuen es, den Kontakt aufrechtzuhalten, weil sie ganz einfach Kranksein aus ihrem Leben ausklammen wollen. Dabei ist der Kontakt wichtig, eben möglichst viel Normalität in einer eh schon unnormalen Zeit.
Als Marie im Herbst 2015 von ihrer Diagnose erfährt, stellt sie sich vor ihre Klasse
und erklärt ihren Mitschülern, was Blutkrebs ist und dass sie jetzt erst mal
sechs Monate lang nicht zur Schule kommen kann. Sie geht in die Offensive, will
informieren. Sie schaut in viele erschrockene Augen, sieht Tränen an den Wangen
ihrer Freundinnen herunterlaufen. „Das Kuriose ist, dass ich sie trösten musste, nicht umgekehrt“, erzählt Marie.

Vom Warten auf die Diagnose

Auch ihr Vater Ralf Plötzner (51) unterstreicht, wie tapfer sich seine kleine Marie bereits die ganze Zeit über verhalten hat – von dem Moment an, als ihr Blut zu wenig weiße Blutkörperchen aufwies, und auch dann, als die Sorgen der Eltern größer wurden, obwohl noch keine klare Diagnose gestellt werden konnte. Ihre Leukämie war nämlich anfangs atypisch. Gängige Symptome wie Schwäche, blaue Flecken & Co. gab es nicht. Die geringe Anzahl weißer Blutkörperchen hätte auch auf einen Infekt zurückgeführt werden können.

Als aus den Ängsten Gewissheit wurde

Als dann aber im Herbst aus Ängsten Gewissheit wurde, saß der Vater gerade im Zug auf Dienstreise nach Hamburg. Ein Anruf. Das Klinikum Dortmund erscheint auf seinem Display. In Osnabrück steigt er um und fährt zurück. „Wir sollten mit der ganzen Familie kommen“, erzählt er. Doch Sohn Luis (8) blieb in der Schule, als die Eltern mit Marie zusammen bei Dr. Bernbeck im Arztzimmer saßen. Eine Psychologin war auch dabei. „Da wusste ich schon, dass das kein normales Ge-spräch wird“, erinnerte sich Ralf Plötzner.

Wir schaffen das schon!

Einige Tage später sagte Marie zu ihrer Mutter Manuela (46), als diese weint: „Wir schaffen das schon.“ Und richtig: Der Krebs ließ die Menschen um Marie enger zusammenrücken. Freunde unterstützten die Familie, standen z.B. plötzlich unangekündigt mit Mit-tagessen vor der Tür, gingen mit Marie spazieren, sofern es das Immunsystem zuließ. Wenn Marie für die Chemo mal wieder ein paar Tage im Krankenhaus liegen musste, kamen Klassenkameraden zu Besuch, Helene Kastner (11) und Maja Wagener (11) zum Beispiel. Beide kennt sie noch aus Kindergarten- und Grundschulzeiten, so fest ist die Freundschaft. Manchmal, wenn in der Schule gerade mal wieder ein grippaler Infekt umgeht, müssen die beiden 11-jährigen Mädchen beim Besuch einen Mundschutz tragen, damit sie das schwache Immunsystem von Marie nicht gefährden.

"Wichtig, dass ich bei ihr bin"

Ansonsten gibt es nichts, was zwischen ihnen steht. „Ich habe damals geweint, als ich von Maries Erkrankung in der Schule erfuhr. Aber ich finde es wichtig, dass ich bei ihr bin und ihr damit zeige, dass sie nicht allein ist“, sagt Maja.
„Der Zuspruch, den Marie von ihrer Familie und ihren Freunden erfährt, ist enorm wichtig und wirkt sich auch nachweislich auf den Genesungsprozess aus“, erklärt Dr. Bernbeck.
Deshalb begrüßt er auch den engen Kontakt der kleinen Patientin zu ihrem Umfeld. Marie hat gerade den zweiten von fünf Chemo-Blöcken erhalten.
Sie hat damit quasi fast Halbzeit. Und für den zweiten Teil steht ihr auch schon eine eindrucksvolle Mannschaft zur Seite: Auf dem Nachttisch an ihrem Krankenhausbett hat Marie ein ganzes Heer an kleinen Schutzengeln und Glücksbringern aufgebaut, alles Geschenke von Freunden. – Da kann also nichts schief gehen.

Autor:

Antje Geiß aus Dortmund-City

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