Hartz-IV Verschärfung zur Entemanzipierung des Menschen

Die Würde des Menschen ist unantastbar, so steht es in Art. 1 des Grundgesetzes. Weiter heißt es auch: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” Mittlerweile dürfte sich in das letzte Hinterzimmer der noch so unpolitischen BürgerInnen herumgesprochen haben, dass durch die Hartz Gesetze genau dieser Artikel ad absurdum geführt wurde. Und damit die Menschen noch mehr Ängste ertragen müssen, trat am 1. August 2016 eine Verschärfung von Hartz IV in Kraft.

Die LeiDmedien haben so ungerne im Vorfeld darüber berichtet. Interessierte Menschen haben schon vorab Informationen erlangt, eine Zusammenfassung kann man bei Labournet einsehen. Nun wird allmählich in den Medien über die konkreten Verschärfungen informiert.

Von mehr Kontrolle ist die Rede. Da frage ich mich, wie die Kommunen, die schon mit der bürokratischen Bearbeitung von Flüchtlingen überfordert sind, auch noch ALG-II-Bezieher kontrollieren wollen. Da ahne ich nichts Gutes. Eine Möglichkeit wäre, Billigjobber in den kommunalen Ordnungsdienst zu integrieren. Lieber an der Front sein, als selbst der Kontrollierte. So wird ein Schuh raus. Der soziale Druck in der Gesellschaft kann mit Ordnungsdiensten, Blockwartmentalitäten und Sicherheitsdiensten perfekt ausgearbeitet werden. Dieses System erinnert an was? Ich schreibe hier von nichts, das ich nicht schon selbst erleben musste. Dieses perfide System ist ausbaufähig.

Erst kürzlich wollte ich einem ALG-II-Bezieher raten, in einem Vorstellungsgespräch den Vertrag und auch das Einkommen zu verhandeln. Der Vertragsnehmer bietet sein Know How und seine Lebenszeit an. Im Grunde ist er Dienstleister, kein Sklave. Aber so darf man Langzeitarbeitslose nicht mehr beraten. Denn nach der Hartz-IV-Verschärfung könnte das dazu führen, dass man den Job nicht bekommt und das Jobcenter den Verhandlungspartner (dem Vertragsnehmer) die Schuld gibt, einen Job nicht bekommen zu haben und wird dann sanktioniert. Es ist so gruselig. Man darf nicht mal mehr seine Position verhandeln und Einigung erzielen, ohne dann sanktioniert zu werden, wenn man sich nicht einigt. Geht das nicht an die Grundrechte? Mir schwant, dass die Gesetzesverschärfung verfassungswidrig sein könnte. Nur schafft mal zu klagen, wenn man sanktioniert wird. Keine Kohle, Kampf um die Wohnung, Kampf um die Nahrung und dann noch klagen? Diese Schuldzuweisung bei Jobverlust bzw. Nichteinigung zweier Verhandlungspartner, schafft einen größeren Spielraum für Willkür der Jobcentermitarbeiter. Zuerst wird sanktioniert und dann kann der Langzeitarbeitslose erst mal zusehen, wie er glaubwürdig überzeugt, dass er nicht Schuld hat.

Und überhaupt. Muss ein Mitarbeiter, der sich in seinem Beruf positioniert, weil er ihn gelernt hat und erkennt, dass der Vorgesetzte dabei ist einen Fehler zu begehen, den Mund halten, weil er sonst seinen Job verlieren kann? Ist er dann Schuld, weil er seinen Beruf ausgeübt hat und seine Fachkenntnis eingesetzt hat? Oder ist man Schuld, weil man bereit ist, gewerkschaftliche Tätigkeiten zu übernehmen oder eine freie Meinung äußert und darüber hinaus seinen Job verliert?

Der Spiegel Online bringt das Beispiel eines LKW-Fahrers, der wegen Trunkenheit seinen Führerschein verloren hat. Wer es so weit kommen lässt, könnte unter Umständen ein Alkoholproblem haben. Alkoholismus ist eine anerkannte Krankheit. Ist das Beispiel unangebracht oder steht zu befürchten, dass Krankheiten bei Sanktionierungen übergangen werden?

Man nennt es nun „sozialwidriges Verhalten“. Muss man das noch weiter kommentieren? Während Konzerne ihre Gewinne und Verluste miteinander verrechnen, weil sie ganz legal Briefkastenfirmen in Steueroasen gründen können und somit noch zusätzlich Steuergelder erhalten, wird Menschen, denen nicht mal Möglichkeiten geboten werden, in Erwerbsarbeit zu kommen, sozialwidriges Verhalten angelastet?

Während in Art. 1 weiterhin zu lesen ist: „Sie (die Würde) zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” Ist ein Bezug zu Art. 20 Abs. 4 des GG herzustellen: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Wir wissen, dass dieser Artikel unter anderen Voraussetzungen geschaffen wurde. Aber das, was die Politik mit den Menschen und der Demokratie in diesem Land macht, hat Auswirkungen auf die Gesellschaft. Diese Perspektivlosigkeit und das Gefühl, sich nicht wehren zu können, treibt die Menschen zu den rechten Parteien. Nicht jeder ist gebildet genug, die Zusammenhänge der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu begreifen. Aber hilflos fühlen sich viele. Selbst Menschen, die Ursache und Wirkung erkennen, wissen kaum noch, wie man diese Entwürdigung und Schwächung des menschlichen Seins aufhalten kann. Die Gesellschaft wird durch (Existenz-)Angst entemanzipiert. Wer sich behauptet ist schuld, seinen Job zu verlieren und wird sanktioniert. Somit produziert eine Staatsgewalt Menschen, die sich versklaven lassen. Menschen, die alles tun, damit sie nur Ruhe haben. Sie schaffen somit auch Menschen, welche andere kontrollieren, um nur nicht selbst betroffen zu sein. Welche Parteien sind rechter? Die einschlägig bekannten? Oder die, welche die Grundsteine für den sozialen Druck gelegt haben. Hat Siegmar Gabriel vielleicht nicht auch den Mittelfinger in seine Richtung gezeigt?

Um es mal ganz salopp zu formulieren: Diesen Stinkefinger zeige ich in aller Form den Verantwortlichen, die diese Politik mit gestalten. Aber damit ist nicht Genüge getan. Wir als Gesellschaft dürfen es nicht zulassen, unsere Würde zu verlieren. Lernen wir, erhobenen Hauptes die Demokratie wieder zurückzuholen. Wir sind der Souverän, der den Politikern zu sagen hat, was sie zu tun haben. Wir müssen uns emanzipieren.

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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