Kurzgeschichte: Hamam und seine Lehrerin in Syrien

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Es gab noch wenige Winkel zwischen den zerschossenen Betonbauten. In Damaskus blieben noch einige Häuser übrig, in denen Schüler unterrichtet wurden. Wenn sie Glück hatten, dann knieten sie auf einem zerfetzten Teppich und sonst auf einem kargen Boden. Hamam wurde zusammen mit vier weiteren Schülern von einer Lehrerin unterrichtet, die den Kindern die Inhalte des Koran beibrachte. Mit leuchtenden Augen sprach sie sanft: "In jeder Sure preist unser Heiliger Prophet Allah, den Allmächtigen." Sie stellte viele Fragen zu den Texten und war stets sehr erfreut, weil Hamam, ein kleiner zierlicher Junge, der in der hintersten Reihe saß, diese stets zu ihrer vollen Zufriedenheit beantworten konnte. Ihr wurde schon Angst und Bange, wenn sie an die Zukunft dieser Jungen dachte. Eines Tages nun entschloss sie sich, Hamam zu sich zu rufen und ihm heimlich ein kleines Päckchen in die Tasche zu stecken.

Ein unerwartetes Schicksal hatte seinen Lauf genommen und lief wie im Traum ab:

Granaten flogen über den kleinen Jungen hinweg, er lief und lief, dann sprang er auf ein großes Gummiboot und einige Männer hievten ihn hinauf, das Boot schaukelte und die See stürmte, die Gischt schwappte über seinen kleinen Körper, er röchelte und er konnte kaum atmen, mit angstverzerrtem Gesicht hob er seinen Kopf und schrie nur noch: "Alam, msaedty (Mutter, hilf mir!)". Überall drängten Menschen, Kinder schrien, dann überall Stacheldraht, alle krochen entlang des staubigen Bodens - und es war heiß, sehr heiß! Er stieg in einen Laster ein, die Tür schloss sich und es wurde plötzlich dunkel.

Eine sanfte Frauenstimme sagte ganz leise zu ihm während er langsam seine Augen öffnete und sich umsah: „Hallo, kleiner Mann! Hier bist du in Sicherheit.“ Während seiner Flucht war der Kleine bewusstlos geworden und wurde von ehrenamtlichen Helfern in eine Hilfsstation für Flüchtlingskinder gebracht.
Langsam lebte er sich gut ein und spielte schließlich unbeschwert mit den anderen Kindern auf dem großen Hof mit den vielen Klettergerüsten. Dreimal täglich bekam er für ihn wunderbare und leckere Mahlzeiten, besonders der Schokoladenpudding schmeckte ihm sehr gut. Zudem lernte er mit viel Eifer allmählich Deutsch.
Was jedoch war das für ein Geschenk, das er immer noch bei sich trug? Diese Frage rief bei ihm große Neugierde hervor bis er es nicht mehr aushielt. So versteckte er sich in eine Ecke, holte das Paket hervor und öffnete es vorsichtig. Eine unbändige Freude überkam den Jungen. In das Paket hatte die Lehrerin eine Fibel in deutscher Sprache eingepackt und obendrauf eine besprochene CD gelegt. Helfer, die die Kinder versorgten, brachten dem aufgeregten Burschen ein Abspielgerät. Er konnte sie genau hören, diese sanfte Stimme: „Lieber Hamam! Ich hoffe, dass du gesund in Deutschland ankommen wirst. Mit dieser Fibel wirst du viel leichter Deutsch lernen. Gott segne dich. Mit lieben Grüßen: deine Lehrerin.“ Dieses Geschenk überwältigte ihn und Hamam brach in Tränen der Freude aus. Jedes Kind in seiner Gruppe wollte natürlich auch die Fibel sehen. Schon alleine deshalb, weil sie so bunte Bilder enthielt.

Eines Tages während der Spielpause rannten alle Kinder durcheinander und beim Fangen spielen rammte Hamam forsch einen Papierkorb.
Dieser kippte um.
Heraus fiel eine Zeitung, die ein schreckliches Bild zeigte. Der Junge war erschüttert. Es zeigte: zwei mit schwarzen Tüchern verschleierte Männer, die Äxte in den Händen hielten. Auf dem mit Geröll übersäten Boden lag das Grauen, nämlich zwei abgeschlagene Köpfe. Verzweifelt suchte er sein iPod in seiner Hosentasche. Schnell rief er seine Mutter an und war sehr beglückt, als er ihre Stimme hörte. „Mama, ich bin gut in Deutschland angekommen. Oh, schön, dass ihr nachkommt.“ Dann stockte er als seine Mutter von seiner Lehrerin sprach.

Autor:

Roland Jalowietzki aus Düsseldorf

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