Jobcenter zur Zahlung von Leistungen verpflichtet. Trotz Zweifeln an der Erwerbsfähigkeit sei eine Verweisung an den Sozialhilfeträger nicht zulässig.

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Eine alte Rot/Grüne Parole zur „Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe” (Einführung von SGB II, „Hartz IV“) lautete vollmundig: „Alle Leistungen aus einer Hand”.
Zehn Jahre später finden sich konkrete Resultate für die Auszahlung des soziokulturellen Existenzminimums durch eine Vielzahl von Behörden und Trägern: Jobcenter, Grundsicherung, Kindergeldstelle, Unterhaltstelle, Rentenversicherung, Krankenkassen, BAfoeG-Stellen, Arbeitgeber bei Aufstockern, u.s.w..

In der Lebenswirklichkeit von Erwerbslosen zeigt sich jedoch nicht selten ein irrsinniges Zuständigkeiten-Gerangel zu Lasten der Bedürftigen. Leistungen werden vorschnell eingestellt ohne dass die existenzielle Weiterversorgung durch den neu zuständigen Träger aufgenommen wurde.

JobCenter Herne verweigert das Existenzminimum

Über einen solchen Fall von Leistungsverweigerung bei einem Erwerbslosen italienischer Herkunft im JobCenter Herne hatte jetzt der 9. Senat des LSG NRW durch den Vorsitzenden Richter Dr. Sommer, Richter Dr. Bender, Dr. Richter Dr. Hansmann und Richterin Dr. Götz zu entscheiden.
Az.: L 9 SO 427/15 B ER, am 09.06.2016) 
In der Pressemitteilung in der  von www.justiz.nrw.de heißt es:
„Der 9. Senat hat das Vorgehen des Jobcenters für rechtswidrig befunden. Zwar sei es zutreffend, dass Leistungen nach dem SGB II Erwerbsfähigkeit voraussetzen. Bis zur Feststellung einer Erwerbsunfähigkeit habe das Jobcenter jedoch vorläufig Leistungen zu zahlen. Durch diese gesetzliche Verpflichtung solle verhindert werden, dass ein Antragsteller bei fraglicher Erwerbsfähigkeit zwischen die Stühle gerate und gar keine Leistungen, weder vom Jobcenter noch vom Sozialamt, erhalte. Das Jobcenter dürfe fehlende Erwerbsfähigkeit nicht annehmen, ohne zuvor den Sozialhilfeträger eingeschaltet zu haben.“

Quälend lange „Eilverfahren“

Wie dem Beschluss des LSG zu entnehmen ist, hatte der Kläger bereits am 26.03.2015 einen Erstantrag auf Leistungen nach dem SGB II beim zuständigen Jobcenter Herne gestellt. Dort versuchte man den Kläger ohne Leistungen wegzuschicken. Von März 2015 bis zur ER-Entscheidung im Juni 2016 erhielt der Kläger weder Regelleistungen noch Kosten der Unterkunft und Heizung. Diese verweigert das LSG für die Vergangenheit auch weiterhin.

Bescheiden der Bundesagentur für Arbeit vom 22.04.2015 und 01.06.2015 ist zu entnehmen, dass der Kläger lediglich Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 75 EUR zum Zwecke der Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 112 ff. SGB III) sowie ergänzende Leistungen in Form der Übernahme von Fahrtkosten in Höhe von monatlich 52,20 EUR für seine Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt erhielt.

Die Richter kommen zu dem Schluss:
„Dass er hiermit seinen Regelbedarf, orientiert an der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von derzeit 404 EUR, nicht decken kann liegt auf der Hand, soweit man ausschließlich auf den Antragsteller abstellt.“ – und rechnen beide Minimalzahlungen gegen den Regelsatz von 404,00 € auf . . .

Nach zunächst erfolglosem ER-Klageverfahren beim SG Gelsenkirchen, gab das LSG also teilweise nach. Allerdings gewährten die Richter gerademal Almosen für die Zukunft:
„Das beigeladene Jobcenter wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 01.06.2016 bis 30.11.2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form des Regelbedarfs in Höhe von 306,80 EUR monatlich zu gewähren.“

Dem Kläger werden also für die Zeit von März 2015 bis Mai 2016 alle Existenzsichernden Leistungen verweigert, kein Existenzminimum, keine Miete, keine Heizung, weil die Schwester den Kläger vorübergehend bei sich aufgenommen hatte und die Mehrkosten von ihrem bescheidenen Einkommen vorgeleistet hatte.

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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