Einst im Mai

Keinen anderen Monat im Jahr verbinde ich in meiner Erinnerung mit so vielen Bräuchen wie den Mai.
In der ersten Nacht des Monats ging es schon los. Tanz in den Mai war bei meinen Eltern angesagt. Sie gingen selten aus, und es war für mich als Kind aufregend mit zu erleben, wie sie sich in Schale warfen. Mama zog ihr Tanzkleid an, zauberte eine tolle Frisur und schminkte sich die Lippen. Papa trug Anzug und Krawatte. Beschwingt verließen sie das Haus und ich spürte, dass sie verliebt waren.

Oma und Opa sicherten nun unser Hab und Gut, denn in der ersten Maiennacht wurde auf dem Dorf immer viel Unsinn getrieben. Das fand ich spannend. Meist war ich am nächsten Morgen schon früh wach, um zu sehen, ob etwas passiert war. Oft war das Gartentörchen aus den Angeln gehoben, Zäune waren versetzt und manchmal fand sich auch ein Farbklecks dort, wo er nicht hingehörte. Jugendlicher Übermut, harmlose Streiche, die den Verursachern nie wirklich übel genommen wurden. Es gehörte eben dazu.

Genau so wie der Aufbau des traditionellen Maialtars. Bei vielen Familien wurde in den Fenstern der Häuser damals ein solcher Altar aufgebaut. Bei uns stand eine Marienfigur in der Mitte, rechts und links daneben Vasen, gefüllt mit Blumen aus dem Garten. Es waren die Nelken, deren Duft den gesamten Raum erfüllte.

In meinem Zimmer hatte ich sogar einen eigenen Maialtar. Neben der phosphoreszierenden Mutter Gottes, einem Mitbringsel aus Kevelaer, waren kleinste Väschen postiert, die von mir liebevoll mit blauen Vergissmeinnicht bestückt wurden.
Mehrmals in der Woche ging es zur Maiandacht in die Kirche, wo der Rosenkranz rauf und runter gebetet wurde.

In der Dorfkirche trauten sich die meisten Paare im Mai und wir "gingen die Braut gucken".

Am Ortsrand saß die Dorfjugend und besserte ihr Taschengeld durch den Verkauf von selbst gepflückten Maiglöckchen auf.

Bei Tante Christel gab es Maibowle für die Erwachsenen. Danach waren immer alle so lustig.

Obwohl er nicht unbedingt zu den begnadeten Sängern gehörte, brummte sogar Papa beim Sonntagsspaziergang so etwas wie „der Mai ist gekommen“. Ich verstand nicht, dass Bäume ausschlagen können, genau so wie ich den Sinn nicht begriff, wenn Mama das Lied anstimmte „Maikäfer flieg“: „Der Vater ist im Krieg, die Mutter ist im Pommerland, Pommerland ist abgebrannt“ war für mich eher ein böhmisches Dorf.
Trotzdem taten sie mir leid, diese armen Eltern, und den einen oder anderen Rosenkranz betete ich auch für sie und ihre armen Kinder.

Meine eigene Mama wurde am Muttertag im Mai immer verwöhnt. Schon als Kleinkind bekam ich von Papa ein Sträußchen für Mama in die kleinen Hände gedrückt und feuchte Küsschen landeten auf Mamas Wangen.

Klein war sie, meine Welt, und heil.

Später schmückten wir an Mutters Ehrentag beim Tischdecken ihren Teller mit einem Kranz von Grünzeug, während andererseits mit zunehmendem Alter mein Interesse an Maialtären- und -andachten abflaute.

Dafür jedoch flammte ein anderes Interesse auf. Die männliche Dorfjugend bestückte ja zwischen dem Aushängen von Gartentoren und dem Anmalen von Zäunen auch die Fenster der weiblichen Dorfschönheiten mit einem „Mai“. Im Gegensatz zu den hässlichen, in Plastikfolie eingehüllten Objekten, die man hier und da heute noch sieht, gab es früher wahre Prachtexemplare, liebevoll hergestellt aus Birkenzweigen, geschmückt mit Blumen und Bändern und eingearbeiteten Anfangsbuchstaben des Namens der offen oder heimlich Angebeteten.

Oh, wie sehr habe ich mir solch ein Teil vor meinem Fenster gewünscht. Leider befand sich mein Zimmer im 2. Stock auf dem Dachboden unseres Hauses, und das Anbringen eines solchen Maigesteckes an der Dachluke wäre eher eine Aufgabe für Arnim Dahl gewesen. So bin ich zu meinem Leidwesen nie in diesen Genuss gekommen und fühlte mich deshalb insgeheim als hässliches Entlein abgestempelt.

Dies war auch sicherlich der Grund, weshalb ich gern auf einen Schirm verzichtete, um mein Gesicht manch lauem Regenguss entgegen zu halten, hatte ich doch mitbekommen, dass man verlauten ließ, Mairegen mache schön.

Geblieben ist mir nicht mehr viel von Maitraditionen, Sitten und Bräuchen der Kindheit. Kein Maialtar, kein Rosenkranz, kein Muttertag mehr. Die Farbkleckse heißen heute Graffity und werden bestraft. Gartentore sind mit Elektrozäunen gesichert und Väter brummen nicht mehr „der Mai ist gekommen“. Beim Tanz in den Mai wird auch nicht mehr getanzt und geheiratet wird im Fernsehen.

Aber eine Maibowle, die werde ich mir bald genehmigen. Und wenn es regnen sollte, dann blicke ich vielleicht doch noch mal gen Himmel. Ich probier’s eben einfach wieder.....
Alles neu macht der Mai!

Autor:

Birgit Schild aus Düsseldorf

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